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LATEINAMERIKA/1026: Honduras - Womit sollen wir dann leben? (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 107, 1/09

Womit sollen wir dann leben?
Nahrungsmittelproduktion, Weltmarktfabrikation und internationale Handelsabkommen in Honduras

Von Yadira Minero


Honduras ist ein an natürlichen Ressourcen sehr reiches Land, aber das momentane neoliberale Wirtschaftsmodell und die patriarchalen Verhältnisse sind die Ursache, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Armut lebt und die Frauen davon besonders betroffen sind. Im Folgenden beschreibt die Autorin die Ernährungssituation nach 20 Jahren Handelsliberalisierung, die prekäre arbeitsrechtliche Situation der Maquilaarbeiterinnen und die Forderungen der zentralamerikanischen Zivilgesellschaft an ein bevorstehendes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union.


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In Honduras sind an die 48% der Frauen in den Arbeitsmarkt involviert, sie arbeiten in den Fabriken, am Land, im Service wie in der Hotelerie und in den Geschäfts- und Handelszentren.

In der Landwirtschaft werden Kaffee, Bananen, Bohnen, Reis, Mais, Getreide, Gemüse und Palmen kultiviert. Der Kaffee wird in kleinbäuerlichen Verhältnissen produziert, aber ansonsten ist der Grundbesitz in den Händen transnationaler - meist nordamerikanischer - Konzerne. Seit ca. 20 Jahren gibt es eine Politik der Handelsliberalisierung. Exporte in die industrialisierte "erste" Welt werden propagiert und ausländische Unternehmen verarbeiten in Honduras Produkte für den Export.


Unfairer Handel und Nahrungsmittelkrise

In diesem Wirtschaftsmodell gehört zur Exportseite auch die Importseite: Viele Lebensmittel aus den USA und aus Europa, die man dort mit Subventionen erzeugt, werden bei uns importiert. So treffen uns die berühmten Agrarsubventionen sehr hart, denn diese Produkte werden in den ersten Jahren bei uns sehr billig verkauft, es kommt zu einer künstlichen Preisgestaltung. Die Leute kaufen vermehrt die billigen Importprodukte, nicht mehr die Produkte unserer KleinproduzentInnen, die ohne Subventionen produzieren müssen. Dies führt dazu, dass viele Klein- und Mittelbetriebe in Konkurs gehen, ein ganzer Sektor verschwindet. Und wenn die ProduzentInnen aus unseren armen Ländern verschwunden sind, dann werden diese importierten Lebensmittel sehr teuer.

Honduras ist eines jener Länder, das am stärksten betroffen ist von der Nahrungsmittelkrise. 80% der Bevölkerung müssen mit weniger als $ 1,- täglich leben, für eine gesunde und ausreichende Ernährung würde man aber mindestens $ 277,- monatlich benötigen. Durch die Freihandelsabkommen mit unserem Land hat sich die katastrophale Ernährungssituation verschärft.


Propagiertes Modell

Die Regierung propagiert nun, dass die Arbeit in den Weltmarktfabriken, den Maquilas, ein Ausweg aus der Krise sei, aber die Frauen arbeiten dort unter sehr prekären Umständen. Die Frauen, die vom Land in die Fabrik arbeiten kommen, sind sehr jung, durchschnittlich 25 Jahre. Viele von ihnen sind alleinerziehende Mütter und fast alle haben Kinder.

Seit das Freihandelsabkommen mit den USA in Kraft getreten ist, hat sich der Arbeitstag der Arbeiterinnen verlängert, an die 99% arbeiten täglich 9 bis 12 Stunden. Dazu gibt es noch Vorgaben bezüglich der Produktionsmenge: Es müssen täglich von jeder Arbeiterin zwischen 1.500 und 4.800 Stück - je nach Endprodukt wie Büstenhalter oder Unterwäsche - gefertigt werden. Die Arbeiterinnen dürfen nicht auf die Toilette gehen oder mit den Kolleginnen sprechen. Sie verdienen kaum mehr als den Mindestlohn. Zu Hause wartet noch die gesamte Hausarbeit auf sie und es bleibt ihnen keine Zeit für Weiterbildung. Durch die vielen Belastungen wird die Frau nach einigen Jahren krank.

Den jungen Frauen sagt man gute manuelle Fähigkeiten und eine gut koordinierte Sicht nach und stellt sie deshalb für wiederkehrende handwerkliche Tätigkeiten, die Schnelligkeit und Qualität verlangen, ein. Aber es ist auch erwiesen, dass die jungen Frauen wenig Erfahrung mit Organisierung haben. Und sie sind unterwürfig, denn sie wurden in einem patriarchalen System sozialisiert. Das kommt den Firmen zugute. So haben die Firmen eigentlich keine großen Hürden zu überwinden, wenn sie ein Arbeitsregime außerhalb des gesetzlichen Rahmens überstülpen.

Dies ist unsere größte Kritik an diesem Wirtschaftsmodell: Es produziert AnalphabetInnen, wir haben eine große Belastung des Gesundheitssystems und es ist den Frauen nicht einmal möglich, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Und wenn sie das doch tun, so schließt der Betrieb und wandert ab. Das ist ein Prinzip des Systems.


Arbeitsrechte ignoriert

Es ist wichtig zu wissen, dass vor mehr als einem Jahrzehnt die Arbeitsbeschaffungspolitik unseres Landes den Interessen des Freihandels entsprochen hat, obwohl der gesetzliche Rahmen des Arbeitsschutzes und die soziale Vorsorge nicht reformiert und die Ungleichheiten zwischen Macht und Ausbeutung nicht ausgeglichen wurden. Die verschiedenen aufeinander folgenden Regierungen haben den transnationalen Konzernen ausreichend billige und konkurrenzierende Arbeitskraft angeboten und eine Garantie, dass es zu keiner ArbeiterInnenbewegung kommt und dass es keinerlei staatliche Einflussnahme auf die Arbeitsbedingungen gibt.

Wir vom Zentrum des Rechtes für die Frau (CDM) geben den Frauen kostenlosen Rechtsbeistand, informieren über die Rechte am Arbeitsplatz und in der Familie, und am Wochenende bieten wir Schulungen zu verschiedenen Themen, zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Gesundheitsförderung an. Ausgehend von unseren Erfahrungen mit den Frauen bringen wir Gesetzesvorschläge ein, um die Situation der Honduranerinnen zu verbessern.


Große Umwälzungen

Im April 2009 ist das Freihandelsabkommen mit den USA drei Jahre in Kraft und seit einem Jahr verhandeln die Europäische Union und Zentralamerika an einem Assoziierungsabkommen. Das Handelsvolumen zwischen Europa und Zentralamerika ist sehr gering, fast nichtig. Es werden Kaffee, Ananas und Bananen exportiert. Wir vermuten aber, dass es den europäischen multinationalen Konzernen in Zentralamerika darum geht, den US-amerikanischen multinationalen Konzernen eine Konkurrenz zu bieten. Die EU plant, diesen Prozess bereits im Mai dieses Jahres abzuschließen.

Wir von der Zivilgesellschaft sehen, dass wir an diesem Prozess nie partizipieren konnten, wir haben keine konkreten Informationen darüber, was genau verhandelt wird und was genau die wirtschaftlichen Interessen der europäischen multinationalen Konzerne sind und wo unsere Regierungen mit Zugeständnissen nachgeben werden. Wir müssen uns auf frühere Erfahrungen mit Investoren verlassen und vermuten, dass es ihnen um den Bereich des Tourismus und der Hotelerie, um die Telekommunikation und um den Zugang zu Wasser - speziell für den Tourismus - geht. Beim Wasser sehen wir eine große Gefahr, denn wir sind der Ansicht, dass Wasser kein Handelsgut sein sollte. Wasser ist lebensnotwendig und wenn wir keinen Zugang zu den Lebensgrundlagen haben, womit sollen wir dann leben?


Demokratie dringend gefragt

Wir haben das Netzwerk der honduranischen Koalition für Bürgeraktion gegründet, an dem viele Organisationen teilhaben: Indigene Organisationen, KleinbäuerInnen-, KleinproduzentInnen-, ArbeitnehmerInnen- und Frauenorganisationen. Wir sind mit anderen Plattformen in Zentralamerika vernetzt und verfolgen die Verhandlungsrunden zum Assoziierungsabkommen. Selbst sind wir nicht berechtigt zum Mitverhandeln, wir beobachten und versuchen Informationen zu bekommen, um zu wissen, welche Auswirkungen dieses Assoziierungsabkommen haben könnte. In Honduras haben wir das Glück, von der Regierung relativ guten Zugang zu Informationen zu bekommen. Aber das genügt nicht. Wir brauchen eine Demokratisierung des Dialogs.

Es handelt sich um ein Abkommen von einer großen Reichweite und dazu ist ein einziges Verhandlungsjahr zu wenig, denn wir können die Auswirkungen gar nicht abschätzen.

Das ist der Grund, warum wir Kontakt zu europäischen MinisterInnen und ParlamentarierInnen suchen. Wir bitten sie um Unterstützung, damit die Verhandlungen nicht vorschnell abgeschlossen werden. Wir fordern eine Verträglichkeitsstudie, um zu wissen, welche Auswirkungen dieses Abkommen haben wird und wir möchten mehr Zeit, damit dies kein weiteres Freihandelsabkommen wird. Als Zivilgesellschaft bitten wir die EuropäerInnen, ihrerseits ebenfalls Informationen und eine Gleichbehandlung der Regionen einzufordern.


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Hörtipp:
Zentralamerika und der Freihandel. Helga Neumayer im Livegespräch mit Yadira Minero. Sendereihe: Globale Dialoge - Women on Air:
www.noso.at (3. Feber 2009).


Zur Autorin:
Yadira Minero ist Frauenrechtsaktivistin am Centro de Derechos de Mujeres (Frauenrechtszentrum) in San Pedro Sula in Honduras. Anfang des Jahres befand sie sich - gemeinsam mit zwei weiteren KollegInnen - auf einer Europarundreise, um mit europäischen politischen EntscheidungsträgerInnen zivilgesellschaftliche Anliegen zum bevorstehenden Assoziierungsabkommen der EU mit Zentralamerika vorzutragen. FIAN-Österreich lud die Aktivistin nach Wien ein.


Übersetzung aus dem Spanischen: Helga Neumayer


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 107, 1/2009, S. 18-19
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-355
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Inland 20,- Euro; Ausland 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2009