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LATEINAMERIKA/1142: Peru - Kein Schlupfloch für Menschenrechtsverletzer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. September 2010

PERU: Kein Schlupfloch für Menschenrechtsverletzer - Umstrittenes Gesetzesdekret außer Kraft

Von Milagros Salazar


Lima, 15. September (IPS) - In Peru hat das Parlament ein umstrittenes Legislaturdekret gekippt, von dem sich etliche Menschenrechtsverletzer in Uniform Straffreiheit erhofften. Der Annullierung vorangegangen war der Rücktritt von neun Kabinettsmitgliedern, darunter auch dem damaligen Verteidigungsminister Rafael Rey. Dieser hatte die "verdeckte Amnestie" hartnäckig vorangetrieben.

Am 13. September bereitete ein eigens gebildeter Notstands-Ministerrat den Text für die Abschaffung des Gesetzesdekrets 1097 vor, der dann unverzüglich dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt wurde. Nach fast drei Stunden stimmten 90 Parlamentarier für die Abschaffung der Norm.

Lediglich der Abgeordnete und erste Vizepräsident Perus, Luis Giampietri, votierte für den Erlass - offenbar aus gutem Grund. Der ehemalige Marineadmiral muss sich im Zusammenhang mit der blutigen Niederschlagung eines Gefangenenaufstandes im Gefängnis Frontón vor der Küste Limas gerichtlich verantworten. Der Vorfall, bei dem die meisten der 118 Opfer außergerichtlich hingerichtet wurden, ereignete sich in der ersten Amtszeit des derzeitigen Staatspräsidenten Alan García.

Am 1. September erließ García das Gesetzesdekret auf der Grundlage einer parlamentarischen Sondergenehmigung. Die Legislative hatte ihm am 12. März das Recht eingeräumt, innerhalb eines Zeitraums von 60 Tagen Gesetze zu verabschieden, um Änderungen einzelner Militär- und Polizeigesetze vorzunehmen. Am 1. Juni wurden die Befugnisse auf Anfrage der Partei des ehemaligen Staatschefs Alberto Fujimori (1990-2000) erweitert, der wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption hinter Gittern sitzt.

Während das Parlament am 14. September über die Abschaffung des Dekrets debattierte, vereidigte Staatspräsident García neun neue Minister. Ihre Vorgänger, unter ihnen Ex-Vereidigungsminister Rey, waren mit der Begründung zurückgetreten, sie hätten die Frist einhalten wollen, um als Kandidaten bei den allgemeinen Wahlen 2011 antreten zu können.


Widerstand aus allen Lagern

Zwei Wochen lang hatten Menschenrechtsaktivisten, Juristen und Oppositionspolitiker gegen die "verdeckte Amnestie" Front gemacht. Rückendeckung erhielten sie unter anderem vom Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus, Martín Scheinin, von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, der Katholischen Kirche und dem Büro des Ombudsmanns.

Doch die Regierung knickte erst ein, nachdem der in Spanien lebende peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa seinen Rücktritt als Vorsitzender der hochrangigen Kommission bekannt gab, der die Planung der mit deutschen Geldern finanzierten 'Stätte der Erinnerung' an die Opfer des bewaffneten Binnenkrieges von 1980 bis 2000 obliegt.

Vargas Llosa verurteilte das Gesetzesdekret als kaum verhüllte Amnestie für etliche Menschenrechtsverbrecher aus dem Umfeld der ehemaligen Diktatur. Dazu gehöre auch der Ex-Diktator Fujimori selbst und seine rechte Hand, der ehemalige Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos, wie der Schriftsteller in seinem Rücktrittsschreiben an García schrieb.

In der Parlamentsdebatte wurde das Gesetz allein von der Fujimori-Fraktion unterstützt. Während sich die Fujimori-Anhänger zu Wort meldeten, machte ein vom Verteidigungsministerium unterzeichnetes Papier die Runde, in dem das Legislativdekret verteidigt wurde. Offenbar hatte Rey vor, es mit aller Kraft durchzudrücken.

Wie der ehemalige Chef der Auslieferungsstelle der Staatsanwaltschaft gegen Korruption, Iván Montoya, erklärte, war das Dekret auf jeden Fall verfassungswidrig und hätte einen Angriff auf die Bestimmungen des interamerikanischen Menschenrechtssystems und auf die allgemeinen Bestimmungen des internationalen Strafrechts dargestellt.


Aktivitäten im Hintergrund

Rey und die Abgeordneten der Fujimori-Partei hatten bestritten, dass das Dekret auf bereits verurteilte Personen wie den Ex-Präsidenten angewendet werden könne. Dennoch stellten Militärs, die im Zusammenhang mit dem Massaker an 15 Zivilisten im Lima-Stadtviertel Barrios Altos 1991 und an neun Studenten und einem Professor der Universität La Cantuta 1992 unter Anklage stehen, einen Antrag auf Verjährung.

Berichten zufolge hatten Rey und seine Berater bereits lange vor dem Parlamentsentscheid, den Präsidenten mit gesetzgebenden Vollmachten auszustatten, an dem Gesetzesdekret gefeilt. Dass die dahinter verborgenen Absichten am 10. September bekannt wurden, ist investigativen Journalisten zu verdanken. Sie hatten herausgefunden, dass sich Rey mit Sergio Tapia, dem Anwalt Giampietris im Fall des Frontón-Massakers, getroffen hatte, um dem Dekret den letzten Schliff zu geben.

Das Treffen fand am 24. August statt, einen Tag, bevor der Legislativerlass dem Ministerrat präsentiert wurde. Den Journalisten zufolge war auch der Anwalt Fujimoris, César Nakasaki, zu Rate gezogen worden. Nakasaki begab sich zudem am 6. September ins Verteidigungsministerium, um die Begründung zugunsten des Gesetzesdekrets zu überprüfen.

"Es gab einen klaren Interessenkonflikt. Wir können nicht erlauben, dass staatsfremde Personen in Zusammenhang mit dem Verteidigungsministerium rechtliche Normen erarbeiten", sagte der Abgeordnete Yonhy Lescano. "Aus diesem Grund musste es abgeschafft werden." (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2010