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LATEINAMERIKA/1215: Brasilien - Viel Gewalt, wenig Land; Indigene üben Kritik an Lula-Regierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Januar 2011

Brasilien: Viel Gewalt, wenig Land - Indigene üben Kritik an Lula-Regierung

Von Fabíola Ortiz


Rio de Janeiro, 12. Januar (IPS) - Die Lösung von Landkonflikten gehörte nicht zu den Prioritäten der brasilianischen Regierung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011). In den acht Jahren von Lulas Amtszeit wurden gerade einmal 88 indigene Grundstücke demarkiert, lautet die Bilanz der Pro-Indigenen-Organisation CIMI.

Nach offiziellen Angaben waren bis 2009 18,6 Millionen Hektar Land als Ureinwohnergebiete ausgewiesen worden. CIMI hingegen, die Brasiliens Katholischen Bischofskonferenz nahe steht, spricht von 14,3 Millionen Hektar.

Ingesamt habe Lula weniger zustande gebracht als seine beiden Amtsvorgänger Fernando Henrique Cardoso (1995-2003) und Fernando Collor de Mello (1990-1992), moniert der Vizepräsident der Organisation, Roberto Antonio Liebgott. So übertrug Cardoso den Ureinwohnern Brasiliens 147 Gebiete von einer Gesamtfläche von 36 Millionen Hektar, Collor de Mello 128 Territorien, die 32 Millionen Hektar umfassten.

Die Identifizierung, Demarkierung und Registrierung indigener Areale ist in der Verfassung von 1988 festgeschrieben. Bisher wurden 986 dieser Territorien demarkiert, obwohl ein Gesetz von 1996 den Prozess beschleunigen sollte. "Für nur 88 Demarkierungen hätte eine Zeit von zweieinhalb Jahren reichen müssen", sagt der CIMI-Vizeschef.


Hart erkämpfter Erfolg

Besonders schwierig gestaltete sich die Demarkierung von 1,7 Millionen Hektar Land in der Amazonas-Reservation Raposa Serra do Sol im nordbrasilianischen Bundesstaat Roraima, das Landbesitzer den fünf Ethnien - insgesamt 20.000 Ureinwohnern - über Jahrzehnte streitig machten.

Der Kampf um die Anerkennung von Raposa begann in den 1970er Jahren und zog Dutzende Gerichtsverfahren nach sich. 2005 bestimmte Lula per Dekret, dass das Gebiet den Ureinwohnern zugeschlagen wird. Doch die Entscheidung wurde als verfassungswidrig angefochten. Die Anerkennung erfolgte im März 2009 mit einem Urteil des Obersten Bundesgerichts.

Nach Ansicht des Anthropologen Marcos Braga vom Insikiran-Institut für höhere indigene Bildung an der Föderalen Universität von Roraima ließ es der brasilianische Staat bisher an einer übergreifenden Pro-Indigenen-Politik fehlen. Auch bemängelt er, dass Lula sein Versprechen, ein Ministerium für indigene Völker einzurichten, nicht eingehalten habe.

Allerdings würdigt Braga das Engagement des ehemaligen Staatspräsidenten, im Fall Raposa Serra do Sol den entscheidenden Schritt getan zu haben. "Lula hatte den Mut, das zu Ende zu bringen, vor dem sich Collor und Cardoso gedrückt hatten", betonte er. Darüber hinaus habe er die Mittel für die Gesundheitsversorgung der Ureinwohner von 30 Millionen US-Dollar auf 170 Millionen Dollar fast versechsfacht.


Mehr Morde an Ureinwohnern

CIMI verbucht in den letzten acht Jahren eine Zunahme der Gewalt gegen die indigenen Völker des Landes. So wurden zwischen 2003 und 2010 437 Morde an Indigenen gemeldet. Als das blutigste Jahr gilt 2007 mit 92 Toten. Fielen in Lulas erste Amtszeit von 2003 bis 2007 durchschnittlich 45 Indigene pro Jahr einem Gewaltverbrechen zum Opfer, waren es in seiner zweiten Amtszeit durchschnittlich 60 Gewaltverbrechen pro Jahr. In mindestens 45 Fällen gingen die Morde auf Territorialstreitigkeiten zurück.

"Lula trug sicher nicht zur Lösung des Landproblems bei", unterstreicht Liebgott. Er habe den großen Landwirten und Agrounternehmen das Wort geredet. Das 190 Millionen Menschen zählende Land ist Heimat von 736.000 Ureinwohnern, die sich auf 242 Ethnien verteilen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.cimi.org.br/
http://www.funai.gov.br/funai.htm
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97314

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2011