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LATEINAMERIKA/1328: Kuba - Tod eines Gefangenen bringt Regierung unter Druck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Januar 2012

Kuba: Tod eines Gefangenen bringt Regierung unter Druck

von Patricia Grogg


Havanna, 23. Januar (IPS) - Der Tod eines Häftlings hat die Regierung Kubas unter internationalen Druck gesetzt. Menschenrechtsaktivisten im Land erklärten, es handele sich um einen Dissidenten, der sich im Hungerstreik befand. Die Behörden widersprachen und drückten ihr Bedauern über den Tod von Wilman Villar Mendoza aus. Sie konterten Kritik aus Washington angesichts der dort praktizierten Todesstrafe mit dem Vorwurf der "Doppelmoral".

Havanna kommt jedoch in Erklärungsnot, weil Ende März Papst Benedikt XVI. den Karibikstaat besuchen wird. Das katholische Kirchenoberhaupt wird unter anderem eine Messe in Villar Mendozas Heimatstadt Santiago de Cuba im Osten der Insel zelebrieren. Der Tote wurde bereits in einem Vorort beigesetzt.

Wie aus einer Mitteilung der Regierung hervorgeht, die am 21. Januar in der staatlichen Zeitung 'Granma' erschienen ist, verbüßte Villar Mendoza eine vierjährige Haftstrafe, weil er für schuldig befunden worden war, seine Frau öffentlich angegriffen und verletzt zu haben.


Häftling gehörte Oppositionspartei an

Der Menschenrechtsaktivist Elizardo Sánchez erklärte hingegen gegenüber IPS, dass der 31-Jährige der oppositionellen Patriotischen Union Kubas angehörte. Seit seiner Inhaftierung im vergangenen November habe er sich im Hungerstreik befunden. Sánchez sprach von einer "Tragödie, die hätte verhindert werden können".

Die Regierung hingegen hat nach eigenen Angaben "reichliche Beweise und Zeugenaussagen", die belegen, dass Villar Mendoza weder "Dissident" gewesen sei noch die Nahrung verweigert habe. Seine Verbindungen zu Oppositionskreisen seien erst nach dem Gerichtsverfahren bekannt geworden, hieß es. "Konterrevolutionäre Elemente" hätten ihn in den irrigen Glauben versetzt, dass ihn seine Mitgliedschaft in diesen Gruppen vor dem Zugriff der Justiz schützen könne.

Nach offizieller Darstellung starb der Häftling am 19. Januar in einem Krankenhaus an multiplem Organversagen nach einem schweren septischen Schock. Seine engsten Angehörigen seien über alle Maßnahmen zu seiner ärztlichen Behandlung informiert gewesen, heißt es aus Havanna.

In einer gesonderten Mitteilung an die Auslandskorrespondenten in Kuba warf die Leiterin der Nordamerika-Abteilung im Außenministerium, Josefina Vidal Ferreiro, US-State Department und Weißem Haus "Scheinheiligkeit" und "Doppelmoral" vor.

Washington hatte den Verstorbenen als "mutigen Verteidiger der Menschenrechte in Kuba" gewürdigt und eine internationale Untersuchung seines Todes gefordert. Die US-Regierung verlangte zudem, dass Vertreter der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz "vollständigen Zugang" zu den Gefängnissen in dem Inselstaat erhalten sollten.


Kritikern moralische Autorität abgesprochen

Vidal wiederum hielt den USA vor, seit Anfang vorletzten Jahres 90 Gefangene hingerichtet zu haben. Weitere 3.222 Häftlinge säßen in Todestrakten. Die US-Regierung unterdrücke jegliche Kritik gegen dieses Unrecht, erklärte sie.

Ein weiterer Beamter des kubanischen Außenministeriums, dessen Name nicht bekannt wurde, stellte sich gegen die Kritik der konservativen Regierung Spaniens und der Europäischen Union. Weder Madrid noch Brüssel besäßen die moralische Autorität, um über Kuba zu urteilen, sagte er der Agentur 'Prensa Latina'.

Bereits im Februar 2010 hatte der Tod eines hungerstreikenden kubanischen Häftlings hohe Wellen geschlagen. Orlando Zapata Tamayo war gestorben, nachdem er 85 Tage lang jede Nahrung verweigert hatte. Staatspräsident Raúl Castro gelang es, durch einen beispiellosen Dialog mit der katholischen Kirche die Kritik abzuschwächen.

Die Unterredungen mit dem Erzbischof von Havanna, Kardinal Jaime Ortega, und dem Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz in Kuba, Dionisio García, führten dazu, dass bis Anfang 2011 etwa 130 Gefangene freigelassen wurden. Ende des vergangenen Jahres begnadigte der Präsident außerdem fast 3.000 Häftlinge. Auch mehr als 80 ausländische Gefangene sollen vorzeitig entlassen werden. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2012