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LATEINAMERIKA/1342: El Salvador - Kriegsopfer fordern Gerechtigkeit und Entschädigungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. März 2012

El Salvador: Kriegsopfer fordern Gerechtigkeit und Entschädigungen

von Edgardo Ayala


Tecoluca, El Salvador, 27. März (IPS) - Was Mercedes Alfaro den Juristen und Menschenrechtlern anvertraute, die dem sogenannten Tribunal zur Anwendung der Wiedergutmachungsjustiz in El Salvador vorsaßen, hatte sie noch keinem Außenstehenden berichtet: den Hergang eines Massakers, das die Streitkräfte des zentralamerikanischen Landes im Juni 1982 in El Guajoyo angerichtet hatten.

El Guajoyo ist eine Region im Verwaltungsbezirk Tecoluca in der zentralen Provinz San Vicente, wo die Armee im Juni 1982 rund 200 Menschen niedermetzelte. Unter den Opfern waren auch die Eltern und Geschwister der Augenzeugin Alfaro. "Es fühlt sich schlimm an, wenn man die Menschen verliert, die man liebt", sagte die inzwischen 50-jährige Überlebende vor dem Ethikgericht.

Der 'Prozess', der vierte seiner Art in dem ehemaligen Bürgerkriegsland, fand vom 21. bis 23. März in der Ortschaft Tecoluca statt. Er bot den Opfern eine Plattform, um über das erlittene Leid zu sprechen. Wie Alfaro berichtete, hatten die Menschen vergeblich versucht, sich vor der anrückenden Armeeeinheit in Sicherheit zu bringen. Sie wurden am Ufer des Flusses Lempa gestellt und niedergemäht.

Einige Menschen konnten über den Fluss entkommen. Etliche Kinder, von ihren Eltern in ein Boot gesetzt, wurden aus der Luft beschossen und umgebracht. "Ihre Leichen wurden vom Fluss weggeschwemmt", berichtete Alfaro, die nach dem Blutbad von den Soldaten gezwungen worden war, für sie zu kochen.


Mehr als 120 Massaker

Der Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 kostete 75.000 Menschen das Leben. 8.000 Opfer forderten allein die 124 Massaker, die eine Wahrheitskommission nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und den Rebellen der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) untersucht hatte. Die FMLN ist inzwischen eine reguläre Partei, die erstmals den Präsidenten des Landes stellt.

Allerdings hat sich die Wahrheitskommission nicht mit dem Massaker von El Guajoyo beschäftigt. Somit waren die Juristen und Menschenrechtler, die dem 'Tribunal' in diesem Monat als Richter vorsaßen, die ersten, die sich die Aussagen der Augenzeugen anhörten. "Wir wollten einen Raum schaffen, an dem die Opfer frei sprechen können und gehört werden", sagte der Vorsitzende der Juristenorganisation 'Abogados del Mundo' mit Sitz im spanischen Valencia, José Ramón Juániz, einer der sechs 'Richter'.

Eigentlich wollen die Ethikgerichte auch den Tätern die Möglichkeit geben, den Opfern Rede und Antwort zu stehen, um den Versöhnungsprozess zu beschleunigen. Doch die meisten verschanzen sich hinter dem Amnestiegesetz von 1993, das ihnen Straffreiheit einräumt. Fast alle Massaker gehen auf das Konto der Armeeangehörigen.

"Sie sollen kommen und uns um Vergebung bitten", meinte dazu der 58-jährige Überlebende des Massakers von 1981 in Cacapera im nördlichen Departement Morazán, das 60 Erwachsenen und zehn Kindern das Leben kostete. "Ich bin bereit, diesen Menschen zu verzeihen, wenn sie mir sagen 'Ja, ich habe deine Kinder getötet'."


Festhalten an umstrittenem Amnestiegesetz

Seit langem fordern Menschenrechtsaktivisten und Überlebende vergeblich die Abschaffung des Amnestiegesetzes. Staatspräsident Mauricio Funes, ein ehemaliger Kämpfer der FMLN, hat sich zwar im Namen des Staates für das Massaker von El Mozote entschuldigt, weigert sich aber strikt, eine Diskussion über das Thema zu beginnen. In El Mozote waren 1981 rund 1.000 Zivilisten massakriert worden.

"Das ist eine Regierung, die sich bei den Opfern entschuldigt, die Täter jedoch schützt", meinte dazu Benjamín Cuéllar von Menschenrechtsinstitut der Zentralamerikanischen Universität (IDHUCA), das die symbolischen Gerichtsverfahren organisiert.

Die von dem Gericht gefällten 'Urteile' sind zwar unverbindlich, die ihnen zugrunde liegenden Unterlagen könnten aber zu einem späteren Zeitpunkt - etwa bei internationalen Menschenrechtsverfahren - verwendet werden. Auf Forderungen der 'Richter', die Opfer zu entschädigen, ist in El Salvador bisher noch keine Regierung eingegangen.

Überlebende des Bürgerkriegs fordern neben Entschädigungen auch die Öffnung der Armeearchive, eine Entschuldigung von Seiten der Täter und die Entfernung einer Büste von Roberto d'Aubuisson (1944-1992) von einem Platz in der Hauptstadt San Salvador. D'Aubuisson war der Gründer der Todesschwadronen, die gemeinsam mit den Streitkräften etliche Massaker durchgeführt hatten. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.uca.edu.sv/publica/idhuca/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100411

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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2012