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LATEINAMERIKA/1385: Argentinien muss Zinsen auf Restschulden begleichen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 49 vom 7. Dezember 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Argentinien muss Zinsen auf Restschulden begleichen

New Yorker Gerichtsurteil wird auch auf Griechenland wirken

von Günter Pohl



In Sachen Griechenland-Krise ist der Vergleich mit Argentinien - so leicht hinkend er auch ist - ein wichtiger Hinweis. Nach der Situation im Dezember 2001, bei der aus der wirtschaftlichen eine handfeste politische Krise wurde, hatte Argentiniens Regierung 2002 die feste Bindung an der US-Dollar aufgegeben, die das Land bei seinen Nachbarn unhaltbar teuer und damit für Importe unattraktiv gemacht hatte.

Nach und nach gewann Argentinien, zusätzlich gebeutelt durch den Ausverkauf der staatlichen Industrien in den Neunziger Jahren, an Wirtschaftskraft zurück. Die sozialen Unterschiede wurden zwar nicht überwunden, aber das das hatte die "linksperonistische" Regierung (zunächst unter Néstor Kirchner, dann unter dessen Ehefrau Cristina Fernández) auch nie vor. Es ging um die Wiederflottmachung des kapitalistischen Wirtschaftsmodells über eine Reorganisierung des Staats an sich, und das scheint gelungen.

Um nicht von der durch die Militärdiktatur (1976-1983) und die rechtsliberalen Regierungen der Menem-Ära (1989-1999) aufgehäuften Schulden erdrückt zu werden, setzte Argentinien 2005 auf den "Großumtausch" ("Mega-Canje" genannter Umschuldungsprozess, mit dem 76 Prozent der Anleger teilbezahlt wurden) und dann im Juni 2010 auf einen zweiten Umschuldungsdeal. Dabei konnten von den verbliebenen 24 Prozent, die 2005 nicht auf Teile ihrer Anleihen verzichten wollten, weitere Gläubiger zu einem Vergleich bewegt werden, bei dem sie auf zwei Drittel verzichteten. Damit fiel die nicht geregelte Restschuld auf 6,2 Milliarden US-Dollar, was nach Angaben von Frau Fernández 7,6 Prozent der 2001 als "nicht rückzahlbar" deklarierten Schuldenmenge ausmachte. Es bleibt festzuhalten, dass es sich gegenüber denen, die 2005 in Erwartung, dass das Kapitel "für immer geschlossen" wird, auf Geld verzichteten, um Betrug handeln dürfte, da 2010 letztlich noch hohe Zinszahlungen vereinbart wurden - man also fünf Jahre später besser wegkam als beim "Mega-Canje".

Nun ist eine ebenfalls nicht unerwartete Entwicklung eingetreten: ein New Yorker Distriktsgericht hat am 21. November verfügt, dass die Zinsen auf die Restschuld mit denen, die sich nie auf einen Umschuldungsdeal eingelassen hatten, nun "so schnell wie möglich" geregelt werden müsse. Gesprochen wird in dem Urteil vom 15. Dezember 2012. Die argentinische Regierung ging mit dem Argument einer "Willkürentscheidung" in Berufung und beklagte sich darüber überhaupt in den USA verklagt werden zu können. Aber im Gegensatz zu einigen anderen lateinamerikanischen Staaten hat Argentinien seine Mitgliedschaft im CIADI (spanisches Kürzel für "Internationales Zentrum zur Streitschlichtung bei Investitionen"; engl.: ICSID) nie aufgegeben und unterliegt daher seiner Gerichtsbarkeit. Das CIADI/ICSID bearbeitete 2010 32 Prozent der Klagen gegen die derzeit 158 Mitgliedstaaten (147 haben die Regularien ratifiziert) allein gegen Argentinien, bei 48 Prozent gegen lateinamerikanische Staaten insgesamt.

Nach Angaben von Julio Gambina, argentinischer Kommunist und Vorsitzender der "Stiftung gesellschaftliche und politische Forschung" (FISYP), geht es bei den in Frage stehenden Summen um Nennwerte von etwa 7 Milliarden (Schulden) sowie 1,6 Milliarden (Zinsen) US-Dollar. Julio Gambina schließt treffend, dass die Schulden einst als Bedingung für eine bestimmte Wirtschaftspolitik herhielten und dabei gleichzeitig die wirtschaftliche, politische und juristische Abhängigkeit des Landes vertieft hätten.

Was lehrt dieses Urteil in Sachen Griechenland, sollte die Berufung scheitern? Dass sich niemand auf einen Vergleich bei eigenen Verlusten einlassen wird, wenn er aus Argentinien lernt: denn zuerst erhielten die, die länger warteten, mehr Geld. Und dann kommen diejenigen, die sich bis zum Schluss resistent zeigen, letztlich doch noch an ihr Geld, wenn es a) die juristische Möglichkeit dazu gibt (das dürfte in den Euro-Verträgen auch für den Fall eines Rückzugs aus der Zone geregelt sein - und Griechenland ist seit 1969 ICSID-Mitglied) und b) eine Regierung, die nicht konsequent aus dem kapitalistischen Verschuldungsgeschäft aussteigen will. Spätestens ein Jahrzehnt nach dem mittelfristig kommenden Schuldenschnitt wird sich Griechenland mit dieser Problematik auseinandersetzen müssen - denn wie viele Gläubiger willigen in eine Umschuldung ein, wenn am Ende doch die gerichtliche Auseinandersetzung möglich ist? Die Erfolgsaussichten hierbei werden bei links blinkenden, aber nicht dahin abbiegenden Regierungen übrigens nicht schlechter, sondern eher besser. Denn diese werden aus Angst vor der Rückkehr der Krisenverursacher vom Volk gestützt.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, 49 vom 7. Dezember 2012, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2012