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LATEINAMERIKA/1412: Brasilien - Eskalation von Landkonflikt in Pará befürchtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2013

Brasilien: Eskalation von Landkonflikt in Pará befürchtet - Umsetzung der Agrarreform schleppend

von Fabíola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Die BR-155 führt verläuft durch den Amazonas-Regenwald. Wald ist Weiden gewichen
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Marabá, Brasilien, 2. Mai (IPS) - Im nordbrasilianischen Amazonasbundestaat Pará bahnt sich ein neuer Landkonflikt an. Seit mehr als zehn Jahren warten landlose Bauern vergeblich darauf, im Rahmen des staatlichen Landreformprogramms das Landgut Itacaiunas im Bezirk Marabá rund 680 Kilometer von der Pará-Hauptstadt Belém entfernt in ihren Besitz zu bringen. Nun wollen sie sich das Grundstück im Alleingang sichern.

Eigentümer der Hazienda ist das Agrarunternehmen 'Agro Santa Bárbara', das in Pará mindestens 600.000 Hektar Land besitzt. Seit 2002 verlangt die Vereinigung der Landarbeiter von Pará (FETAGRI), das Itacaiunas - Grundstück im Rahmen der Landreform zu enteignen. Es wird bereits von 300 Bauernfamilien besetzt gehalten. Ende April kündigten sie an, sich dauerhaft auf dem Gelände niederzulassen. Das Unternehmen wiederum droht damit, die Militärpolizei einzuschalten.

"Die Gruppe der Invasoren hat vor, das Gut zu verlosen. Ziel ist es, die illegale Besetzung auszuweiten", meinte Agro Santa Bárbara in einer Mitteilung. "Das ist ein weiteres Vergehen der Invasoren, die die Hazienda unter ihre Kontrolle gebracht haben und anderen Personen den Zutritt verbieten."

Die Gefahr eines gewaltsamen Zusammenstoßes ist real, treiben in der Region bewaffnete Gruppen ihr Unwesen, die von den Eigentümern der Hazienda bezahlt werden. Wie der Anwalt José Batista von der Pastoralen Landkommission gegenüber IPS berichtet, hat das Unternehmen bereits bewaffnete Wächter abgestellt. Zudem lägen Informationen vor, wonach es das Weideland vergiftet habe, um die Familien zum Abzug zu zwingen. "Das hat die Spannungen weiter erhöht und die Bauern veranlasst, noch mehr Land zu besetzen."

Batista zufolge hatte die Regierung bereits 2010 die Enteignung der Farm beschlossen. Doch der Agrarkonzern legte Widerspruch ein und erreichte die Aussetzung der Titelvergabe an die landlosen Bauern durch das Nationale Institut für Besiedelung und Landreform (INCRA). "Die Familien sind fest entschlossen, ihr Vorhaben durchzuziehen. Allerdings wollen sie das Problem auf friedliche Weise lösen", sagt er.


Querelen um Abfindung

Derzeit wird noch über den Betrag diskutiert, mit dem Agro Santa Bárbara für die Aufgabe ihrer Ansprüche entschädigt werden soll. Das Unternehmen erklärte sich zwar zunächst dazu bereit, das Land für 11,5 Millionen US-Dollar abzutreten, weigert sich aber, für Umweltschäden in Höhe von drei Millionen Dollar aufzukommen, die durch die Umwandlung der Wälder in Weideland entstanden sind. Inzwischen hat sie einen Bericht vorgelegt, in dem der Wert des Anwesens auf 21 Millionen Dollar geschätzt wird.

Batista zufolge ist die umstrittene Hazienda 10.600 Hektar groß und wird nicht landwirtschaftlich genutzt - eine Grundvoraussetzung für die Enteignung. Angeblich sollen mehr als 60 Prozent der Fläche ohnehin der öffentlichen Hand gehören.

Zu den meisten Landstreitigkeiten und Zusammenstößen mit Todesfolge kommt es im Amazonasgebiet, wo Landwirtschaft, Infrastrukturprojekte und Bergbau immer weiter vorrücken und Hauptursachen der Gewalt im Süden und Südosten von Pará sind.

Brasiliens zweitgrößter Bundesstaat ist führend, was Morde und Menschenrechtsverletzungen infolge von Landstreitigkeiten angeht. Nach Angaben der Pastoralen Landkommission wurden dort in den Jahren 1964 bis 2010 914 Landarbeiter, Gewerkschaftler, Juristen und Kirchenvertreter umgebracht. 654 der Verbrechen wurden im Süden und Südosten von Pará begangen.

Doch sind die Daten nicht wirklich repräsentativ, weil viele Fälle erst gar nicht publik gemacht werden, wie der Bericht 'Menschenrechtsverbrechen im Süden und Südosten von Pará' anmerkt, den die Pastorale Landkommission zusammen FETAGRI und anderen Einrichtungen im März 2013 veröffentlicht hat. "Was die Arbeit der Justiz angeht, liegen zwischen dem Verbrechen und der Bestrafung der Täter Lichtjahre", meint Batista. Von den 914 bekannten Verbrechen kamen gerade einmal 18 vor Gericht.

Von 1980 bis 2003 wurden im Süden und Südosten von Pará 35 Massaker angerichtet, die insgesamt 212 Landarbeitern das Leben kosteten. Es gibt Gerichtsverfahren, die bereits seit 25 Jahren laufen.

Auch Morddrohungen sind gang und gäbe. Dem Bericht zufolge wurden in ganz Brasilien im Zeitraum von 2000 bis 2011 165 Menschen mit dem Tode bedroht und 42 von ihnen tatsächlich umgebracht. In Pará erhielten im gleichen Zeitraum 71 Personen Morddrohungen, 18 von ihnen fielen einem Anschlag zum Opfer.


"Agrarreform ist eine Utopie"

"Die Agrarreform ist eine Utopie. Die Gewalt in Pará nimmt immer weiter zu und die verbreitete Straflosigkeit verhindert Fortschritte bei der Aufklärung der Verbrechen", meint Adebral Lima Júnior von der Menschenrechtskommission der brasilianischen Anwaltskammer in Pará.

Marianne Anderson von der Stiftung 'Right Livelihood Award' hält eine Internationalisierung des Konflikts für einen Weg, Druck aufzubauen, um eine Lösung zu erreichen. Sie hatte einer Solidaritätsmission angehört, die im letzten Monat die umstrittene Hazienda besucht hatte.

"Wir dürfen niemals über diese Ungerechtigkeiten und Morde schweigen", sagte Anderson, eine ehemalige schwedische Abgeordnete. "Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele Verbrechen im Zusammenhang mit Umwelt und Land wie in Brasilien begangen. Das ist völlig inakzeptabel."

Die Stiftung, die alljährlich den alternativen Nobelpreis vergibt, wird nach eigenen Angaben ihr internationales Netzwerk für Protestschreiben an die brasilianischen Botschaften in aller Welt nutzen. "Wir verlangen, dass die brasilianische Regierung die Agrarreform schleunigst umsetzt, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/www.cptnacional.org.br
http://institutocultivar.org/sites/default/files/Dossie%20Direitos%20Humanos%20Par%C3%A1.pdf
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102787

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2013