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LATEINAMERIKA/1473: Kolumbien entscheidet sich für den Frieden - Jetzt braucht es breite Allianzen (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Kolumbien entscheidet sich für den Frieden
Jetzt braucht es breite Allianzen

Von Hans Mathieu
Juli 2014



• Die Wiederwahl von Präsident Santos ermöglicht den Abschluss von Friedensabkommen mit der kolumbianischen Guerilla. Die 2012 begonnenen Verhandlungen mit den FARC sind bereits weit fortgeschritten, mit dem kleineren ELN wird noch über die Festlegung der Verhandlungsagenda gestritten. Voraussichtlich wird es bis Ende 2015 tragfähige Friedensabkommen geben.

• Mit den FARC wurden bisher eine Landreform ohne Enteignungen vereinbart, eine Demokratisierung der Politik und ein Programm der alternativen Entwicklung, um den Anbau der Rohstoffe für illegale Drogen zu reduzieren. Die FARC bekennen sich im Gegenzug zur pluralistischen Demokratie, sichern die Beendigung jeglicher Verbindung zur Drogenwirtschaft und die Niederlegung der Waffen zu, sagen der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab und akzeptieren, dass sie sich ihren Opfern stellen müssen.

• Nach der Niederlage im ersten Wahlgang gegen den Kandidaten der Rechten, Zuluaga, verdankt Santos seinen Stichwahlsieg den regionalen Wahlfürsten seiner Parteienkoalition sowie der politischen Linken, die sich zur Unterstützung des Friedensprozesses fast geschlossen hinter ihn stellte. Potenzial für eine breite Mitte-Links-Koalition für die Umsetzung einer Friedensagenda besteht über die Regierung Santos hinaus. Santos' unmittelbarer politischer Spielraum ist jedoch angesichts der fehlenden Senatsmehrheit enger, in Zukunft wird er gegenüber den regionalen Interessen mehr Zugeständnisse machen müssen.

• Eine Implementierung der zukünftigen Friedensabkommen wird nur möglich sein, wenn Santos eine über seine eigene Regierungszeit hinausreichende breite Allianz mit Unterstützung der modernen Unternehmerschaft bilden kann. Sonst wird der Friedensprozess in Kolumbien am Widerstand der Nutznießer des Konfliktes scheitern, die sich hinter Uribe und seinem Centro Democrático versammelt haben.

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Wahlen 2014 in Kolumbien: Krieg oder Frieden

Bei den kolumbianischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im März und Mai bzw. Juni 2014 ging es hauptsächlich darum, ob Präsident Juan Manuel Santos die Friedensverhandlungen mit den Guerillas der FARC(1) und ELN(2) fortsetzen kann. Santos, ehemals Verteidigungsminister unter seinem Vorgänger Alvaro Uribe, wurde 2010 noch mit dessen Unterstützung gewählt. Er setzte zwar die Sicherheitspolitiken seines Vorgängers fort, wandte sich jedoch zunehmend von ihm ab, u. a. mit einer außenpolitischen Annäherung an Venezuela, der Anerkennung der Existenz eines internen bewaffneten Konfliktes, der Entschädigung der Opfer des Konfliktes sowie der Rückgabe von Land an Vertriebene. Grundlage der politischen Unabhängigkeit Santos' von Uribe war eine breite Parteienkoalition, die Unidad Nacional. Diese bestand auf der einen Seite aus seiner eigenen »U-Partei«(3) und der Konservativen Partei, die zuvor beide die parlamentarische Basis von Uribe bildeten, und auf der anderen Seite aus Cambio Radical und der Liberalen Partei, die zuvor in Opposition zu Uribe standen. Zusammen verfügte die Unidad Nacional über drei Viertel der Sitze im Parlament, nach dem Beitritt der Grünen Partei zeitweilig sogar vier Fünftel.

Das wachsende Zerwürfnis zwischen Uribe und Santos erreichte seinen Höhepunkt, als Santos im August 2012 die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit den FARC bekanntgab. Während die Verhandlungen sich deutlich länger hinzogen als von Santos erwartet, bildete Uribe seine eigene politische Bewegung für die Wahlen 2014, das Centro Democrático (CD), als Sammelbecken der autoritären und paternalistischen Rechten und der Konfliktgewinnler_innen. Santos' solide Mehrheit im Parlament war mit der Gründung des CD durch Uribe gefährdet, der auf der Grundlage seiner nach wie vor hohen Zustimmung in der Bevölkerung in den Parlamentswahlen 2014 zumindest eine Sperrminorität im Senat anstrebte. Diese hätte die Umsetzung eines zukünftigen Friedensabkommens in geltendes Recht im Parlament verhindern können. Uribe selbst führte als Spitzenkandidat die Liste des CD für den Senat an. Da er selbst nach zwei Amtsperioden nicht mehr für das Amt des Präsidenten kandidieren konnte, kürte er seinen ehemaligen Finanzminister Óscar Iván Zuluaga zum Präsidentschaftskandidaten des CD. Ein Wahlsieg von Zuluaga in den Präsidentschaftswahlen hätte zum Ende der Friedensverhandlungen und der Fortsetzung des Konfliktes bis zur Unterwerfung der Guerilla geführt. Weitere Reformen der Regierung Santos wären entweder rückgängig gemacht oder nicht weiter implementiert worden, so z.B. die Entschädigung der Opfer und die Rückgabe von Land an Vertriebene. Zudem gab es Befürchtungen, dass sich Korruption und Menschenrechtsverletzungen der vorherigen Regierungen Uribe wiederholen könnten.

Vielversprechende Friedensverhandlungen

In den im Herbst 2012 begonnenen Friedenverhandlungen zwischen der Regierung Santos und den FARC stellten sich die FARC als zähe und geschickte Unterhändler heraus. Während Santos zunächst davon ausging, bis November 2013 und damit rechtzeitig vor den Wahlen ein Abkommen unter Dach und Fach zu haben, waren bis zu diesem Zeitpunkt nur zwei der sechs Themen der Verhandlungsagenda abgearbeitet.

Die der Aufnahme der Verhandlungen zugrundeliegenden Kräfteverhältnisse und Interessenlagen sind jedoch nach wie vor unverändert: Für die FARC ist ein militärischer Sieg nicht mehr möglich und ihre im Gegenzug zur erfolgreichen militärischen Offensive von Uribe und Santos entwickelte Strategie von terroristischen Anschlägen ist politisch kontraproduktiv. Ihre verbleibenden 7000 bis 8000 bewaffneten militärischen Kräfte und schätzungsweise 30.000 Milizen sind aber nach wie vor zu kohärenten militärischen und terroristischen Aktionen fähig und werden auf Jahre hinaus ihre Guerilla-Aktivitäten fortsetzen können. Mit der Beendigung des bewaffneten Konfliktes mit der Guerilla eröffnet sich für Kolumbien die Möglichkeit, die anderen organisierten Gewaltakteure in Kolumbien zu befrieden und das staatliche Gewaltmonopol sowie staatliche Dienstleistungen flächendeckend im Lande zu etablieren, während die FARC als zivile politische Kraft ihre politischen Ziele und Interessen verfolgen könnten. Für beide Seiten ist also das Ende des Konfliktes von Interesse.

Diese gemeinsamen Interessen haben trotz des zähen Verhandlungsfortschritts zu insgesamt konstruktiven und teilweise überraschenden Ergebnissen bei den drei bisher verhandelten Themen geführt:

• Beim Thema der »integrierten ländlichen Entwicklung« wurde eine umfangreiche Landreform vereinbart, allerdings ohne Enteignungen. Ausnahme: illegal in Besitz gebrachtes oder mit illegalen Geldern gekauftes Land, was aber bereits geltendem Recht entspricht. Die Reform wird ergänzt durch Maßnahmen des Schutzes des Eigentums und der technischen und finanziellen Dienstleistungen für Kleinbauern und -bäuerinnen;

• Bei den Fragen zur »politischen Beteiligung« sagte die Regierung eine Demokratisierung der Politik durch erweiterte Beteiligungsformen, besseren Zugang zu den staatlichen Medien, zusätzliche spezielle Sitze im Parlament für Konfliktgebiete und Sicherheitsgarantien für soziale Proteste und Oppositionsparteien zu, insbesondere für die zukünftige Partei der FARC;

• Hinsichtlich der »Lösung des Problems der illegalen Drogen« einigten sich beide Seiten auf ein umfangreiches Programm der alternativen Entwicklung zur Beendigung des Anbaus der Rohstoffe für illegale Drogen, auf Straffreiheit für den Anbau dieser Rohstoffe bei gleichzeitiger Vernichtung der Pflanzen und auf die Entkriminalisierung des Konsums, unter Beibehaltung des Verbotes aller illegalen Drogen.

Im Zuge der Verhandlungen bekannten sich die FARC zur pluralistischen Demokratie, sicherten die Beendigung jeglicher Verbindung zur Drogenwirtschaft und die Niederlegung der Waffen zu und sagten der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab. Zum Auftakt der Verhandlungen zum Thema »Opfer« akzeptierten die FARC, dass auch sie sich ihren Opfern stellen müssen. Regierung und FARC vereinbarten außerdem einen Wahrheitsfindungsprozess und die Bildung einer Kommission, die unabhängig von der Wahrheitsfindung zwischen Täter_innen und Opfern der Frage der historischen Verantwortung aller beteiligten Akteure für den bewaffneten Konflikt nachgehen soll. Noch zu verhandeln sind die Einzelheiten der Transitionsjustiz und damit auch der zukünftigen Beteiligung der FARC an der Politik inklusive ihrer zukünftigen politischen Rolle in den heute von ihnen kontrollierten Gebieten, die Niederlegung der Waffen und die Form der Umwandlung des Abkommens in geltendes Recht.

Mit der ELN sind die Verhandlungen noch in der Phase der Festlegung der Verhandlungsagenda. Die ELN drängen vor allem darauf, über Formen und Umfang der Rohstoffausbeutung in Kolumbien zu verhandeln. Anders als die FARC ist die ELN in ihrem Ursprung keine bäuerliche Guerilla, sondern von Intellektuellen aus den Traditionen des kubanischen Sozialismus und der Befreiungstheologie geprägt. Ihre Forderungen sind also breiter und weitreichender als die der FARC. So fordern sie z.B. die Sozialisierung der Rohstoffe und ihrer Ausbeutung. Sie verlangen, dass diese Forderungen Gegenstand der Verhandlungen sind, was die Regierung bisher ablehnt. Aus diesem Grund werden sich die Verhandlungen mit der ELN noch hinziehen, obwohl verschiedene Ergebnisse der Verhandlungen mit den FARC einfach übernommen werden könnten, so z.B. die Abkommen über politische Beteiligung und Drogen sowie zukünftige Abkommen über die Transititionsjustiz und die Beendigung des Konfliktes. Obwohl die ELN dogmatischer ist als die FARC, sind letztlich die Perspektiven für ihren bewaffneten Kampf noch schlechter als die der FARC. Das gilt insbesondere dann, wenn es zu einem Abkommen mit den FARC kommt und sich die kolumbianischen Streitkräfte entsprechend auf die ELN konzentrieren können. Auch bei den ELN ist folglich davon auszugehen, dass es ein Abkommen geben wird, obwohl es sich wahrscheinlich wieder länger hinziehen wird als von der Regierung beabsichtigt.

Bei den Wahlen 2014 standen also die bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen und die voraussichtlich erfolgreiche Beendigung des bewaffneten Konfliktes mit der Guerilla auf dem Verhandlungswege auf dem Spiel.

Engere politische Spielräume für Santos nach den Parlamentswahlen

Im Januar entschieden die Parteitagsdelegierten der Konservativen Partei - gegen die Präferenzen der eigenen Parlamentsmitglieder, aber mit Unterstützung von Ex-Präsident Pastrana -, mit einer eigenen Präsidentschaftskandidatin anzutreten: Marta Lucía Ramírez, ehemalige Verteidigungsministerin in der ersten Regierung Uribe von 2002 bis 2006. Damit war auch die Beteiligung der Konservativen Partei an Santos' Unidad Nacional gekündigt. Während Uribe und sein CD es zwar nicht schafften, im Senat eine Sperrminoriät zu erreichen, wurde sie doch auf Anhieb mit 20 Senator_innen zur zweitstärksten Fraktion. Zusammen mit Opción Ciudadana (OC), einer ehemaligen Paramilitärs nahestehenden Partei, und der Konservativen Partei könnte die rechte Opposition damit im Senat über 40 Prozent der Stimmen mobilisieren (Schaubild 1).

Abbildung 1: Mehrheitsverhältnisse im Parlament nach den Wahlen 2014 (Zahl der Sitze).Quelle: La Vacia



Santos' Unidad Nacional erzielte im Abgeordnetenhaus eine klare Mehrheit der Abgeordneten, im Senat ist sie aber auf Stimmen von links oder von rechts angewiesen. Voraussichtlich wird sich die Senatsfraktion der Konservativen Partei mit ausreichenden Posten und klientelistischen Vorteilen zur Rückkehr in die Unidad Nacional bewegen lassen. Sollte dies nicht gelingen, wäre Santos im Senat von der Linken abhängig. Im Mitte-Rechts-Spektrum mussten die Konservative Partei und Santos' U-Partei Verluste zugunsten von Uribes CD hinnehmen. Beide Parteien bezahlten für ihre Unterstützung der Abwendung Santos' von Uribe mit empfindlichen Verlusten an Sitzen. Die U-Partei blieb aber stärkste Fraktion im Senat. Die Liberale Partei, die in den beiden Amtszeiten von Uribe 2002 bis 2010 in der Opposition war, konnte sich dagegen konsolidieren und im Abgeordnetenhaus sogar leicht zulegen.

Auf der Linken verlor der Polo Democrático Alternativo (PDA) ein Drittel seiner Sitze, eine Bestrafung für die Korruption des Ex-PDA-Bürgermeisters von Bogotá, Samuel Moreno, die der PDA toleriert hatte, bis sie Ende 2010 aufgedeckt wurde. Dank der Fusion mit einem Teil der sogenannten Progresistas gelang es der zuvor eher der politischen Mitte zuzurechnenden Grünen Partei nun als eher linksorientierte »Grüne Allianz« (Alianza Verde, AV) ihr Ergebnis von 2010 sogar zu verbessern. Bei den Progresistas handelt es sich um die von Gustavo Petro Ende 2010 nach seinem Austritt aus dem PDA gegründete politischen Bewegung, mit der er in den Kommunalwahlen 2011 selbst zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt wurde. Sie wurden daraufhin zum Sammelbecken von Dissidenten aus dem PDA, darunter Antonio Navarro Wolff, der ehemals wie Petro der M-19-Guerilla angehörte und 2007 bis 2011 Gouverneur der Provinz Nariño war. Auf Grund des erratischen Führungsstils von Petro kam es zu einer De-facto-Spaltung der Progresistas. Die Fraktion unter Führung von Navarro fusionierte mit den Rest-Grünen zur AV.

Regionalfürsten und die Linken retten Santos

Bis Ende April sah Santos wie der sichere Gewinner der Präsidentschaftswahlen aus. Den ersten Wahlgang am 25. Mai gewann aber Zuluaga mit über 500.000 Stimmen Vorsprung deutlich. Im zweiten Wahlgang drehte Santos den Spieß um: Mit mehr als doppelt so viel Stimmen wie zuvor lag er etwa 900.000 Stimmen vor Zuluaga und gewann mit 51 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen (Schaubild 2). Verschiedene Faktoren erklären diese Ergebnisse:

Abbildung 2: Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen 2014 in Prozent.Quelle: Registraduria Nacional


• Vor dem ersten Wahlgang nahm Santos nicht an den gemeinsamen Fernsehdebatten aller Kandidat_innen teil. Die anderen Kandidat_innen konnten sich also der breiten Öffentlichkeit in Abwesenheit von Santos vorstellen. Davon profitierte insbesondere Zuluaga. Im zweiten Wahlgang ging Santos gegen Zuluaga im Fernsehen in den Ring und wurde Sieger nach Punkten.

• Im ersten Wahlgang kommunizierte Santos keine klare Botschaft: Mal wurden die makroökonomischen Ergebnisse der Regierung Santos herausgestellt, die jedoch bei der ländlichen Bevölkerung wenig Resonanz fanden, mal wurde mit dem Argument geworben, dass Santos die begonnenen Reformen erfolgreich zu Ende führen wolle, was jedoch ein implizites Eingeständnis fehlender Ergebnisse war. Im zweiten Wahlgang dagegen gab es eine klare Botschaft: Santos' Frieden gegen den Krieg von Uribe/Zuluaga.

• Die regionalen politischen Fürsten der Unidad Nacional betrieben im ersten Wahlgang keinen aktiven Wahlkampf für Santos. Bei den Parlamentswahlen erreichten die drei Parteien zusammen zwischen 5,0 (Senat) und 5,4 Millionen (Abgeordnetenhaus) Stimmen, während Santos im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen nur 3,3 Millionen Stimmen erhielt. Die Botschaft war klar: Santos würde in einer zweiten Amtszeit auf die regionalen Interessen in der Unidad Nacional mehr Rücksicht nehmen müssen. Nach entsprechenden Zusicherungen kamen die Wahlkampfmaschinen der Parteien auf Touren und verschafften Santos deutliche Stimmenzuwächse.

• Im zweiten Wahlgang unterstützte die parlamentarische und außerparlamentarische Linke inklusive weiter Teile der Gewerkschaften mit wenigen Ausnahmen die Wiederwahl von Santos. Die gemeinsame Linie war klar: die Unterstützung des Friedensprozesses, ohne Aufgabe der Opposition zu den Wirtschafts- und Sozialpolitiken der Regierung Santos. Vor allem in Bogotá, wo er im ersten Wahlgang an dritter Stelle abschnitt, hat Santos seinen Wahlsieg der Linken zu verdanken.

Auch die Unternehmerschaft stellte sich überwiegend hinter Santos und den Friedensprozess. Die direkten Auswirkungen auf das Wahlergebnis dürften eher gering gewesen sein. Wichtiger wird die Unterstützung der Unternehmer_innen bei den notwendigen Steuerreformen und bei der Implementierung der Friedensabkommen werden.

Auf der Seite der Linken hatten sich zu Beginn des Wahlkampfes drei Kandidat_innen für die Präsidentschaft herauskristallisiert. Aida Abella ging als Kandidatin für die wiederbelebte Unión Patriótica (UP) ins Rennen, schloss sich aber nach dem Untergang der UP in den Parlamentswahlen der Kandidatur von Clara López für den PDA als Vize-Präsidentschaftskandidatin an. Enrique Peñalosa gewann die Vorwahlen zur Bestimmung des Präsidentschaftskandidaten der AV, erhielt aber im Wahlkampf nur wenig Unterstützung seiner Partei. Bei seinen Wählern handelt es sich eher um Meinungswähler_innen aus der politischen Mitte, die im Falle einer einzigen Kandidatur der Linken nicht für Clara López gestimmt hätten, während umgekehrt die Wähler_innen von Clara López nicht für Peñalosa gestimmt hätten. Die zeitweilig unter Teilen der Linken verbreitete These, mit einer/m einzigen Kandidat_in eine Chance in den Präsidentschaftswahlen zu haben, ist also zweifelhaft. Dennoch zeigt das Abschneiden von Peñalosa und Lopez und die nachfolgende Unterstützung der Linken für Santos, dass ein Potenzial für eine breite Mitte-Links-Koalition für die Unterstützung des Friedensprozesses und seiner Implementierung über die Regierung Santos hinaus besteht.

Das überraschend gute Ergebnis von Marta Lucía Ramírez - obwohl sie nur von einem Teil ihrer Partei, darunter Expräsident Pastrana sowie jüngere Nachwuchskräfte, unterstützt wurde - zeigt, dass es auf der Rechten eine starke Gruppe von Wähler_innen gibt, die dem Friedensprozess skeptisch gegenüberstehen, aber Uribe nicht bedingungslos unterstützen. Angesichts der Polarisierung im zweiten Wahlgang stimmten sie für Zuluaga. Santos wird diese Wählergruppe jedoch auf seine Seite ziehen müssen, denn bei einer dauerhaften Ablehnung von 45 Prozent der Wähler_innen wird die Implementierung der Verhandlungsergebnisse unmöglich sein.

Ein Friedensabkommen braucht eine breite Allianz

Der Wahlsieg von Santos bedeutet, dass es zum Abschluss von Friedensvereinbarungen kommen wird. Die Verhandlungen mit den FARC sind bereits weit fortgeschritten. Mit dem ELN steht die Verhandlungsagenda noch nicht fest, aber die Fortschritte der Verhandlungen mit den FARC sorgen für Druck auf die ELN. Santos kündigte nach seinem Wahlsieg an, dass er die Verhandlungen bis spätestens Anfang 2015 zu einem erfolgreichen Abschluss bringen will. Dies ist kaum realistisch. Bei den Verhandlungen mit den FARC stehen die für die FARC schwierigsten Themen noch an. Eine realistischere Perspektive für den Abschluss der Verhandlungen ist also eher Ende 2015.

Das Abkommen mit den FARC sieht bereits in seiner jetzigen Form weitreichende Reformen vor, die vor allem den ländlichen Raum betreffen und massive Investitionen in Infrastruktur, institutionelle Reformen und finanzielle sowie technische Unterstützung der Bauern und Bäuerinnen erfordern werden. Auch ohne Enteignungen wird die Umverteilung von Land auf Widerstände treffen. Gleiches gilt für Wahrheitsfindung und Entschädigung. Im Zuge einer erfolgreichen Implementierung werden außerdem zunehmend Kapazitäten für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption und zur Durchsetzung der Landrückgabe an Vertriebene frei werden. Alles Prozesse, die die Interessen der Konfliktgewinnler_innen bedrohen.

Die Implementierung der Abkommen wird über die Amtszeit von Santos hinausgehen, ein Zeithorizont von zehn Jahren dürfte nicht übertrieben sein. Damit sie nicht, wie bei vorherigen Plänen zu Landreformen, im Sande verläuft, wird über die aktuellen parlamentarischen Mehrheiten hinaus eine breite Allianz notwendig sein. Diese Allianz muss die harten Gegner_innen der Friedensabkommen und der sich daraus ergebenden Politiken politisch isolieren und eine breite Mehrheit für ihre Implementierung schaffen. In der Praxis bedeutet dies, dass der nächste Präsident auf der Grundlage der zukünftigen Friedensvereinbarungen wieder mit Unterstützung der Mehrheit der Linken, aber auch derjenigen Konservativen gewählt werden sollte, die dieses Jahr Ramírez gewählt haben. Angesichts der enormen ideologischen, programmatischen und Interessengegensätze sind Zweifel angebracht, ob Präsident Santos eine solche Allianz konstruieren kann. Zumal er nicht zu den Führern gehört, die solche Gegensätze kraft ihres Charismas überbrücken können.

Dennoch bieten sich einige Ansätze an. Zunächst muss die Regierung die laufenden Verhandlungen und ihre Ergebnisse besser kommunizieren. Den meisten Kolumbianer_innen sind die Ergebnisse und ihre Implikationen bisher nicht klar, viele haben sich von den Rattenfängern Uribes einfangen lassen. Der Zusammenhang zwischen Friedensabkommen und täglicher Sicherheit spielt ebenfalls eine große Rolle. So nährt sich die Kritik an den Friedensverhandlungen auch aus der schlechten alltäglichen Sicherheitslage der Kolumbianer_innen. Verbesserungen in diesem Bereich würden viele Kolumbianer_innen auf die Seite von Santos bringen. Entsprechende Reformen des Sicherheitssektors inklusive der Justiz stehen auf der Agenda und könnten schon vor dem Abschluss der Friedensvereinbarungen Fahrt aufnehmen.

Letztlich gilt auch in Kolumbien in Hinblick auf Wählerentscheidungen: »It's the economy, stupid.« Von der guten makroökonomischen Entwicklung Kolumbiens profitiert die breite Bevölkerung bisher nur beschränkt, der ländliche Raum und weite Teile der Landwirtschaft sind in der Dauerkrise. Die Kritik am rohstoffbasierten Entwicklungsmodell Kolumbiens nimmt zu. Sie kommt inzwischen nicht nur aus der Linken, sondern auch aus weiten Teilen der Unternehmerschaft und der Technokratie Kolumbiens. Zu diesem Kreis gehört die Präsidentschaftskandidatin der Konservativen Partei, Ramirez, die sich in dieser Hinsicht deutlich von Uribe und seinen Anhänger_innen absetzt. Während sich die Vorschläge im Einzelnen stark unterscheiden, sind die Schwerpunkte im Prinzip die gleichen: Bildung, Infrastruktur, Wissenschaft, Forschung, Innovation, Landwirtschaft und Industrie.

Die Linke ist, obwohl sie viele der Politiken von Santos ablehnt, zur Bewahrung des Friedensprozesses über ihren Schatten gesprungen. Da der Friedensprozess mit den Wahlen 2014 und der Regierung Santos II bis 2018 nicht abgeschlossen sein wird, wird sie dies auch weiterhin tun. Vorausgesetzt, Santos bezieht sie stärker in den Prozess ein. Die Grundlagen für einen breiten, parteienübergreifenden Dialog über Frieden und Entwicklungsstrategie sind also vorhanden. Die Bundesrepublik Deutschland sollte in den nächsten Jahren diesen Dialog gezielt fördern. Zugänge und Instrumente dafür sind vorhanden.



Anmerkungen

1) Der vollständige Name der normalerweise als »FARC« bezeichneten Guerilla ist FARC-EP, Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejercito Popular (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens - Volksarmee).

2) Ejercito de Liberación Nacional = Nationale Befreiungsarmee.

3) Die Partido Social de la Unidad Nacional wird in Kolumbien als »U-Partei« (»Partido de la U«) bezeichnet, da die ursprünglich von Santos gegründete Partei die Partei von Expräsident Uribe in den Wahlen 2006 war.



Über den Autor

Hans Mathieu ist Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kolumbien.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2014