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LATEINAMERIKA/1491: Uruguay - Neuanfang für ehemalige Guantánamo-Häftlinge, Regierung will Zeichen setzen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2015

Uruguay: Neuanfang für ehemalige Guantánamo-Häftlinge - Regierung will Zeichen setzen

von Diana Cariboni


Bild: © Diana Cariboni/IPS

Die Ex-Guantánamo-Häftlinge Abdul Bin Mohammed Abis Ourgy und Ali Hussein Muhammed Shaaban in Uruguay
Bild: © Diana Cariboni/IPS

Montevideo, 5. Januar (IPS) - Es sind ungewöhnliche Töne, die an diesem warmen Sommernachmittag in einem direkt am Meer gelegenen Vorort der uruguayischen Hauptstadt Montevideo zu hören sind. Abdul Bin Mohammed Ourgy ruft gläubige Muslime zum Gebet. Erst vor knapp einem Monat ist der Tunesier gemeinsam mit fünf Mithäftlingen aus dem US-Militärgefängnis in Guantánamo auf Kuba entlassen worden.

Als die Männer am 7. Dezember nach zwölf Jahren Gefangenschaft in ihrer neuen Heimat Uruguay ankamen, zückten sie sofort den Kompass, um die Gebetsrichtung zur heiligen Stadt Mekka in Erfahrung zu bringen. Ihre Religion, die ihnen den eigenen Angaben zufolge während der harten Zeit in Guantánamo inneren Halt gegeben hatte, hat für sie auch in dem westlich geprägten Land Uruguay nichts von ihrer Relevanz verloren.

In dem südamerikanischen Staat sind die Araber, die in Guantánamo mit ihren Aufsehern Englisch sprechen mussten, nicht nur mit einer anderen Kultur, sondern auch mit der ihnen bisher unbekannten Sprache Spanisch konfrontiert.

Die vier Syrer, der Palästinenser und der Tunesier hatten sich gegenüber der US-Regierung dazu verpflichten müssen, über ihre Erfahrungen in Guantánamo Stillschweigen zu wahren. IPS traf sie zum zweiten Mal am 30. Dezember in einem Haus im Zentrum von Montevideo, wo die vier Syrer leben.

Einige von ihnen sprechen inzwischen ein paar Brocken Spanisch. Nach wie vor haben sie Mühe, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Sie haben inzwischen wieder Kontakt zu ihren Verwandten, und die uruguayische Regierung unterstützt sie bei der geplanten Familienzusammenführung.


Protest gegen Zwangsernährung in Guantánamo

Der Syrer Jihad Deyab ist dafür bekannt, dass er jahrelang mit Hungerstreiks gegen seine Inhaftierung protestierte und sich gegen seine Zwangsernährung wehrte. In Uruguay kommt er wieder zu Kräften und hofft, bald wieder mit seiner Frau und seinen drei Kindern zusammen sein zu können.

Wie seine Anwältin Cori Crider erklärt, ist Deyabs Fall Gegenstand einer Klage, mit der 16 Medien, die sich auf die US-Verfassung berufen, erreichen wollen, dass Videoaufnahmen von Zwangsernährungsmaßnahmen in Guantánamo der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ihr Mandant unterstütze dieses Anliegen, so Crider.

Es erscheint schwierig, die unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Erwartungen an die Gruppe ehemaliger Guantánamo-Häftlinge miteinander in Einklang zu bringen. Die Regierung von Präsident José Mujica hatte aus humanitären Gründen beschlossen, die Männer als Flüchtlinge aufzunehmen.

Das südamerikanische Land mit nur etwa 3,3 Millionen Einwohnern sei "fast leer", staunt der Palästinenser Mohammed Tahamatan. Das gefällt ihm, wie er sagt. Tatsächlich ist es nach mehreren aufeinanderfolgenden Einwanderungswellen mit dem Wachstum der Bevölkerung vorbei. Hinzu kommt, dass viele junge Uruguayer auf der Suche nach neuen Perspektiven ihr Land verlassen.


Exoten

Allerdings hat der wirtschaftliche Wohlstand Uruguays während der vergangenen zehn Jahre in einem bescheidenen Umfang Zuwanderer aus Spanien, Peru, der Dominikanischen Republik, Indien und Pakistan ins Land gelockt. Das ist eine neue Entwicklung für eine extrem homogene Gesellschaft, die Einwanderer aus muslimisch geprägten Ländern immer noch als Exoten betrachtet.

"Exotismus ist nicht gut und geht mit einer gewissen Angst vor dem Islamismus einher", sagt Javier Miranda, im uruguayischen Präsidialamt zuständig für Menschenrechtsfragen. Sich dies bewusst zu machen, "ist Teil unserer eigenen gesellschaftlichen Entwicklung".

Die Solidaritätsbekundungen gegenüber den 42 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen, die im vergangenen Oktober in Uruguay eintrafen, und den ehemaligen Guantánamo-Häftlingen scheinen aufrichtig gemeint zu sein. Es wird sich allerdings noch zeigen, inwieweit diese Anteilnahme auf die internationale Aufmerksamkeit zurückzuführen ist, die das Land seit der Aufnahme der beiden Personengruppen erfährt.

Da es sich um nur wenige Menschen handelt, hat eine solche Solidarität sehr geringe wirtschaftliche und soziale Kosten. Peruaner, Bolivianer und Dominikaner, die die Armut in ihren Herkunftsländern nach Uruguay getrieben hat, wurden bisher weit weniger beachtet. Einige von ihnen werden in Uruguay als billige Arbeitskräfte ausgebeutet oder fallen dem Menschenhandel zum Opfer.

Für die regierende Mitte-Links-Koalition 'Breite Front' ist es wichtig, dass sich die Aufnahme der syrischen Kriegsflüchtlinge und der einstigen Guantánamo-Insassen als Erfolg herausstellt. In beiden Fällen bekundete Mujica den Wunsch, Uruguay in dieser Frage zum regionalen Trendsetter zu machen. Eine erfolgreiche Integration würde Kritiker zum Schweigen bringen und die Ängste vor möglichen Risiken zerstreuen.


59 Guantánamo-Häftlinge als gefährlich eingestuft

Nach der Entlassung von vier Guantánamo-Häftlingen, die im Dezember nach Afghanistan zurückgeführt wurden, sitzen nun noch 132 Personen in dem US-Gefangenenlager ein. 63 von ihnen sollen bald freikommen. Von den verbleibenden 69 stehen zehn entweder vor Gericht oder wurden bereits verurteilt. 59 werden von den US-Behörden als gefährlich eingestuft. Diese müssen jedoch einräumen, über keine ausreichenden Beweismittel zu verfügen, die eine Verfahrenseröffnung rechtfertigen würden.

Die US-Regierung, die die Gruppe aus sechs Männern gefesselt und mit verbundenen Augen nach Montevideo fliegen ließ, übersandte den Behörden in Montevideo ein Schreiben, in dem erklärt wurde, dass "keine Informationen darüber vorliegen, dass die Personen an terroristischen Aktivitäten gegen die USA oder deren Verbündeten beteiligt waren". Washington plädiert für die Aufnahme der ehemaligen Guantánamo-Häftlinge in Drittstaaten. In den USA selbst wurde die Aufnahme vom US-Kongress blockiert.

Es erscheint paradox, dass Personen, die offensichtlich über Jahre unberechtigterweise festgehalten wurden, nach ihrer Freilassung wie mögliche US-Feinde behandelt werden. Das hat auch bei Uruguayern Befremden ausgelöst. Auch wenn die Menschen den sechs Neuankömmlingen Sympathie und Mitgefühl entgegenbringen, so haben Umfragen gezeigt, dass nur ein Fünftel der uruguayischen Bevölkerung die Ankunft der ehemaligen Guantánamo-Häftlinge begrüßte. (Ende/IPS/ck/2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/12/guantanamo-paradoxes-tested-in-uruguay/
www.ipsnoticias.net/2014/12/las-paradojas-de-guantanamo-planean-en-montevideo/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2015


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