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NAHOST/1011: Libyen - von der Regierung vernachlässigt, der Süden hofft auf neuen Frühling (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. September 2013

Libyen:
Von Regierung vernachlässigt - Der Süden hofft auf neuen Frühling

Von Maryline Dumas


Bild: © Rebecca Murray/IPS

Toubou-Grenzwachen in der Sahara im Süden Libyens
Bild: © Rebecca Murray/IPS

Sebha, Libyen, 26. September (IPS) - "Der Regierung sind wir egal, denn wir kommen aus dem Süden", meint Mohamed Salah Lichekh, Leiter des Oubari- Lokalrats im Süden Libyens. Damit spricht er den Menschen in diesem Teil des Landes aus dem Herzen. Das Gefühl, von Tripolis links liegen gelassen zu werden, eint die drei in der Provinz Fezzan vertretenen Volksgruppen Araber, Toubou und Tuareg.

Obwohl es nach der Revolution, die der Herrschaft von Muammar Gaddafi 2011 ein Ende setzte, zu Zusammenstößen gekommen ist, leben diese drei Ethnien inzwischen in relativer Ruhe zusammen. Es ist die Kritik an der Regierung, die sie zusammenschweißt.

Oubari ist eine vorwiegend von Tuareg bewohnte Stadt rund 200 Kilometer westlich von Sebha, der Hauptstadt von Fezzan. Die 40.000 Einwohner haben ein Problem mit dem Telefonnetz. Und Polizisten sind auf den schlechten Straßen selten zu sehen. "Mein Vetter ist Polizist, doch geht er nur zur Arbeit, um sein Gehalt abzuholen", berichtet ein Libyer, der sich Anonymität ausbat. Und dem Leiter des Sebha- Lokalrats, Ayoub Zaroug, wurde vom Polizeichef gesagt, dass die Sicherheitskräfte sich aus Angst nicht blicken ließen.

Ähnlich desolat sieht die Lage in Mourzouk aus, dem Bezirk im äußersten Süden von Fezzan. In dem vorwiegend von Toubou bewohnten Gebiet fehlen öffentliche Dienstleistungen. "Am 3. September hat es in unserem Ort Agar gebrannt. Wir haben keine eigene Feuerwehr, deshalb haben wir in Mourzouk angerufen. Doch auch dort gab es keine Feuerwehr", schildert der Dorfvorsteher Ibrahim Ahmed den Ernst der Lage.

"Wir haben nichts: keine Armee, keine funktionierende Polizei. Die Sicherheitskräfte haben weder ein Auto, noch ein Telefon. Unterstützung aus Tripolis ist nicht zu erwarten", fügt Ahmed hinzu.


Auf Eigeninitiative angewiesen

Angesichts dieser Basisversorgungsengpässe versuchen die Libyer im Süden ihre Probleme selber zu lösen. In Qahira, einem Armenviertel von Sebha sorgt eine Gruppe aus 60 Revolutionären und lokalen Freiwilligen für Ruhe und Ordnung, wie der Leiter des Slums, Toubou Adam Ahmed, erläutert. Sie patrouillieren mit ihren eigenen Waffen durch die Straßen. Bei Problemen werden die Chiefs eingeschaltet.

Bild: © Maryline Dumas/IPS

Die Berberflagge weht insbesondere im Sebha-Armenviertel Qahira - Die Tuareg (Berbervolk) fordern die Anerkennung ihrer Identität und beklagen gleichzeitig die Abwesenheit der Regierung in Sebha.
Bild: © Maryline Dumas/IPS

Wie Ahmed berichtet, gelingt den meisten Kriminellen die Flucht. "Sie verstecken sich in den Bauruinen, die von einem indischen Unternehmen während der Revolution verlassen worden sind", sagt er. "Wir wissen, wo sie sind, doch ist niemand da, der sie festnehmen könnte."

Ein erboster Youssef Souri, Mitglied des Lokalrats von Mourzouk, fügt hinzu: "Selbst wenn sie festgenommen würden, gäbe es kein Gericht, vor das sie gestellt werden könnten. Wir haben die Regierung in Tripolis bereits drei Mal aufgefordert, das Gericht wiederzueröffnen. Doch eine Antwort haben wir nicht bekommen."

"Mutmaßliche Diebe werden einige Tage eingesperrt, bevor die Familien als Garanten auftreten können und die Kaution bezahlen, die nach der Verhandlung zurückerstattet wird", so Souri. "Mörder werden nach Sebha überstellt. Doch dort kommt es häufig vor, dass die Richter aus Angst vor Vergeltungsschlägen die Verfahren aufschieben."

Diese De-facto-Autonomie hat in einigen Bevölkerungskreisen den Wunsch nach einem Staatenbund aufkommen lassen. Was in Cyrenaica im Osten Libyens bereits Gestalt angenommen hat, trifft nun auch im Süden Libyens auf immer mehr Zuspruch.

Ein Befürworter ist Ibrahim Youssef, Leiter einer Organisation in Mourzouk, der meint: "Ich bin ein Föderalist, weil ich möchte, dass Fezzan von dem Wohlstand profitiert, den Triopolis derzeit komplett abzieht. Allerdings möchte ich einen echten Staatenbund, nicht drei Länder, wie sie die Menschen im Osten anstreben."

Oberst Wardacoo Barca, der in Mourzouk für die öffentliche Sicherheit zuständig ist, räumt ein, sich bereits mit Föderalisten im Osten besprochen zu haben. Wie er gegenüber IPS erklärte, werde man sich erneut mit den Tuareg treffen, um einen Entwurf des Vorschlags für die Regierung fertigzustellen.

"Wir wollen, dass die Einnahmen der Erdölfelder in Fezzan zu uns zurückfließen. Außerdem wollen wir in der Regierung und im diplomatischen Corps besser vertreten sein", meint er. "Sollte Tripolis nicht reagieren, werden wir die Bildung eines Staatenbunds unterstützen. Uns geht es im Grunde nur darum, dass die Regierung überall Präsenz zeigt und wir eine Form der Anerkennung erfahren."


Keine Staatsangehörigkeit für 14.000 Tuareg-Familien

Für die Tuareg müsste die Anerkennung mit der libyschen Staatsbürgerschaft einhergehen. Wie Jeli Ali, Mitglied der Oubari-Versöhnungskommission, berichtet, verfügen 14.000 Tuareg-Familien, die keine Dokumente über den Geburtsort ihrer Vorfahren vorweisen konnten, nicht über die libysche Nationalität, die wichtig ist, um sich für einen Studienplatz zu immatrikulieren und eine Stelle im Staatsdienst anzutreten zu können.

"Wir sind Opfer von Rassismus", meint Ali, ein Tuareg. "Wer sind die ursprünglichen Bewohner Libyens? Nicht die Araber, sondern die Tuareg, die Toubou und Berber. "Unser Land ist Beweis für unsere Nationalität, sie haben die Papiere." Wie er versichert, werde man die Benachteiligung nicht weiter hinnehmen. "Die Geschichte lehrt, dass sich Rechte erstreiten lassen - notfalls mit Gewalt!" (Ende/IPS/kb/2013)


Link:
http://www.ipsnews.net/2013/09/southern-libya-awaits-another-spring/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2013