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NAHOST/1040: Irak - Kinder tragen die Hauptlast des Konflikts (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juli 2014

Irak: Kinder tragen die Hauptlast des Konflikts - Aktivisten wollen Übergriffe und Zwangsrekrutierungen verhindern

von Chau Ngo


Bild: © Eskinder Debebe/UN

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bei einem Besuch in einem Flüchtlingslager in der irakischen Kurdenregion
Bild: © Eskinder Debebe/UN

New York, 30. Juli (IPS) - Als in der nordirakischen Stadt Kirkuk ein Krankenwagen hält, eilen sofort Menschen herbei, um zu helfen. Sie tragen sechs Kinder im Alter von mehreren Monaten bis elf Jahren aus dem Fahrzeug. Die Heranwachsenden wurden bei einem Luftangriff in der Nachbarstadt Tuz Khurmatu verletzt.

"Die Lage im Irak ist ernst", sagt Tirana Hassan von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch', die kürzlich eine Recherchereise in die Region unternahm. "Familien, auch solche mit Kindern, stecken mitten in einem immer brutaleren Krieg. Sie zahlen den Preis."

Fast zwei Monate nach Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen islamistischen Kämpfern und der irakischen Armee steigt die Zahl der zivilen Opfer immer weiter an. Allein im Juni wurden 1.500 Menschen getötet. Mehr Tote in einem Monat habe es zuletzt 2008 gegeben, teilte die UN-Unterstützungsmission im Irak (UNAMI) mit. "In allen von dem Konflikt betroffenen Gebieten wächst die Zahl von Kindern, die bei wahllosen oder systematischen Angriffen bewaffneter Gruppen oder durch Granatfeuer der Armee auf Wohngebiete getötet werden."


Opfer von Streuwaffen-Angriffen

Aktivisten berichten zudem von Heranwachsenden, die Opfer von Luftangriffen der Regierungstruppen gegen Stellungen der radikalen ISIS-Miliz werden. "Wir haben zahlreiche Fälle von Fassbombenabwürfen dokumentiert, bei denen in Falludscha Kinder und Frauen getötet wurden", sagt Hassan. "Streumunition in Gebieten einzusetzen, in denen Kinder mit ihren Eltern leben, ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht."

Für Kinder ist der Irak derzeit eines der gefährlichsten Länder der Erde. Nach Erkenntnissen von UNAMI hat ISIS "systematische und eklatante" Übergriffe gegen Kinder begangen. Dazu zählen sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen, körperliche Gewalt, Zwangsrekrutierung und Tötungen.

Die jüngst bekannt gewordenen Opferzahlen zeigen, dass das Leiden der Mädchen und Jungen im Irak weitergeht, wo im vergangenen Jahr mehr als 7.800 Zivilisten getötet wurden. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen war dies die höchste Zahl seit dem Beginn systematischer UN-Aufzeichnungen zu zivilen Todesopfern in dem Land im Jahr 2008. 248 von ihnen waren demnach Kinder, die von Kämpfern von ISIS und Al Qaeda im Irak getötet wurden. Die irakische Regierung geht von 335 getöteten und 1.300 verletzten Kindern aus.


Mehr als eine Million Binnenflüchtlinge

Bis Anfang Juni dieses Jahres waren mindestens 1,2 Millionen Iraker vor der Gewalt geflohen. Die meisten von ihnen kamen nach UN-Angaben in Notunterkünften, in Lagern für Binnenflüchtlinge oder in Gastfamilien unter.

"Ein großer Teil der Flüchtlingskinder braucht unbedingt Unterstützung", sagt Alec Wargo vom Büro des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte. Es gebe Berichte über Minderjährige, die von militanten Gruppen rekrutiert und während der Kämpfe verletzt oder getötet worden seien. Die UN und die irakische Regierung arbeiteten an einer Lösung, berichtet er.

Bis jetzt liegt noch kein offizieller Bericht zur Situation von Kindern in den von ISIS beherrschten Gebieten vor. Wargo sieht keinen Grund zur Zuversicht. In den von der Regierung kontrollierten Zonen zeigten sich die Vereinten Nationen ernsthaft besorgt darüber, dass die Regierung die Auswirkungen des Konflikts auf Kinder nur wenig beachte.

Die UN befürchtet, dass das tatsächliche Ausmaß von Gewalt gegen Kinder bislang nicht bekannt ist. Vor allem bei Verschleppungen sei es schwierig, an Informationen zu kommen, heißt es. Viele Familien wenden sich nicht an die Polizei.


Alle Konfliktparteien setzen Kinder in Gefechten ein

Über die Zahl von Kindern, die als Kindersoldaten rekrutiert werden, liegen keine offiziellen Angaben vor. UNAMI zufolge haben alle Konfliktparteien, einschließlich der mit der Regierung verbündeten Kräfte, Kinder in ihren Reihen. Sie würden als Informanten, als Wachposten an Kontrollpunkten, als Kämpfer und manchmal als Selbstmordattentäter eingesetzt.

"Auch wenn die irakische Regierung nicht mehr das ganze Land kontrolliert, hat sie nach wie vor die vordringliche Verantwortung, die Rechte von Kindern anzuerkennen und zu schützen und sie vor der Rekrutierung als Kindersoldaten zu bewahren", sagt Richard Clarke, Direktor von 'Child Soldiers International'. Die Organisation mit Sitz in London kämpft gegen den Einsatz von Kindern in Kriegen und unterstützt ehemalige Kindersoldaten bei der Rehabilitierung.

"Die Regierung muss alle notwendigen rechtlichen, politischen und praktischen Maßnahmen ergreifen, um die Rekrutierung von Kindersoldaten zu beenden und zu verhindern", sagt Clarke. "Sie sollte dafür Unterstützung bei internationalen Organisationen suchen." (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/07/in-turbulent-iraq-children-bear-the-brunt-of-war/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2014