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NAHOST/1042: Iran - Atomabkommen würde regionalen Einfluss der USA stärken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. September 2014

Iran: Atomabkommen würde regionalen Einfluss der USA stärken - US-Diplomaten sehen in Teheran wichtigen Verbündeten im Kampf gegen ISIS

von Jim Lobe



Washington, 19. September (IPS) - Der erfolgreiche Abschluss eines Abkommens über das iranische Atomwaffenprogramm könnte den Einfluss der USA auf den Großraum Nahost signifikant vergrößern, geht aus einem Bericht hervor, der von 31 ehemaligen außenpolitischen Strategen der US-Regierung und regionalen Experten unterzeichnet wurde.

In dem am 17. September in Washington veröffentlichten Bericht 'Iran and Its Neighbors: Regional Implications for U.S. Policy of a Nuclear Agreement' wird argumentiert, dass ein Nuklearabkommen den Weg für eine Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern in den für beide Seite wichtigsten Bereichen freimachen würde. Darüber hinaus ließe sich dadurch auch die Lage im Irak und in Afghanistan stabilisieren und sogar eine Beilegung des Bürgerkriegs in Syrien auf dem Verhandlungsweg erleichtern.

"Ein umfassendes Nuklearabkommen würde die USA in die Lage versetzen, in der Region Prioritäten zu setzen, ohne dass dieses einzelne Thema stets die Sichtweise vorgeben würde", heißt es in dem Bericht, der Teil einer Reihe von Untersuchungen ist, die das 'Iran Project' mit Sitz in New York in den vergangenen Jahren veröffentlicht hat. Das Projekt finanziert seit seiner Gründung 2002 hochrangige informelle Treffen zwischen Vertretern beider Staaten.

"Wenn die Regierungen der USA und des Irans darauf vorbereitet sind, es mit Gegnern des Abkommens im jeweils eigenen Land aufzunehmen, können sie sich der größeren Agenda mit regionalen Fragen zuwenden", schließt der Bericht, zu dessen Unterzeichnern die ehemaligen nationalen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski und Brent Scowcroft sowie mehr als ein Dutzend früherer Top-Diplomaten gehören.


Experten warnen vor Folgen eines Scheiterns der Atomgespräche

Sollte dagegen keine Einigung zwischen dem Iran und der Gruppe der so genannten 'P5+1'-Staaten (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China plus Deutschland) erzielt werden, könnte die Folge sein, dass der Iran an Nuklearwaffen komme, dass sich größere Bedrohungen in anderen Teilen der Region weniger sicher bekämpfen ließen und sogar ein Krieg nicht abgewendet werden könne, warnt die Studie.

Der Report wurde kurz vor der formellen Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein umfassendes Atomabkommen zwischen dem Iran und der Gruppe 'P5+1' in New York verbreitet. Diplomaten aus aller Welt versammeln sich dort in diesen Tagen zur Eröffnung der UN-Vollversammlung, an der sowohl US-Präsident Barack Obama als auch sein iranischer Amtskollege Hassan Rohani neben anderen internationalen Führern teilnehmen werden.

Die Verhandlungsparteien haben eine Frist bis zum 24. November gesetzt - genau ein Jahr nach der Unterzeichnung des gemeinsamen Aktionsplans (JPOA) in Genf, der einige Wirtschaftssanktionen gegen Teheran gelockert hat. Im Gegenzug hatte sich der Iran verpflichtet, wichtige Teile seines Atomprogramms einzufrieren oder rückgängig zu machen.

Beide Seiten sind sich dem Vernehmen nach grundsätzlich in mehreren wichtigen Fragen einig. Dennoch bestehen weiterhin erhebliche Differenzen, vor allem hinsichtlich der vorgeschlagenen Begrenzungen des Umfangs des iranischen Uran-Anreicherungsprogramms und der Dauer, für die sie in Kraft bleiben sollen.


"Tektonische Verschiebung"

Die Autoren der Studie haben eine "tektonische Verschiebung" im Nahen Osten beobachtet, die größtenteils durch die militärischen Erfolge der islamistischen IS- oder ISIS-Miliz ausgelöst worden sein soll. Die Entwicklung wird von so gut wie allen Regimen in der Region und auch von den USA als große Gefahr wahrgenommen. Washington versucht, eine internationale Koalition gegen die sunnitische Extremistengruppe zu schmieden.

"Der Aufstieg von ISIS hat Irans Rolle als Stütze der irakischen Regierung verstärkt. Damit wird es wahrscheinlicher, dass eine Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Iran den Irak noch vor Unterzeichnung eines Nuklearabkommens stabilisieren kann", heißt es in dem Bericht. Darin wird allerdings auch betont, dass jegliche Einigung dazu führen sollte, dass dem Iran "strenge Beschränkungen seiner Atomaktivitäten" auferlegt werden, um das Risiko zu verringern, dass Teheran Nuklearwaffen erwirbt.

Der Bericht, der Essays anerkannter Experten über die Beziehungen des Irans zu sieben seiner Nachbarn enthält, konzentriert sich auf die Frage, wie die Interessen Washingtons in der Region nach dem Zustandekommen eines Abkommens durch "parallele und sogar gemeinsame Aktionen der USA und des Irans" gefördert werden könnten. Eine solche Kooperation würde wahrscheinlich mit einer Strategie gegen die IS-Miliz im Irak beginnen, dessen Regierung sowohl von Washington als auch von Teheran unterstützt wird.

Laut Paul Pillar, einem einst renommierten Analysten, der für den US-Geheimdienst CIA im Nahen Osten tätig war, haben beide Länder kürzlich mehrere parallele Schritte im Irak durchgeführt. So drängten sie beide auf eine Ablösung von Regierungschef Nuri Al-Maliki und führten separate Militäraktionen - mit Hilfe der US-Luftwaffe und von Beratern der iranischen Islamischen Revolutionsgarden - durch, um die monatelange Belagerung der Stadt Amerli durch IS-Milizen zu beenden.

"Es gibt ein hohes Potenzial für mehr Kommunikation aufgrund einer gemeinsamen großen Sorge", sagte Pillar bei der Vorstellung des Berichts im 'Wilson Center' in Washington. "Die Iraner sehen die Ursprünge der Instabilität im Irak. Sie erkennen, dass es nicht in ihrem Interesse liegt, dass die Region auf unbestimmte Zeit instabil bleibt."


Afghanistan ebenfalls im Fokus von Iran und USA

Weitere gemeinsame Interessen richten sich auf Afghanistan, von wo sich US- und Nato-Truppen stetig zurückziehen, während zunehmend daran gezweifelt wird, ob die Sicherheitskräfte der Regierung in Kabul die Taliban in Schach halten können.

Es sei kein Geheimnis, dass die USA und der Iran eng bei der Regierungsbildung in Afghanistan und dem Entwurf einer Verfassung für die Zeit nach dem Sturz der Taliban durch die alliierten Truppen Ende 2001 zusammengearbeitet hätten, sagt der Afghanistan-Experte Barnett Rubin, der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den USA an hoher Stelle im US-Außenministerium gedient hatte. "Weniger bekannt ist dagegen, dass die iranischen Revolutionsgarden während der Militäroffensive vor Ort mit der CIA und den US-Spezialtruppen gearbeitet haben."

Während laut Rubin die politischen Spannungen zwischen den beiden wichtigsten Präsidentschaftskandidaten und ihren Anhängern nach dem Ausgang der jüngsten Wahlen weiter zunehmen, könnte eine gewisse Zusammenarbeit zwischen dem Iran und den USA für die Herstellung von Stabilität "sehr wichtig" sein, meint er. "Ein Atomabkommen würde den Weg für einen diplomatischen und politischen Prozess freimachen, der es uns ermöglichen würde, einige unserer größten Errungenschaften der vergangenen 13 Jahre in Afghanistan zu bewahren."

Was Syrien betrifft, so sollte dem Bericht zufolge der Iran, einer der beiden größten ausländischen Unterstützer des syrischen Staatschefs Baschar Al-Assad, in alle Anstrengungen zu einer politischen Einigung mit einbezogen werden. Bis jetzt ist der Iran lediglich als Beobachter eingeladen worden, was vor allem mit dem Widerstand der USA und Saudi-Arabiens zusammenhing.

"Die Iraner können auch ohne eine Fortsetzung der Herrschaft der syrischen Baath-Partei leben", sagt Frank Wisner, der unter anderem Botschafter in Ägypten und Indien war. Bei Gesprächen mit iranischen Staatsbeamten sei ihm aufgefallen, dass sie sich "überlastet" fühlten, vor allem seit das Land stärker im Irak involviert ist.


Israel will Verbündete auf Distanz zu Teheran halten

Der Bericht erwartet, dass nach dem Abschluss eines Atomvertrags von den großen regionalen Verbündeten der USA Widerstand gegen jegliche Annäherung an den Iran kommen wird. Insbesondere Israel hat sich bereits unmissverständlich gegen eine Übereinkunft ausgesprochen, die dem Iran gestattet, seine Uran-Anreicherung fortzusetzen.

"Es versteht sich von selbst, dass dies für Israel von grundlegender Bedeutung ist", meint Thomas Pickering, Vize-Chef des 'Iran Project' und ehemaliger Botschafter der USA in Israel und bei den Vereinten Nationen. Washington müsse Israel deutlich zu verstehen geben, dass ein Abkommen "mit Sicherheit die Aussichten auf Ruhe in der Region verbessern würde" und dass es ein "schwerer Fehler" Israels wäre, den Iran wie bereits angedroht anzugreifen, während ein Abkommen in Kraft sei.

Laut dem Bericht müssen sich die USA mehr anstrengen, um Saudi-Arabien und anderen von Sunniten geführten Golfstaaten zu versichern, dass ein Atomabkommen nicht auf ihre Kosten geschlossen würde. "Dafür könnte es nötig werden, dass die USA ihre Militärhilfe für eine bestimmte Zeit und ihre Präsenz in der Region erhöhen", heißt es. So könnte etwa die Instandhaltung der US-Militärstützpunkte in den kleineren Golfstaaten ausgebaut und die militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit mit dem Golf-Kooperationsrat gestärkt werden. "Saudi-Arabien wäre bereit, über einen Abbau der Spannungen mit dem Iran nachzudenken, wenn das Land mehr Vertrauen zu seinem Verbündeten USA fassen könnte." (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/09/nuclear-deal-with-iran-likely-to-enhance-u-s-regional-leverage/

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IPS-Tagesdienst vom 19. September 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2014