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NAHOST/448: Phosphor über Gaza (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 6. Januar 2009

Phosphor über Gaza

Von Jürgen Cain Külbel


Die israelische Armee hat bei der Invasion von Bodentruppen im dichtbesiedelten Gazastreifen offensichtlich Bomben mit weißem Phosphor eingesetzt. Das berichtete die britische Times in ihrer Montagausgabe. Einem Ärztebericht aus Gaza zufolge sollen gegen die Palästinenser auch Munition mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium - DU) und sogenannte DIME-Brandbomben eingesetzt worden sein. Die blutige Bilanz des israelischen Feldzugs in zehn Tagen: 530 getötete Palästinenser, darunter 92 Kinder, und 2500 Verletzte.

Laut Times hat »Israel Bomben mit weißem Phosphor eingesetzt, um die (eigenen) Angriffe auf den starkbevölkerten Gazastreifen 'abzuschirmen'. Als die israelische Armee am Sonntag die Stadtränder von Gaza erstürmte«, seien die »verräterischen Tentakel aus dickem weißen Rauch« zu sehen gewesen, »die das Vorrücken der Truppen abdeckten«. Ein israelischer Sicherheitsexperte erklärte dazu enthusiastisch: »Die Explosionen schauen phantastisch aus, und sie produzieren sehr viel Rauch, der den Gegner blendet, so daß unsere Streitkräfte rein können.«

Libanons Präsident Emile Lahoud beschwerte sich 2006, als Israel sein Land zerbombte, bei den Vereinten Nationen über den Einsatz der Brandwaffe. Phosphortropfen verursachen nach Hautkontakt schwerste Verletzungen. Außerdem können Vergiftungen Leber, Herz und Nieren in Mitleidenschaft ziehen; selbst geringe Mengen der Substanz können Blut und Knochen dauerhaft schädigen. Gemäß Genfer Konvention darf weißer Phosphor nicht als Waffe in zivilen Gebieten benutzt werden; für »Beleuchtungs- oder Abschirmungszwecke« fehlt die rechtliche Regelung. Charles Heymann, Militärexperte und ehemalige Major der britischen Armee, warnte in der Times: »Wenn weißer Phosphor bewußt auf eine Menschenmenge gefeuert wird, wird am Ende jemand in Den Haag landen. Weißer Phosphor ist eine Terrorwaffe.« Die israelische Armee dementierte den Einsatz der Brandbomben, wie sie dies zunächst auch während des Libanon-Krieges vor zweieinhalb Jahren getan hatte.

Mediziner fanden zudem im Körper eines infolge der Bodenoffensive verletzten palästinensischen Jungen Spuren von DU-Munition. Der im Shifa-Krankenhaus in Gaza Nothilfe leistende Arzt Mads Gilbert erklärte dem iranischen Press-TV, daß »einige der Opfer, die seit Beginn der Angriffe der Israelis auf den Gazastreifen am 27. Dezember verletzt wurden, Spuren von abgereichertem Uran in ihren Körpern« aufweisen. Der Gazastreifen sei, so der Norweger, »ein komplettes, von Menschen angerichtetes Desaster. Es ist kalt, es gibt keine Nahrung, keinen Treibstoff. Die Israelis verwenden geächtete Brandbomben und Sprengköpfe mit abgereichertem Uran. Viele Körper sind in Fetzen gerissen und verbrannt. Während 25 Prozent der Getöteten Frauen und Kinder sind, stellen sie 40 Prozent der Verletzten. Zivilisten sind die Ziele, sie sind die Opfer.«

Die israelische Armee experimentiere auch mit der neuartigen Bombe »Dense Inert Metal Explosive« (DIME), die »eine ungewöhnlich gewaltige Detonation in einem relativ kleinen Areal produziert und ein überhitztes 'Mikroschrapnell' aus einer pulverförmigen Schwermetall-Wolfram-Legierung versprüht«. Schlägt das Schrapnell auf den Körper, verursacht es sehr starke Verbrennungen, die das Gewebe um die Knochen zerstört; es verbrennt und zerstört innere Organe. Die Rettung der Verletzten ist fast unmöglich. Gilbert, der solcherart verletzte Patienten sah, forderte Israels Ärzte auf, Druck auf die Regierung in Tel Aviv auszuüben: »Das ist gegen internationales Recht, gegen die Menschlichkeit, es ist gegen das, was es heißt, ein anständiger Mensch zu sein.«


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:

siehe auch www.schattenblick.de -> Naturwissenschaften -> Chemie ->
NEWS/747: Mit Phosphor schlägt man Zivilisten ... (SB)

www.schattenblick.de -> Politik -> Ausland ->
NAHOST/450: Im Gazastreifen kommen nichtkonventionelle Waffen zum Einsatz (Press TV)
(Interview mit Dr. Gilbert, Gaza)


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Quelle:
junge Welt vom 06.01.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009