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NAHOST/465: Kritischer Blick auf israelische Waffen (Jonathan Cook)


Israel, Nazareth - 12. Januar 2009

Kritischer Blick auf israelische Waffen

Von Jonathan Cook, Auslandskorrespondent


Nazareth, Israel - Die Besorgnis darüber, daß Israel nichtkonventionelle und experimentelle Waffen im Gazastreifen einsetzt, wächst, während die ausweichenden Kommentare der offiziellen Sprecher sowie das Widerstreben, unabhängige Journalisten in die winzige Enklave einreisen zu lassen, die Spekulationen nur noch anheizen.

Den größten Raum nimmt dabei die Auseinandersetzung um den Einsatz von Geschossen ein, die weißen Phosphor enthalten, der entsetzliche Verbrennungen verursacht, wenn er mit der Haut in Berührung kommt. Unter internationalem Recht darf man Phosphor zwar als Rauchschleier verwenden, um Soldaten Deckung zu verschaffen, er wird jedoch als chemische Waffe eingestuft, wenn er gegen Zivilisten zum Einsatz kommt.

Die israelische Armee stellt sich auf den Standpunkt, daß sie nur Waffen benutzt, die nach internationalem Recht zulässig sind, obwohl Menschenrechtsgruppen Israel wegen des Abschusses von Phosphorbomben über dichtbesiedelten Regionen in Gaza heftig kritisieren.

Es könnte aber auch noch andere nichtkonventionelle Waffen geben, die Israel zum Einsatz bringt und die der öffentlichen Aufmerksamkeit entgehen.

Dime (1) zum Beispiel, eine Art Granate mit Sprengstoff und dichtem reaktionsträgen Metall, könnte eine solche sein. Es handelt sich um eine kürzlich von der US-Armee entwickelte Waffe, die eine sehr heftige und tödliche Explosion auf einen kleinen Umkreis beschränkt.

Diese Granate soll sich noch in der Entwicklungsphase befinden und fällt daher noch nicht unter die geltenden Bestimmungen. Es gibt jedoch die Befürchtung, daß Israel vom US-Militär grünes Licht erhalten haben könnte, Gaza als Testgelände zu benutzen.

"Wir haben erlebt, daß Gaza als Testlabor für etwas dient, das ich Waffen aus der Hölle nennen würde", meinte David Halpin, ein britischer Chirurg und Spezialist für Notfallmedizin im Ruhestand, der Gaza zu verschiedenen Gelegenheiten besucht hat, um ungewöhnliche Verletzungen, die Menschen dort erlitten haben, zu untersuchen.

"Ich fürchte, daß man in Israel überzeugt davon ist, daß es im eigenen Interesse liegt, so extrem wie möglich zu verstümmeln in der Hoffnung, die Zivilbevölkerung so zu terrorisieren, daß sie sich gegen die Hamas wendet."

Ärzte aus Gaza, einschließlich eines der wenigen Ausländer, Mads Gilbert (2) - ein norwegischer Spezialist für Notfallmedizin, der am Al Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt arbeitet -, berichten, daß viele der Wunden, die sie sehen, auf den Einsatz von Dime hindeuten.

Verletzungen durch diese Waffe sollen deutlich zu erkennen sein. Wer ihrer Sprengwirkung ausgesetzt war, zeigt abgetrennte oder völlig verschmorte Gliedmaßen oder auch innere Risse, insbesondere in weichem Gewebe wie im Unterleib, was häufig zum Tod führt.

Während der Autopsie soll in den verletzten Organen, abgesehen von einem feinen "Staubschleier" aus kleinsten Metallpartikeln, kein Schrapnell zu sehen sein. Überlebende von Dime-Explosionen haben laut US-Forschungsergebnissen ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken.

Konventionelle Munition verursacht im Gegensatz dazu riesige Wunden, wenn die Schrapnellteile in den Körper eindringen.

"Die Heftigkeit der Detonation verebbt sehr schnell, und die Reichweite ist nicht groß, vielleicht 10 Meter, aber die Menschen, die von dieser Explosion, dieser Druckwelle erfaßt werden, werden in Stücke gerissen", sagte Dr. Gilbert kürzlich in einem Interview.

Die Sorge, daß die Israelis Dime einsetzen, wird in Gaza nicht zum ersten Mal laut. Ärzte vor Ort berichteten schon während einer anhaltenden Welle von israelischen Luftschlägen im Jahr 2006 von rätselhaften Verletzungen, die sie nicht behandeln konnten und an denen Patienten Tage später unerwartet verstarben.

Eine nachfolgende italienische Untersuchung erwies, daß Israel den Prototyp einer Waffe einsetzte, die Dime ähnlich war. Proben von Opfern in Gaza wiesen auf Konzentrationen ungewöhnlicher Metalle in ihrem Körper hin.

Yitzhak Ben-Israel, der frühere Leiter des Waffenentwicklungsprogramms beim israelischen Militär, schien mit dieser Waffe vertraut zu sein und äußerte im italienischen Fernsehen, daß der kleine Explosionsradius vermeiden helfe, Umstehende zu verletzen, und erlaube, "Schläge gegen sehr kleine Ziele zu führen".

Israelische Erklärungen, keine durch das internationale Recht geächteten Waffen zu verwenden, beziehen sich aus dem Grunde nicht auf Dime, weil es noch keine offizielle Lizenz dafür gibt.

Vor einer Einigung auf einen Waffenstillstand wird es schwierig sein, Berichten nachzugehen, daß nichtkonventionelle Waffen in Gaza eingesetzt wurden; frühere Untersuchungen haben jedoch ergeben, daß Israel auf solche Geschosse zurückgreift.

Die israelische Menschenrechtsgruppe B'Tselem hat zahlreiche Fälle dokumentiert - sowohl für den Libanon als auch für Gaza -, in denen die israelische Armee Flechettebomben eingesetzt hat. Diese Bombe explodiert in Tausende kleiner Metallpfeile, die jedem schreckliche Wunden zufügen, der sich im Freien befindet.

Fadel Shana, ein Kameramann von Reuters, filmte den Abschuß einer solchen Bombe durch einen israelischen Panzer kurz bevor die Flechettes ihn töteten.(3)

Miri Weingarten, eine Sprecherin der Ärzte für Menschenrechte [Physicians for Human Rights - PHR], meinte, daß sie nach dem Einsatz einer neuen, von der israelischen Armee entwickelten Flechettewaffe mit Namen Kalanit (Anemone) Ausschau hielten. Eine Antipersonenmunition, die Bombe stößt Hunderte kleiner Scheiben aus.

Israel scheint während seines Angriffs auf den Libanon 2006 eine ganze Reihe umstrittener Waffen eingesetzt zu haben. Nach ursprünglichen Dementis, gab ein israelischer Minister zu, daß die Armee Phosphorbomben abgeschossen hatte, und die israelischen Medien berichteten ausführlich über den Abwurf von Millionen von Clusterbomben über dem Libanon.

Darüber hinaus besteht der Verdacht, daß Israel möglicherweise Uransprengköpfe benutzt hat. Eine spätere Untersuchung durch eine britische Zeitung ergab an zwei Einschlagskratern israelischer Missiles eine erhöhte radioaktive Strahlung.

Sarit Michaeli, eine Sprecherin von B'Tselem, erklärte, daß ihre Organisation noch nicht in der Lage gewesen sei zu verifizieren, welche Waffen während der laufenden Angriffe in Gaza zum Einsatz kommen. Sie fügte aber hinzu, daß man sich auf die israelischen Dementis zum Einsatz nichtkonventioneller Waffen nicht verlassen sollte.

"Es ist richtig, wie die Armeesprecher meinen, daß Waffen wie Phosphor- und Flechettebomben nicht ausdrücklich verboten sind. Aber unserer Ansicht nach kann der Einsatz solcher Waffen, die nicht zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterscheiden, in einer so dichtbesiedelten Region wie Gaza nicht legal sein."

In diesem Monat kam durch Berichte zutage, daß die Vereinigten Staaten umfangreiche Waffentransporte per Schiff nach Israel in die Wege geleitet haben. Ein Pentagonsprecher dementierte jedoch, daß sie für den Einsatz in Gaza bestimmt sind.


(1) Dime steht für "dense inert metal explosives"
(2) Dr. Mads Gilbert und sein Kollege haben inzwischen den Gazastreifen verlassen.
(3) Gazastreifen, 16. April 2008 - weitere Informationen: Al Mezan Center For Human Rights - Special Report on The IOF Investigation into the Killing of Reuters' Cameraman Shanaa: Accountability or Impunity? - 21 August 2008
Internet: http://www.mezan.org/site_en/index.php


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Über den Autor:
Jonathan Cook ist der einzige westliche Journalist, der in Nazareth lebt, der Hauptstadt der palästinensischen Minderheit in Israel. Er war zuvor Mitarbeiter bei den Zeitungen The Guardian und Observer und hat über den israelisch-palästinensichen Konflikt auch für die Times, Le Monde diplomatique, die International Herald Tribune, Al-Ahram Weekly, Counterpunch und Aljazeera.net geschrieben. Er ist Autor von Blood and Religion (2006) und von Israel and the Clash of Civilisations (2008).

Sein neuestes Buch "Disappearing Palestine: Israel's Experiments in Human Despair" ist im Oktober 2008 bei Zed Books in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten erschienen. Weitere Informationen zum Buch unter:
http://www.jkcook.net/DisappearingPalestine.htm

Weitere Texte von Jonathan Cook findet man auf seiner Website unter:
http://www.jkcook.net/

Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.jkcook.net/Articles2/0362.htm#Top
Die Originalfassung dieses Artikels wurde auch in der Zeitung "The National" in Abu Dhabi veröffentlicht.


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Quelle:
Jonathan Cook, 12. Januar 2009
Internet: www.jkcook.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2009