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NAHOST/488: Vertreibungsdruck - Beduinen in Israel ohne Grundversorgung (Jonathan Cook)


Energiekrieg in Israel - Der Überlebenskampf eines Säuglings

Von Jonathan Cook, Auslandskorrespondent - 18. März 2009


El Bat, Israel // Das Leben der kleinen Ashimah Abu Sbieh hängt am seidenen Faden - oder, genauer gesagt, an einem elektrischen Kabel, das sie mit dem ratternden Dieselgenerator im Garten der Familie verbindet. Versagt der Motor des Generators, kann sie innerhalb von Minuten sterben. Ashimah leidet an einem seltenen Gendefekt, der dazu führt, daß ihr Gehirn den Lungen nicht den Befehl gibt zu arbeiten. Ohne die Unterstützung durch einen elektrischen Inhalationsapparat würde sie einfach aufhören zu atmen.

Das wäre Ende vergangenen Jahres auch fast geschehen, als der Generator nachts zusammenbrach. Ihre Eltern, Siham und Faris, wachten auf und mußten feststellen, daß das Gesicht ihres elf Monate alten Säuglings aufgrund von Sauerstoffmangel blau angelaufen war. Sie schlossen die Atemmaschine an einen Satz Autobatterien an und kämpften dann darum, den Generator vor Ablauf der zwei Stunden, für die der Batteriestrom ausreichte, wieder in Gang zu setzen.

Tausende Beduinenfamilien, die chronisch kranke Verwandte versorgen und in Gemeinden leben, denen Israel den Anschluß an die Energieversorgung verweigert, teilen die verzweifelte Notlage von Ashimas Eltern, erklärte Wasim Abas von den Ärzten für Menschenrechte (1) in Israel. Der neueste Bericht der Organisation mit dem Titel "Zur Finsternis verurteilt" (2) bezeichnet die staatliche Weigerung, 83.000 Beduinen in der südlichen Negev-Wüste mit Grundlegendem wie fließendem Wasser und Strom zu versorgen, als ein "bürokratisches Unheil". Herr Abas erklärte, das Leben beduinischer Patienten, für die eine zuverlässige Energieversorgung unerläßlich ist - um Medikamente oder spezielle Lebensmittel zu kühlen, eine Klimaanlage oder elektrische Zerstäuber und Atemgeräte zu betreiben -, werde durch die Unnachgiebigkeit von offizieller Seite ernstlich in Gefahr gebracht.

Dem Bericht zufolge wird 45 Beduinen-Gemeinden die Versorgung verweigert, um sie zu zwingen, den Anspruch auf ihr angestammtes Land und das traditionelle Hirtenleben aufzugeben. Man hofft, daß sie stattdessen in eine Handvoll vernachlässigter und landarmer Beduinen-Dörfer (3) ziehen, die eigens vom Staat errichtet wurden. Feste Häuser in den sogenannten nicht anerkannten Dörfern stehen unter permanenter Abrißdrohung, was viele Bewohner dazu zwingt, in Blechhütten und Zelten zu leben, und den nationalen Versorgungsunternehmen ist es verboten, sie an die Versorgung anzuschließen.

Die Beduinen siechen am untersten Ende der sozialen und der ökonomischen Skala, wobei 70 Prozent der Kinder in Armut leben. Israel hat darüber hinaus eine Deponie für Chemieabfälle sowie ein riesiges Kraftwerk in der Nähe einer Ansammlung nicht anerkannter Dörfer in der Negev-Wüste errichtet, obwohl man diesen den Anschluß ans Stromnetz verweigert.

Herr Abas führte aus, daß insbesondere die mangelnde Energieversorgung eine schwerwiegende Bedrohung für die Gesundheit der Beduinen-Gemeinschaft darstellt. Ein Fünftel aller Bewohner der nicht anerkannten Dörfer leidet unter chronischen Erkrankungen, insbesondere Asthma und Diabetes. Für ihre Behandlung ist eine zuverlässige Stromversorgung der Häuser erforderlich. Um Krankenstationen und Hospitäler zu erreichen, müssen die meisten weite Strecken, in der Regel über unbefestigte Straßen, reisen. "Wir haben herausgefunden, daß die mangelhafte Stromversorgung in 70 Prozent der Fälle zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Patienten beigetragen und in zwei Prozent der Fälle direkt zum Tod geführt hat," sagte Herr Abas.

Die Hoffnung, Israel dazu zwingen zu können, die Dörfer an das nationale Stromnetz anzuschließen, wurde 2005 zerschlagen, als die Gerichte gegen die Familie der krebskranken dreijährigen Enas al Atrash entschieden, die Strom für ihr Haus forderte. Ärzte hatten gewarnt, Enas könne ohne die zuverlässige Kühlung ihrer Medikamente und ohne ein klimatisiertes Umfeld sterben. Stattdessen rügten die Richter die Familie, weil diese in einem nicht anerkannten Dorf lebt, während sie gleichzeitig den Behörden empfahlen, einen Beitrag zu der enormen Benzinrechnung der Familie zu leisten, damit sie weiterhin einen Generator betreiben kann.

Im Bericht der Ärzte für Menschenrechte wird angemerkt, daß die Durchsetzung von Baugesetzen gegen Beduinendörfer, von denen die meisten aus der Zeit vor der Gründung Israels 1948 stammen, in einem eklatanten Widerspruch zum Umgang mit den vielen jüdischen Gemeinschaften steht, die nach israelischem Gesetz illegal gegründet wurden. Dutzende Einzelanwesen im Negev und mindestens 100 sogenannte Siedlungs-"Außenposten" in der Westbank, wurden ohne Genehmigung der israelischen Behörden gegründet, aber dennoch an das Netz der nationalen Versorgungsunternehmen angeschlossen.

Yeela Livnat Raanan, Dozentin für Forschungsmethoden am Sapir College in der Negev-Stadt Sderot, die mit einer Lobbygruppe der Beduinen, dem Bezirksrat für die nicht anerkannten Dörfer, zusammenarbeitet, bezeichnete die Lage der Beduinenfamilien als "untragbar". Sie erzählte, daß in einer gemeinsamen Gesundheitsstudie des Rates und der Ärzte für Menschenrechte im letzten Jahr ein hoher Grad an chronischen Erkrankungen unter den Kindern der Beduinen in den nicht anerkannten Dörfern nachgewiesen wurde. 13 Prozent von ihnen leiden unter schwerem Asthma.(4) "Es gibt viele Gründe für die hohe Zahl an Erkrankungen der Atemwege", erklärte Dr. Ranaan. "Es gibt keine Müllabfuhr, also muß der Müll verbrannt werden. Die Blechhütten, in denen viele Beduinen zu leben gezwungen sind, bieten wenig Schutz vor den extremen Temperaturschwankungen in der Wüste. Die Hütten werden mit Kohle beheizt, sind aber nur schwer zu belüften, und auch die Stromgeneratoren selbst verschmutzen die Luft." Da die Beduinenfamilien traditionellerweise sehr groß seien, erläuterte sie, beträfen die Probleme, die sich in Zusammenhang mit der Versorgung eines chronisch kranken Angehörigen ergäben, viele, wenn nicht die meisten Beduinen.

"Das Leid der Beduinen taucht bei die meisten Juden gar nicht auf", sagte Dr. Ranaan. "Sie ziehen es vor, den Regierungsstellen zu glauben, die behaupten, daß die Beduinen primitiv, dumm und feindselig sind und daß sie versuchen, sich staatliches Land anzueignen. Wir müssen gegen diesen Rassismus eintreten."

Ashimahs Familie lebt in der 750 Einwohner großen Gemeinde El Bat, die vor einem Jahr schließlich in Zusammenhang mit dem Plan, eine größere Anzahl von Ortschaften (3) für die schnell anwachsende Beduinen-Bevölkerung zu errichten, anerkannt wurde. Trotzdem liegt die Aussicht, an das Stromnetz angeschlossen zu werden, noch immer in weiter Ferne. "Der Staat verzögert endlos seine Zustimmung zu den erforderlichen Bauplänen", berichtete Ibrahim Abu Sbieh, Ashimahs Großvater und Vorsteher des Dorfes. "Es gibt keine Pläne zum Bau von Schulen, Kliniken oder Straßen. Wir gehen davon aus, daß sich die Dinge nur sehr langsam ändern werden."

Er erzählte, daß die Familie schließlich vor sieben Jahren gewagt hat, ihre Blechhütte durch ein festes Haus zu ersetzen, weil man ihnen signalisiert hatte, daß die Anerkennung dicht bevorstehe. Trotzdem hat man ihnen eine Abrißankündigung zugestellt, und sie zahlen eine Anzahl von Geldbußen ab, um die Zerstörung ihres Hauses zu verhindern. Ashimahs Mutter Siham sagte, daß sie in der ständigen Angst vor einem Ausfall des Generators lebe und davor, ihre kleine Tochter nicht rechtzeitig in das nächste Hospital im 35 km entfernten Beersheva bringen zu können.

"Israel dreht Gaza den Strom ab, und die Welt empört sich," kommentierte Dr. Abu Sbieh. "Aber wir leben seit Jahrzehnten so und niemanden interessiert das."


Anmerkungen der SB-Redaktion:
(1) Physicians for Human Rights in Israel (PHR):
http://www.phr.org.il/phr/article.asp?articleid=24&catid=51&pcat=51&lang=ENG
(2) Englisch: "Sentenced to Darkness"
(3) Der englische Begriff Township erinnert hier zudem an die südafrikanischen Ghettos
(4) Israel's Step Children - About the lack of pediatrics in the Unrecognized Villages in the Negev and its Ramifications
A Position Paper by the "Women Promote Health" Group and Physicians for Human Rights. November 2008. Autor: Heijer Abu Sharb
http://www.phr.org.il/phr/article.asp?articleid=700&catid=42&pcat=42&lang=ENG, 18.3.2009
http://www.phr.org.il/phr/files/articlefile_1237372920593.pdf



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Über den Autor:

Jonathan Cook ist der einzige westliche Journalist, der in Nazareth lebt, der Hauptstadt der palästinensischen Minderheit in Israel. Vor seiner Zeit als freier Journalist war er für den Guardian und den Observer tätig. Seine Artikel, die sich zumeist mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befassen, sind bislang in den folgenden Zeitungen und Magazinen erschienen: Times, New Statesman, Le Monde diplomatique, International Herald Tribune, Al-Ahram Weekly, The Middle East Report und Washington Report on Middle East Affairs, Przekroj (Warschau), The Irish Times, The Electronic Intifada, Counterpunch und Aljazeera.net. Er hat die Bücher "Blood and Religion" (2006) und "Israel and the Clash of Civilisations" (2008) verfaßt.

Sein neuestes Buch "Disappearing Palestine: Israel's Experiments in Human Despair" ist im Oktober 2008 bei Zed Books in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten erschienen. Weitere Informationen zum Buch unter:
http://www.jkcook.net/DisappearingPalestine.htm

Weitere Texte von Jonathan Cook findet man auf seiner Website unter:
http://www.jkcook.net/


Einige übersetzte Fassungen sind zu finden bei Rebelion (Spanisch), Tlaxcala (Französisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch), ISM-France (Französisch)

Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.jkcook.net/Articles2/0380.htm#Top
Die Originalfassung dieses Artikels wurde am 18. März 2009
in der Zeitung "The National", Abu Dhabi, veröffentlicht.
http://thenational.ae


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Quelle:
© Jonathan Cook, 18. März 2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Internet: www.jkcook.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2009