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NAHOST/491: Verschärfte Haftbedingungen für palästinensische Gefangene als Druckmittel (PCHR)


The Palestinian Centre for Human Rights (PCHR) / Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte

Pressemitteilung vom 19. März 2009 - 13:30 GMT

Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte verurteilt Vorschläge, palästinensische Gefangene als politisches Druckmittel zu benutzen


Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR) ist in hohem Maße beunruhigt über die Einrichtung eines israelischen Ministerkomitees mit dem Ziel einer gezielten Verschärfung der Haftbedingungen für palästinensische Sicherheitsgefangene. Das PCHR hat erfahren, daß diese Maßnahmen dazu dienen sollen, Druck auf die Hamas-Bewegung auszuüben.

Das Gremium, dem die Minister Haim Ramon, Shalom Simhon, Rafi Eitan und Meir Sheetrit sowie Generalstaatsanwalt Menachem Mazuz angehören, wird von Justizminister Daniel Friedmann geleitet. Berichten zufolge soll eine Reihe möglicher Maßnahmen geprüft werden, darunter die Kürzung der Geldmittel, die Familien Gefangenen zur Verbesserung ihrer Lebensumstände und Ernährungslage zukommenlassen dürfen, Einschränkungen bei der Nutzung von Kommunikationsmitteln und Nachrichtenquellen, seltenere Familienbesuche und weniger Ausbildungsmöglichkeiten sowie die Unterbindung des physischen Kontakts der Gefangenen mit ihren Angehörigen. Das PCHR stellt sich gegen die allgemeine Auffassung, diese Maßnahmen zielten darauf ab, die Haftbedingungen auf so verstandene "minimale Standards" herunterzubrechen. Die Bedingungen im Gefängnis liegen bereits unter den internationalen Standards, die unter anderem in den internationalen Menschenrechten und den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Strafgefangenen [1] festgelegt sind. Eine Verschlechterung der Bedingungen kann sich negativ auf das physische und psychische Wohl der Häftlinge auswirken.

Das PCHR bekräftigt, daß der Einsatz von Gefangenen als politisches Druckmittel eine Verletzung ihrer unveräußerlichen Menschenwürde darstellt: Jedes Individuum muß allein auf der Basis seines Menschseins respektiert und geschützt werden. Der Rückgriff auf Gefangene für politische Zwecke verletzt ihre moralische Integrität und spricht ihnen die individuelle Autonomie und das Menschsein ab. Die Menschenrechte, die ein Mensch allein aufgrund der Tatsache, daß er ein Mensch ist, beanspruchen kann, stehen ihm auch dann zu, wenn er verhaftet wurde oder im Gefängnis ist. Die Tatsache, daß ein Mensch im Kerker sitzt, kann nicht als Rechtfertigung dafür gelten, ihn jeden Rechts zu berauben.

Die Verhängung der vorgeschlagenen Maßnahmen gründet auf der Annahme, die palästinensischen Gefangenen erfreuten sich zur Zeit Bedingungen, die über den "Minimalstandards" für die Haft liegen, eine Annahme, die das PCHR auf's Deutlichste zurückweist. Etwa 11.000 palästinensische Gefangene sind derzeit unter Verletzung von Artikel 76 der Vierten Genfer Konvention, der die Internierung auf dem Gebiet des Besatzers verbietet, in Israel in Haft. Das PCHR hat zahlreiche Fälle von Folter sowie grausamer, unmenschlicher und entwürdigender Behandlung von Gefangenen dokumentiert. Familien aus dem Gazastreifen konnten Angehörige in israelischer Haft 33 Monate lang nicht besuchen, Familien von Gefangenen, die in der Westbank leben, wurde nur sporadisch und selten das Besuchsrecht eingeräumt. Eine große Zahl von Häftlingen wird zur Zeit in Isolation gehalten, viele von ihnen für längere Zeiträume.

Das PCHR erklärt nachdrücklich, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen im Falle ihrer Umsetzung illegal wären, da sie als kollektive Bestrafung eine Verletzung der internationalen Menschenrechte darstellen.

Das Verbot der Kollektivbestrafung ist im Haager Übereinkommen und der Vierten Genfer Konvention festgelegt und stellt zudem einen Teil des Völkergewohnheitsrechts dar. Nach internationalem Recht sollte keine Person für die Verbrechen einer anderen büßen. Jede Restriktion für Gefangene mit der Absicht, einen politischen Hebel gegen die Hamas-Bewegung einzusetzen, stellt eine klare Verletzung dieses grundlegenden Prinzips dar und steht im Widerspruch zu den rechtlich bindenden Verpflichtungen Israels.

Die internationalen Menschenrechte enthalten strenge Richtlinien, die maßgeblich für die Behandlung von Gefangenen sind, und betonen die Achtung der Menschenwürde des Individuums. Artikel 10(1) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ("UN-Zivilpakt", IPbpR) [2] fordert: "Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muss menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden."[3] Kollektivbestrafung verletzt zudem Artikel 14 des IPbpR. Die vorgeschlagenen Maßnahmen, die eine Einschränkung des Besuchsrechts von Familien und der Ausbildungsmöglichkeiten, die Gefangenen offenstehen, umfassen, verletzen das Recht auf Bildung - niedergelegt in Artikel 13 des Internationalen Pakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ("Sozialpakt", IPwskR) [4] - und das Recht auf Familienleben (Artikel 10, IPwskR).

In hohem Maße beunruhigt über die Einsetzung dieses Gremiums, ruft das PCHR auf
1. zur sofortigen Auflösung des Ministerkomitees;
2. zur Achtung der grundlegenden Menschenrechte der palästinensischen Gefangenen;
3. das Besuchsrecht für die Familien palästinensischer Gefangener, inbesondere aus dem Gazastreifen,
die ihre Verwandten 33 Monate lang nicht besuchen konnten, zu verbessern;
4. die Bemühungen des Internationalen Roten Kreuzes zu verstärken, angemessene Haftbedingungen für
palästinensische Gefangene sicherzustellen und Familienbesuche zu koordinieren;
5. alle Vorwürfe von Folter, grausamer, unmenschlicher und entwürdigender Behandlung zu untersuchen;
6. zu angemessener Gesundheitsversorgung und medizinischer Behandlung für alle palästinensischen Gefangenen;
7. in Übereinstimmung mit internationalen Standards die Haftbedingungen für palästinensische Gefangene zu verbessern.


(1) Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (The Palestinian Centre for Human Rights, PCHR) ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Gaza-Stadt. Das Zentrum hat speziellen beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der UNO und ist Mitglied der Internationalen Juristenkommission (International Commission of Jurists, ICJ), der Internationalen Vereinigung der Ligen für Menschenrechte (Fédération Internationale des Ligues des Droits de l'Homme, FIDH) und des Europa-Mittelmeer-Netzwerks für Menschenrechte (Euro-Mediterranean Human Rights Network, EMHRN). Im Jahr 1996 erhielt das PCHR den Menschenrechtspreis der Französischen Republik.

(2) zu den (englischsprachigen) Pressemitteilungen des PHCR:
http://www.pchrgaza.org/files/PressR/English/2008/gaza.html
http://www.pchrgaza.org/files/PressR/English/2008/press.html

(3) 13:30 GMT (Greenwich Mean Time) = 14:30 MEZ (Mitteleuropäische Zeit)

[1] United Nations Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners
[2] International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR)
[3] http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Menschenrechte/Download/IntZivilpakt.pdf.
Zugriff: 24.3.2009 14.15 Uhr
[4] International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR)


Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.pchrgaza.org/files/PressR/English/2008/40-2009.html


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Quelle:
Pressemitteilung, Nr. 40/2009, vom 19. März 2009
Herausgeber:
Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte
The Palestinian Centre for Human Rights (PCHR)
Hauptbüro in Gaza-Stadt, 29 Omar El Mukhtar Street,
(in der Nähe des Amal Hotels), PO Box 1328
Tel.: (972) 8 2824-776, Fax: (972) 82825-893
E-Mail: pchr@pchrgaza.org
Internet: www.pchrgaza.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2009