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NAHOST/767: Ägypten - ElBaradei unpopulär, Volksnaher Staatspräsident erwünscht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Februar 2011

Ägypten: ElBaradei unpopulär - Volksnaher Staatspräsident erwünscht

Von Adam Morrow, Khaled Moussa Al-Omrani und Cam McGrath


Kairo, 7. Februar (IPS) - Seit einem Jahr bringt sich Mohamed ElBaradei, der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), als möglicher Amtsnachfolger von Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak ins Gespräch. Doch die Menschen, die jetzt auf dem Tahrir-Platz in Kairo für Demokratie im Land demonstrieren, sehen in dem Träger des Friedensnobelpreises von 2005 keine überzeugende politische Alternative.

"Er vertritt uns Demonstranten nicht", kritisierte die 20-jährige Sarah Ramadan, Mitglied der 'Jugendbewegung für Freiheit und Gerechtigkeit', gegenüber IPS. "In vielen Punkten bleibt seine Haltung undurchsichtig, außerdem hält er sich meistens im Ausland auf."

ElBaradei hatte seine mögliche Kandidatur für die Staatspräsidentschaft mit einer Reihe von Bedingungen verbunden. "Ich hoffe, dass sich die politischen Spielregeln in Ägypten bis zur Präsidentschaftswahl geändert haben", erklärte er Anfang 2010 und betonte später in einem Interview, im Windschatten von US-Präsident Barack Obamas Forderung nach einem 'Wandel': "Ich möchte dieses Land verändern und falls nötig als Staatspräsident."

Nach seiner Rückkehr nach Ägypten gründete ElBaradei die 'Nationalversammlung für den Wandel' (NAC), ein breites Bündnis von Oppositionskräften, das sich der politischen Reform und der Abschaffung des seit 30 Jahren in Ägypten bestehenden Ausnahmezustands verschrieben hat.

Als er nach einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt am 27. Januar nach Kairo zurückkehrte, um sich der expandierenden Protestbewegung von Regierungsgegnern anzuschließen, fand ElBaradei anfangs auch bei den Demonstranten Unterstützung. Doch auf dem Tahrir-Platz ließ er sich nur selten blicken. "Bislang hat er nicht erklärt, auf welcher politischen Seite er steht", meinte die junge Aktivistin Ramadan. "Das hat ihn hier bei den Demonstranten, im Volk und selbst bei seinen früheren Anhängern viel Zustimmung gekostet."

Die 26-jährige Asmaa Mahfouz stimmte ihr zu: "Für die meisten Aktivisten ist ElBaradei als möglicher Staatspräsident zu wenig glaubwürdig. Ich könnte ihn zwar als Mitglied einer Übergangsregierung oder eines Verhandlungskomitees akzeptieren, aber nicht als Staatspräsidenten."


"ElBaradei ist kein Mann aus dem Volk"

"Ich demonstriere hier, weil ich mitbestimmen will, wer mein Land regieren soll. Und diese Person muss aus dem Volk kommen und sich mit Ägyptens Alltagsproblemen auskennen", sagte Aymen Sallah. "ElBaradei ist es nicht", machte der 27-jährige Regierungsangestellte aus Kairo klar.

Auch zahlreiche politische Beobachter bestreiten ElBaradeis Anspruch auf das Amt des Staatschefs nach Mubaraks Abgang. "Diese Volksbewegung gehört weder ElBaradei noch irgend einer politischen Partei oder Gruppe - sie ist Sache aller Ägypter", betonte Hasan Nafaa, Politologe an der Universität von Kairo. Am 28. Januar schrieb der angesehene Kommentator in der unabhängigen Tageszeitung 'Al Masry Al-Youm': "ElBaradei muss wissen, dass dies nicht seine Proteste sind. Falls er versuchen sollte, sich als treibende Kraft der Bewegung darzustellen, wird er scheitern."


Die Demokratiebewegung hat ihren Preis

Nach Schätzungen von Analysten der französischen Bank Crédit Agricole kosten die andauernden Unruhen Ägypten täglich mindestens 310 Millionen US-Dollar. Der TV-Sender Al Jazeera berichtete von einer Kapitalflucht von mehreren 100 Millionen Dollar. Die Kairoer Börse bleibt weiterhin geschlossen.

Die Folgekosten der von der Regierung verfügten Kappung aller Internetanschlüsse belaufen sich nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf 90 Millionen Dollar. "Die gewünschte Kommunikationssperre wurde damit nicht erreicht", stellte der Experte für Medienrecht, Diaa Abdel Hamid, fest. "Ihre volle Wucht traf das Online-Geschäft und die Call-Center. Doch die Demonstranten waren bereits auf der Straße."

Und während die Furcht vor einer Schließung des Suez-Kanals, eines besonders für Öltanker wichtigen Nadelöhrs, den Barrelpreis für die Rohölsorte Brent erstmals seit zwei Jahren wieder auf über 100 Dollar ansteigen ließ, drohen Ägyptens Tourismusbranche beträchtliche Schäden. Der mit elf Prozent der Wirtschaftsleistung wichtigste Devisenbringer des Landes beschäftigt 12,6 Prozent der Arbeitnehmer. Im vergangenen Jahr brachten mehr als 15 Millionen Touristen rund zwölf Milliarden Dollar ins Land.

Nach Ansicht des Analysten Adel Bershai, Wirtschaftswissenschaftler an der Amerikanischen Universität in Kairo, werden vor allem die Armen diese wirtschaftlichen Schäden zu spüren bekommen. Doch zuversichtlich meinte er: "Wenn sich der Staub erst einmal legt, werden die Investoren hier wieder Chancen wahrnehmen. Nach einer schwierigen Anpassungsphase werden die Wirtschaftsexperten erleben, wie schnell sich Ägyptens Wirtschaft wieder einmal von einer Krise erholt." (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2011