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NAHOST/772: Von Tunesien bis Jemen - Frauen an der Spitze der Befreiungsfront (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Februar 2011

Nahost:
Von Tunesien bis Jemen - Frauen an der Spitze der Befreiungsfront

Von Emad Mekay

Frauen auf dem Tahrir-Platz an vorderster Front - Bild: © Mohammed Omer/IPS

Frauen auf dem Tahrir-Platz an vorderster Front
Bild: ©Mohammed Omer/IPS

Kairo, 11. Februar (IPS) - Noch vor zwei Wochen hatte die 26-jährige Ägypterin Asmaa Mahfus nur einen Rufnamen. Heute verfügt sie über mindestens drei. In ihrem Heimatland ist sie als 'Frau, die 100 Männer wert ist', das 'Mädchen, das Mubarak vernichtete' und als 'Führerin der Revolution' in aller Munde. Mahfus ist seit 2008 politisch aktiv. Doch mit ihrem Januar-Aufruf gegen Ägyptens autokratisches Regime von Hosni Mubarak schrieb sie Geschichte.

Mahfus gehört zu den vielen arabischen Frauen, die dem konservativen Frauenbild in der arabischen Welt längst nicht mehr entsprechen wollten und die pro-demokratische Bewegung der arabischen Welt maßgeblich beeinflusst haben. In einem spektakulären YouTube-Video forderte sie "alle jungen Männer und Frauen" auf, ihre Computerplätze zu verlassen und sich am 25. Januar zu Protesten gegen das Mubarak-Regime auf den Straßen Ägyptens einzufinden.


Appell an die Aufrechten

"Ich bin eine Frau und werde am 25. Januar auf die Straße gehen und habe keine Angst vor der Polizei", sagte sie wenige Tage vor Ausbruch der Unruhen. "Für die Männer, die gern damit angeben, so stark zu sein - warum schließt ihr euch nicht an und demonstriert mit uns?"

Einen solchen Widerhall ihres Aufrufs hätte sie sich in ihren wildesten Träumen nicht vorgestellt, berichtete sie später. Viereinhalb Minuten ist das Video lang, das von Internet-Aktivisten und Bloggern verbreitet wurde. Junge Menschen luden es auf ihre Mobiltelefone herunter, um es an noch mehr Menschen zu verschicken. Kurz darauf blockierte die Regierung die Telefonie-Technologie, die von rund 65 Millionen Ägyptern genutzt wird.

"Ich hatte für den 25. Januar mit höchstens 10.000 Demonstranten gerechnet", schrieb die 26-jährige später auf einer Facebook-Seite, die ihre Anhänger für sie eingerichtet hatten. Am Ende wurden es Millionen. "Meine Familie hatte große Angst um mich und mich gewarnt, dass Frauen nicht hart genug sind für eine solche Art der Konfrontation. Jetzt wiederholen sie immer wieder, wie stolz sie auf mich sind. Ich wusste, wenn ich mir Angst einjagen lasse, wenn wir uns Angst einjagen lassen, ist unser Land verloren. "

Mahfus Worte wurden nicht [nur] in Ägypten gehört, sondern auch in den anderen Ländern der Region. "Asmaas Worte waren ehrlich und kamen von Herzen", schrieb Reem Chalifa, ein Kommentator der bahrainischen Zeitung 'Alwasat'. "Ihre Worte lösten einen Tsunami aus, der Despotismus, Tyrannei und Ungerechtigkeit überrollte".

Asmaa Mahfus ist eine von vielen Frauen, die die Speerspitze der Proteste in Ägypten und anderen arabischen Staaten bildeten. In Kairo patrouillierten sie, mit Eisenstangen und Stöcken bewaffnet, zusammen mit ihren männlichen Verwandten durch die Straßen der Hauptstadt, um sich Randalierern und Plünderern in den Weg zu stellen.


Mütter machen mobil

Die Mütter junger Leute, die zu Anfang des Volksaufstands ums Leben kamen, ließen wissen, dass sie erst dann Beileidsbekundungen entgegennehmen und ihre Kinder begraben werden, bis der Volksaufstand sein Ziel erreicht haben wird. Die Mutter von Khaled Said, einem Internetaktivisten, der im letzten Jahr von Sicherheitskräften in Alexandria zu Tode geprügelt worden war, schloss sich den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo an und rief sie dazu auf, solange zu bleiben, bis Mubarak von der Macht verschwunden ist.

Ob auf dem Tahrir-Platz oder anderswo - die Frauen Ägyptens, die traditionell auf die Rückbank verwiesen werden, stehen bei den Protesten in vorderster Reihe. Viele von ihnen boten sich freiwillig an, andere Frauen nach Waffen zu durchsuchen. Schließlich war vorstellbar, dass die Mubarak-Administration versuchen könnte, Waffen für den Einsatz gegen die Demonstranten in die Menschenmengen einzuschleusen.

In Tunesien gehörte die Bloggerin Lina Ben Mehenni zu den ersten, die nach dem Ausbruch der Proteste Anfang Dezember via Blog und Twitter das Wort ergriff - trotz Drohungen durch die Polizei. Auch die Mutter von Mohammed Bouasisi, der mit seiner Selbstverbrennung die tunesische Revolution Mitte Dezember erst ins Rollen brachte, unternahm ihren Teil, indem sie den politischen Wandel forderte. Ihre Tränen und ihr Ruf nach Gerechtigkeit trieben hunderttausende von Tunesiern an, den ungeliebten Langzeitdiktator Sine el Abidine Ben Ali von der Macht zu vertreiben. Das Bild der weinenden Mutter ging um die gesamte arabische Welt.


Eine Frau bringt Regierung im Jemen ins Wanken

In Jemen, einem weiteren Land, in dem es zu regierungsfeindlichen Protesten kam, führte Tawakul Abdel-Salam Karman die Demonstrationen an. Die Festnahme der 30-Jährigen führte zu den größeren Straßenprotesten, die die Regierung von Staatspräsident Ali Abdullah Saleh erst ins Wanken brachte. Karman, die inzwischen wieder frei ist, gehört zu den erbittertsten Kritikern des Regimes.

"Die arabische Welt erhebt sich gegen die Diktaturen", so Magda Adli vom El Nadim-Zentrum für die Rehabilitierung der Opfer von Gewalt in Kairo. "Das erklärt, warum Frauen, ob nun islamischen Glaubens oder nicht, ob nun mit oder ohne Schleier, zusammenkommen und die Ereignisse mitgestalten. Das ist wirkliche Gleichheit und wir werden nicht zum Nullpunkt zurückkehren." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.youtube.com/watch?v=SgjIgMdsEuk
http://www.youtube.com/watch?v=4sgxD1Lfj4U
http://atunisiangirl.blogspot.com/2011/02/well-fight-for-our-freedom.html#links
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=54439

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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2011