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NAHOST/786: Libyen - Bei internationalem Flugverbot könnten Waffen aus Europa zu Bumerangs werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. März 2011

Libyen: Bei internationalem Flugverbot könnten Waffen aus Europa zu Bumerangs werden

Von Thalif Deen


New York, 9. März (IPS) - Sollten die USA und ihre NATO-Bündnispartner ein Flugverbot über Libyen aussprechen, könnten sich die Europäer mit den Waffensystemen konfrontiert sehen, die sie dem Regime in den 1970er und 1980er Jahren verkauft hatten. Die Einkaufstouren von Muammar al-Gaddafi waren spektakulär. Sie veranlassten die USA zu der Warnung, Libyen könnte zu einem der "überrüsteten" Ländern der Welt werden.

Neben sowjetischen Suchoi-Su-24-, Tupolew-Tu-22- und MiG-25-Kampflugzeugen ist Libyen im Besitz französischer Mirage-Bomber, Dassault-Schulflugzeuge und Hubschraubern des Waffenkonzerns Aerospatiale. Italien versorgte Gaddafi mit 120 SIAI-Marchetti-Schulflugzeugen. Aus Frankreich kamen Crotale-Flugabwehrraketen, aus Großbritannien Centurion-Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Belgien lieferte Kampfgewehre, Schweden Haubitzen und Griechenland ein Artemis-Luftabwehrsystem.

Mit steigenden Erdöleinnahmen gesegnet, hat der libysche Revolutionsführer, wie sich Libyens Machthaber Gaddafi gern selbst bezeichnet, riesige Waffenarsenale angelegt, die auch von unkonventionellen Waffenlieferländern bestückt wurden. Brasilien lieferte Anfang der 1980 Jahre 1.000 Cascavel- und Urutu-Kampffahrzeuge sowie gepanzerte Mannschaftswagen, wie sie etwa bei der Niederschlagung von Protesten zum Einsatz kommen. Ende der 1980er Jahre war es dann zunächst mit den Lieferungen vorbei. Dafür sorgten die Waffenembargos von EU und USA.


Waffen aus alten Beständen

Wie Pieter Wezeman vom Waffentransferprogramm des Friedensforschungsinstituts 'Stockholm International Peace Research Institute' (SIPRI) gegenüber IPS erklärte, verlässt sich Libyen bis heute weitgehend auf die Rüstungsgüter, die es in den 1970er und 1980er Jahren eingekauft hat. Viele der Waffensysteme dürften seiner Meinung nach einfach eingelagert worden sein, weil Gaddafi das Personal fehlte, um sie zu handhaben. Ungeklärt ist die Frage, wie viele von ihnen noch betriebsbereit sind. "Mit Sicherheit sind die meisten nicht auf dem neusten Stand und können gegen eine gut organisierte Luftraumabriegelung wenig ausrichten", so Wezeman.

Angenommen wird, dass die meisten Waffen aus der ehemaligen Sowjetunion und dem Nachfolgerstaat Russland stammen. Anlässlich des 1994 begangenen 25. Jahrestages des Militärputsches, der Gaddafi an die Macht gebracht hatte, konnten die Bevölkerung und die Welt die auf den Straßen der Hauptstadt Tripolis ausgestellten sowjetischen T-62- und T-72-Kampfpanzer bewundern.

In der ersten Märzwoche beklagte der Generaldirektor der russischen Rüstungsexportfirma Rosoboronexport, Sergej Tschemesow, jedoch, dass Waffenlieferverträge zwischen Russland und Libyen im Wert von vier Milliarden US-Dollar geplatzt seien.

Innerhalb der EU hat sich Italien als größter libyscher Waffenlieferant hervorgetan. Libysche Investoren berichteten zudem, mit zwei Prozent am italienischen Raumfahrt- und Verteidigungsunternehmen Felmeccanica beteiligt zu sein.

Im vergangenen Jahr hatten die USA im Rahmen des Internationalen Militärtrainings- und -bildungsprogramms 330.000 Dollar für die Ausbildung libyscher Soldaten und anderer militärischer Mitarbeiter vorgesehen. Der Betrag sollte in diesem Jahr auf 350.000 Dollar aufgestockt werden. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums zielt die Hilfe darauf ab, Libyen zu ermutigen, auf Massenvernichtungswaffen zu verzichten, die regionale terroristische Gefahr durch das Terrornetzwerk Al-Kaida abzuwehren sowie für die Durchsetzung von Gesetzen und militärischen Einsätzen zu sorgen, die internationale Normen berücksichtigen.


Zurückhaltung beim Kauf neuer Waffen

Dem SIPRI-Wissenschaftler Wezeman zufolge hatte sich Libyen nach der Aufhebung der UN- und EU-Waffenembargos 2003-2004 zunächst interessiert gezeigt, seine Waffenarsenale auszubauen. Doch trotz etlicher unbestätigter Berichte über den Abschluss großer Waffendeals gebe es keinen Grund anzunehmen, dass seit 2004 größere Waffen nach Libyen geliefert worden seien, unterstrich der Experte. Die MILAN-Antipanzerraketen seien eine Ausnahme gewesen.

Obwohl europäische Waffenhersteller das nordafrikanische Land aggressiv umwarben, um es zum Kauf ihrer Rüstungsgüter zu bewegen, hielt sich Gaddafi mit Verträgen zurück. Wohl aber wurden die existierenden Rüstungssysteme modernisiert. So stattete das Waffenunternehmen GDUK mit Sitz in Großbritannien die T-72-Panzer mit einem Kommunikationssystem aus, während die französische Firma Dassault bis zu zwölf Mirage-F-1-Kampfflugzeuge überholte. Der italienische Konzern Finmeccanica hat inzwischen Libyens CH-47-Transporthubschrauber aufgemöbelt.

Auch investierte Libyen in den letzten Jahren in den Grenzschutz. So kaufte das Land in den letzten Jahren Überwachungs- und Aufklärungsflugzeuge im Wert von mehreren Millionen Euro. Darüber hinaus leistete sich das nordafrikanische Land neue Gewehre. Die Ukraine bestätigte 2006-2007, 101.500 Gewehrexporte an Libyen ausgeliefert zu haben, ein russisches Unternehmen berichtete über den Zuschlag für einen Vertrag über die Lieferung von 500.000 Gewehren. Dem SIPRI-Experten zufolge wechselten auch High-Tech-Gewehre in geringer Stückzahl den Besitzer. Lieferanten waren eine belgische und eine italienische Firma.

Wezeman ist überzeugt, dass auch aus anderen zusätzlichen Quellen Waffen nach Libyen geliefert wurden, die die funktionstüchtigen Rüstungsgüter der 1970er und 1980er Jahre ergänzen. Im Fall eines Luftangriffs der USA/NATO auf Libyen ist es seiner Meinung nach jedoch äußerst wahrscheinlich, dass sich die größeren libyschen Waffenarsenale, wie im Irak 1990 und 2003 geschehen, problemlos zerstören ließen. Allerdings, daran ließ der Experte keinen Zweifel, könnte jede Bodenoperation angesichts der vielen in Libyen kursierenden Leicht- und Kleinwaffen ins Fiasko führen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2011