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NAHOST/846: Ägypten - Geld aus den Golfstaaten, Absage an Hilfsangebote von IWF und Weltbank (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Juli 2011

Ägypten: Geld aus den Golfstaaten - Absage an Hilfsangebote von IWF und Weltbank

Von Cam McGrath


Kairo, 19. Juli (IPS) - Ägypten hat die Hilfsangebote von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank ausgeschlagen. Stattdessen soll der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Februar-Revolution von den reichen arabischen Golfstaaten mitfinanziert werden. Die Entscheidung der Interimsregierung, sich nicht in Abhängigkeit der internationalen Finanzorganisationen zu begeben, die bereits das gestürzte Mubarak-Regime unterstützt hatten, trifft jedoch nicht uneingeschränkt auf Zustimmung.

Offiziellen Schätzungen zufolge benötigt das bevölkerungsreiche Land zwischen zehn und zwölf Milliarden US-Dollar an internationaler Hilfe, um das Haushaltsloch zu stopfen, das der Volksaufstand gegen den ehemaligen Machthaber Hosni Mubarak gerissen hat. Durch die Rebellion sind dem Tourismussektor, den Kapitalmärkten und der Industrie riesige Verluste entstanden.

Im letzten Monat erklärte die Militärregierung, dass sie den Kredit in Höhe von drei Milliarden Dollar, den sie mit dem IWF ausgehandelt hatte, nicht in Anspruch nehmen werde. Auch vom Angebot der Weltbank, die 4,5 Milliarden Dollar in Aussicht stellte, will sie keinen Gebrauch machen. Stattdessen sind Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben geplant. Den Rest sollen die arabischen Golf-Königreiche zuschießen.

"Dass wir uns Geld von unseren wohlhabenden arabischen Nachbarn leihen, macht wirtschaftlich gesehen Sinn", meint dazu Alia El-Mahdi, Direktorin der Fakultät für wirtschaftliche und politische Wissenschaften der Universität von Kairo. "Allerdings sollten wir die Großzügigkeit dieser Länder mit Skepsis betrachten, schließlich haben sie sich als Gegner der ägyptischen Revolution hervorgetan."


Riesiger Schuldenberg

Ägyptische Regierungsvertreter begründen ihre ablehnende Haltung gegenüber den Angeboten von IWF und Weltbank mit den Bedingungen, die an die Darlehen geknüpft seien, und der mit den Krediten verbundenen Neuverschuldung. Der Zentralbank zufolge belaufen sich die in- und ausländischen Zahlungsverpflichtungen auf 190 Milliarden Dollar beziehungsweise 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

"Die Idee, sich auswärts Geld zu leihen, stößt auf großes Unbehagen", weiß Amr Hassanein, Vorsitzender von MERIS, einer regionalen Niederlassung der Rating-Agentur 'Moody's'. So erinnerten sich die Ägypter noch gut an den politischen Preis, den sie zahlen mussten, als die Schulden Ägyptens vor dem ersten Golfkrieg ins Unermessliche anstiegen.

IWF-Vertreter wiesen den Vorwurf zurück, Ägypten Auflagen wie Privatisierungen und die Abschaffung von Subventionen gemacht zu haben. Wie sie betonten, hat der IWF ungewohnt günstige Kredite angeboten, um der angeschlagenen Wirtschaft des nordafrikanischen Landes zu helfen, wirtschaftlich möglichst bald wieder auf Kurs zu kommen.

Doch auch die weichen Darlehen gehen der ägyptischen Regierung offenbar zu weit. Aus politischen Gründen, wie El-Mahdi erläutert. Die Regierung stehe unter dem Druck der Öffentlichkeit, die jede Hilfe von IWF und Weltbank ablehne. Viele Ägypter werfen den beiden Bretton-Woods-Institutionen vor, mit ihrer dem Staat verordneten Wirtschaftspolitik eine exorbitante Arbeitslosigkeit und gravierende Einkommensunterschiede beschert zu haben.

Diejenigen Demonstranten, die sich nach wie vor auf dem Kairoer Tahrir-Platz versammeln, sind strikt gegen jede Neuverschuldung, solange nicht eine neu gewählte Regierung im Amt ist. Viele fordern eine sozial ausgerichtete Wirtschaftspolitik, die Subventionsprogramme, Jobsicherheit und soziale Wohlfahrtsprogramme garantiert.


Mehrheit für nachbarschaftliche Hilfe

Hingegen kommt die Aussicht, die Hilfe arabischer Staaten anzunehmen, bei den Menschen auf der Straße gut an. Immerhin arbeiten fast zwei Millionen Ägypter in den arabischen Golfstaaten. Außerdem steht Ägypten den islamischen Nachbarn kulturell näher als dem Westen.

Bisher haben die arabischen Golfstaaten Ägypten mehr als 17 Milliarden Dollar an Krediten und Investitionen in Aussicht gestellt. Das Angebot beinhaltet vier Milliarden Dollar aus Saudi-Arabien und drei Milliarden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Katar hat zehn Milliarden Dollar für Projekte und ein 500-Millionen-Dollar-Darlehen zugesagt.

Hassanein betrachtet die Angebote der Golfstaaten als Investition in die regionale Stabilität und als Schutz der in Ägypten getätigten Investitionen. Auch würden sich die reichen Nachbarn von den Hilfspaketen für Ägypten Unterstützung bei der Durchsetzung politischer Vorhaben versprechen.

El-Mahdi mahnt jedoch zu Vorsicht. Es sei befremdend, dass ausgerechnet die Staaten, die den Wunsch ihrer eigenen Bürger nach Demokratie gewaltsam unterdrückten, einem auf Demokratie bedachten Land wie Ägypten beistehen wollten. "Es liegt nicht in ihrem Interesse, dass die ägyptische Revolution prosperiert. Die absoluten Herrscher dieser Staaten haben einfach Angst, dass der Dissens auf ihre Länder überspringt."

Besonders Saudi-Arabien habe Ägyptens ungeliebten Machthabern immer die Stange gehalten, erinnert El-Mahdi. Im Fall von Bahrain habe der Golfstaat sogar Truppen entsandt, um die Pro-Demokratie-Proteste gegen die dortige Regierung zu zerschlagen, und dem tunesischen Ex-Präsidenten Zine al-Abdine Ben Ali nach dessen Vertreibung Asyl gewährt. Auch soll der Golfstaat angeboten haben, den entmachteten Mubarak aufzunehmen.


"Diese Staaten wollen, dass unsere Revolution scheitert"

Den unruhig gewordenen arabischen Herrschern wird zudem nachgesagt, die Anhänger des ehemaligen Mubarak-Regimes finanziell zu unterstützen, um Ägypten zu destabilisieren und die Revolution zu unterwandern. "Viele Menschen verdächtigen die arabischen Golfstaaten, Unfrieden zu stiften und dafür viel Geld auszugeben", erläutert El-Mahdi. "Diese Staaten wollen, dass unsere Revolution scheitert."

In den letzten Monaten haben bewaffnete 'Gangster' Demonstranten angegriffen, die auf rasche Reformen und die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger Mitglieder des Regimes drängen. Gleichzeitig wird den Salafiten im Lande, die einen radikalen Islam nach saudischem Vorbild predigen, vorgeworfen, die Bevölkerung zu Übergriffen auf christliche Kirchen und Klöster anzustiften und damit die religiösen Spannungen anzuheizen.

Somit stellt sich für viele die Frage, ob sich Ägyptens Militärregierung an die Golfstaaten wendet, um die strikten Kreditbedingungen westlicher Institutionen zu umgehen oder ihr vielmehr daran gelegen ist, den Übergang Ägyptens auf dem Weg zur Demokratie zu torpedieren und die Interessen des ehemaligen Regimes zu verfolgen.


Militärregierung umstritten

Desillusionierte Aktivisten, die an dem 18-tägigen Volksaufstand im Februar teilgenommen hatten, sehen im Obersten Rat der Streitkräfte (SCAF) eher ein Hindernis für den Wandel. Einige sind der Meinung, dass das von Hosni Mubaraks Langzeit-Vertrautem Hussein Tantawi geführte Militär korrupt und Reformen abgeneigt ist und nur Zugeständnisse macht, um die Demonstranten ruhig zu stellen. "Der SCAF ist Teil des alten Regimes", betont Gamal El-Sayed, der Eigentümer eines Cafés. "Er versucht, das ehemalige Regime zu stützen und mobilisiert Personen gegen die Revolution, um sie in Verruf zu bringen."

Vor diesem Hintergrund wirkt die Entscheidung der Militärregierung, die Hilfe der reichen Golfstaaten in Anspruch zu nehmen, wie ein Versuch, die Auflagen zu umgehen, wie Transparenz und Rechenschaftspflicht, wie sie IWF- und Weltbank verlangen. Beide Finanzorganisationen forderten Ägypten bereits auf, ein Gesetz für das Recht auf Information zu erlassen sowie versteckte Vermögen und geheime Fonds offenzulegen.

Ahmed Sakr Ashour, ein Verwaltungsexperte, hält Hintergedanken der Militärregierung für eher unwahrscheinlich. Die Entscheidung, Sparmaßnahmen zu ergreifen und sich nicht in die Abhängigkeit von Weltbank und IWF zu begeben, sei ein Indikator für das Bestreben, die staatlichen Ausgaben zu verringern und aus dem Teufelskreis der Verschuldung auszubrechen. "Ich denke, dass sich die derzeitige Regierung sehr wohl im Klaren über die politischen Risiken ist, die mit der Annahme der Hilfe der Golfstaaten verbunden sind", meint Ashour. "Ich erwarte, dass die in Frage kommenden Kredite von kurzer Laufzeit sein werden und nur die Zeit überbrücken sollen, bis sich unsere Wirtschaft erholt hat." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2011