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NAHOST/861: Libyen - Befrieden und demokratisieren, UN will Führungsrolle übernehmen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. September 2011

Libyen: Befrieden und demokratisieren - UN will Führungsrolle übernehmen

Von Haider Rizvi


New York, 2. September (IPS) - Die Vereinten Nationen schicken sich an, in den kommenden Tagen und Monaten eine Führungsrolle in Libyen nach dem Ende der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi einzunehmen. Politische Beobachter und Diplomaten haben jedoch ihre Zweifel, dass es der internationalen Organisation gelingen wird, dem konfliktgeplagten ölreichen Land Frieden und Demokratie zu bringen.

"Die Menschen leiden. Wir spüren ihren Schmerz ", sagte Chinas Botschafter bei den Vereinten Nationen Li Baodong auf die Frage, was er von den fortgesetzten NATO-Luftangriffen und dem UN-Vorschlag halte, Militärberater in das nordafrikanische Land zu schicken.

Das NATO-Mandat für Libyen läuft Ende September aus. Erwartet wird, dass der UN-Sicherheitsrat eine neue Resolution verabschieden wird, die den Vereinten Nationen die Führungsrolle beim Aufbau Libyens zuweist. Der nordafrikanische Wüstenstaat ist seit bald sieben Monaten Schauplatz schwerer Kämpfe zwischen Rebellen und Gaddafi-treuen Truppen.

Wie der auf UN-Themen spezialisierte Internet-Informationsdienst 'Inner City Press' berichtet, sollen in den nächsten Tagen 200 Militärbeobachter und 190 UN-Sicherheitskräfte nach Libyen entsandt werden. Aus UN-Kreisen ist derweil zu hören, dass eine konkrete UN-Strategie im Umgang mit Libyen noch nicht feststehe. Es müssten noch Anpassungen vorgenommen werden, so der Sprecher des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon, Farhan Haq.


China und Russland fordern Ende der Kämpfe

Sowohl China als auch Russland hatten sich für eine friedliche Lösung des Libyen-Konflikts eingesetzt und eine militärische Intervention als Gefahr für die Stabilität und den Frieden des Landes abgelehnt. "Die Kämpfe sollten sobald wie möglich beendet werden", meinte kürzlich der russische UN-Botschafter Vitaly Churkin nach jüngsten Gesprächen des UN-Sicherheitsrats über die Zukunft Libyens.

Jedoch sind Ban und westliche Staaten auch weiterhin fest entschlossen, allen Berichten über Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten zum Trotz, die libyschen Oppositionstruppen zu unterstützen. Die Rebellen verzeichneten Ende August entscheidende Gebietsgewinne und setzten Gaddafi ein Ultimatum, sich entweder zu ergeben oder einem vernichtenden Militäranschlag auf die Hochburg Sirte entgegenzusehen.

Ban erklärte am 31. August, die Entwicklungen vor Ort seien ermutigend. "Ich denke, wir können nun auf ein schnelles Ende des Konflikts und des Leids des libyschen Volkes hoffen", so der UN-Chef vor dem UN-Sicherheitsrat. Kritiker werfen ihm jedoch vor, die Warnungen nicht-westlicher Staaten zur Lage in Libyen in den Wind zu schlagen und sich auf die Seite der einflussreichsten Staaten gestellt zu haben, die den Entscheidungsprozess innerhalb des UN-Sicherheitsrates dominierten und es vor allem auf Libyens Öl abgesehen hätten.

Die Resolution 1973 sei ursprünglich als Aufruf zum Schutz der Zivilbevölkerung gedacht gewesen, sagte James Paul, Exekutivdirektor der New Yorker Denkfabrik 'Global Policy Forum'. Die Rolle, die UN und NATO in Libyen spielten, sei somit unangemessen. Zudem stellt sich seiner Meinung nach die Frage, ob Libyen künftig auf eine verantwortliche Regierung hoffen dürfe.

Die Resolution war im vergangenen März verabschiedet worden. Sie legte den Grundstein für das militärische Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in den libyschen Bürgerkrieg. Sie beinhaltet die Forderung nach einer unverzüglichen Feuerpause sowie das Mandat für die Durchsetzung eines Flugverbots über Libyen und den Schutz der Zivilbevölkerung.

Paul, der seit Jahrzehnten die weltweiten Auswirkungen der UN-Politik beobachtet, vertritt die Meinung, dass die Vereinten Nationen Libyens Nationalen Übergangsrat, wie sich die Oppositionsführung nennt, nicht blindlings unterstützen sollten. Dass der Übergangsrat die Entscheidung Algeriens, der schwangeren Gaddafi-Tochter Asyl zu gewähren, als "Akt der Aggression" bezeichnet habe, offenbare die moralische Schwäche der künftigen Machthaber.


Menschenrechtsverletzungen durch Rebellen

Menschenrechtsorganisationen berichten, dass sowohl die Rebellen und auch die Gaddafi-Truppen Verbrechen an der Zivilbevölkerung begehen. Wer verdächtigt wird, auf Seiten des Gaddafi-Regimes zu stehen, muss einem neuen Bericht von Amnesty International zufolge Übergriffe der Rebellen fürchten. Gefährdet seien vor allem schwarze Libyer und Afrikaner aus dem südlichen Afrika.

Eine Amnesty-Delegation, die das Zentralkrankenhaus in der libyschen Hauptstadt Tripolis besucht hatte, wurde Zeuge, wie drei Rebellen einen schwarzen Patienten aus seinem Bett holten und abführten. Sie beobachtete ferner, wie vor der Klinik ein Mann verprügelt wurde, der immer wieder schrie, kein Anhänger Gaddafis zu sein. "Wir sorgen uns besonders um all jene Gefangenen, die sich außerhalb der Sichtweite unabhängiger Beobachter befinden", sagte der amtierende Generalsekretär von Amnesty International, Claudio Cordone. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.innercitypress.org/
http://www.amnesty.org/en/news-and-updates/libya-fears-detainees-held-forces-loyal-ntc-2011-08-30
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=104955

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. September 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2011