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NAHOST/963: Israel - Beduinen fordern politische Mitsprache (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Dezember 2012

Israel: Grenzen der Demokratie - Beduinen fordern politische Mitsprache

von Jillian Kestler-D'Amours


Ein kürzlich in Bir Hadaj niedergewalztes Haus - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Ein kürzlich in Bir Hadaj niedergewalztes Haus
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Beersheba, Israel, 27. Dezember (IPS) - Während sich Israel auf die vorgezogenen Parlamentswahlen im Januar vorbereitet, ist die Empörung der Beduinen groß, dass sie in diesem Monat um die Chance gebracht worden sind, eigene Vertreter ihres Lokalrats zu wählen. Das Verbot zeigt die Grenzen der Demokratie Israels im Umgang des Landes mit seinen nicht-jüdischen Bürgern.

"Jeder Bürger möchte in Fragen, die ihn betreffen, mitentscheiden dürfen", meint Jazi Abu Kaf, eine Lokalgröße in Um Batin, einem 4.000 Einwohner zählenden Beduinendorf in der Negevwüste im Süden Israels. "Doch die Behörden erlauben keine Wahlen und das Erstarken lokaler Führer. Der derzeitige Ratsvorsitzende von Um Batin ist ortsfremd, was dafür sorgt, dass sich die Dorfbewohner mit der Lokalregierung nicht identifizieren."

Um Batin ist eines von elf Beduinendörfern in der Negevwüste, für die der Abu-Basma-Regionalrat zuständig ist. Gebildet 2004, ist er einer der drei nicht-jüdischen Lokalräte in Israel. Seit 2011 gibt es insgesamt 53 Regionalräte, die rund 850 Dörfer und Städte in Israels ländlichen Gebieten regieren. Sie setzen sich in aller Regel aus Vertretern der einzelnen Gemeinden zusammen, für die sie zuständig sind. Regionalräte sind für die Vergabe der Haushaltsgelder, Dienstleistungen und die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen staatlichen Institutionen zuständig.


Wahlen torpediert

Obwohl der Regionalrat von Abu Basma rund 30.000 Beduinen vertritt, besteht er aus von Israel ernannten Mitgliedern. Israel zögert seit Jahren die Wahlen regionaler Vertreter erfolgreich hinaus. 2009 hatte das israelische Innenministerium das Gesetz über die Regionalräte reformiert. Die Veränderung erlaubt Israel, die Wahlen neuer Regionalräte auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Zuvor war Israel zu Wahlen innerhalb von vier Jahren bis zur Bildung eines neuen Regionalrats verpflichtet.

2011 gelang es Menschenrechtsgruppen die Reform rechtlich anzufechten, und der Oberste Gerichtshof ordnete die Abhaltung von Wahlen für die Abu-Basma-Dörfer im Dezember 2012 an. Doch kurz vor dem Termin sorgte ein Sonderausschuss des Innenministeriums für die Aufteilung des Abu-Basma-Regionalrats in zwei neue Räte - Al Kasum und Neve Midbar. Zur Begründung hieß es, dass die Menschen in Abu Basma noch nicht auf die Wahlen vorbereitet seien und der Rat kein zusammenhängendes Territorium abdecken würde.

"Die Gründe mögen sinnvoll gewesen sein. Doch lässt der Zeitpunkt der Ernennung des Ausschusses wenige Monate vor den anvisierten Wahlen darauf schließen, dass es darum ging, die Umsetzung des Urteils des Obersten Gerichtshofs zu verhindern", meint Rawia Abu Rabia von der Vereinigung der Bürgerrechte in Israel, die die Beduinen in dem Bemühen um Wahlen unterstützt.

"Beduinen sind von demokratischen Prozessen ausgeschlossen, ihre jüdischen Nachbarn hingegen nicht. Die Menschen sind befremdet, sie fühlen einen Mangel an Vertrauen. Außerdem werden dadurch die Führungskräfte innerhalb der Beduinengesellschaft geschwächt", erläutert Abu Rabia. "Ohne Wahlen fühlen sich die Beduinenführer machtlos, um im Sinne ihrer Gemeinschaften agieren zu können."

In der Negevregion leben rund 200.000 beduinische Bürger Israels. Weitere 60.000 verteilen sich auf 35 Dörfer, die von Israel nicht anerkannt werden. Hinzu kommen weitere 100.000 Beduinen, die in staatlich errichteten Beduinen-Townships leben.

Alle Beduinengemeinschaften - ob nun anerkannt oder nicht - leiden unter Dienstleistungsdefiziten, einer hohen Arbeitslosigkeit und tiefer Armut. Ein Regierungsvorschlag von 2011, bekannt als 'Prawer-Plan', sieht die Umsiedlung von mindestens 30.000 Beduinen aus den derzeit nicht anerkannten Dörfern in die Townships vor. Die israelische Regierung rechtfertigt den Schritt als Modernisierungsmaßnahme, um die Beduinen mit grundlegenden Dienstleistungen versorgen zu können.


Widerstand gegen Prawer-Plan

Doch die Menschen in Negev weisen den Prawer-Plan als Verstoß gegen ihre grundlegenden Rechte kategorisch zurück. "Diese Strategie sieht die Beduinen nicht als Bürger, sondern als Feinde oder demografische Bedrohung. Die Regierung greift zu unterschiedlichen Mitteln, um Maßnahmen zu ergreifen, denen sich die Beduinen jedoch widersetzen", sagt Abu Rabia.

Nach Ansicht von Jazi Abu Kaf haben die Behörden mit der Weigerung, tausenden Beduinen ihr Wahlrecht zu gewähren, das Gefühl der Machtlosigkeit unter den Mitgliedern der Minderheit verstärkt. "Neun Jahre nach Einrichtung des Abu-Basma-Rats hat sich nichts an der Situation der Dorfbewohner geändert. Der Rat tut nichts für die Dörfer", betont Abu Kaf. So gebe es in einigen Häusern im von Israel anerkannten Dorf Um Batin bis heute keinen Strom.

"Israel ist kein demokratischer Staat", kritisiert er. "Es gibt keine Gleichheit zwischen Arabern und Juden. Junge Menschen sehen, dass sie rechtlos sind. Sie blicken ohne Hoffnung in die Zukunft." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.acri.org.il/en/
http://www.ipsnews.net/2012/12/bedouin-seek-democracy-in-israel/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Dezember 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2012