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OSTEUROPA/278: Ukraine - zum Vorfall am Frankfurter Flughafen (Queck/Falkenhagen)


Was steckt hinter dem Vorfall mit dem ukrainischen Innenminister Luzenko am Frankfurter Flughafen?

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 18.05.2009


Am Montag den 4. Mai 2009 ereignete sich am Flughafen von Frankfurt am Main ein kurioser Vorfall, der zwar als Sensation durch die gesamten Westmedien ging, dessen Hintergründe aber für das gewöhnliche Publikum bis heute unklar geblieben sind. Es geht nach den Medienberichten um die Festnahme des ukrainischen Innenministers Jurij Luzenko (44) und seines Sohnes Oleksandre Luzenko (19) während der Abfertigung zum Weiterflug nach Seoul. Sie kamen per Flugzeug mit einer ukrainischen Regierungsdelegation aus Kiew (ein Direktflug von Kiew nach Seoul ist über den Linienverkehr derzeit nicht möglich). Beide hätten am Abfertigungsschalter des Frankfurter Flughafens betrunken randaliert, mit Handys um sich geschmissen, Beleidigungen ausgestoßen. Jurij Luzenko habe sogar eingreifende Polizisten als Nazischweine, Hitlerkinder und dergleichen beschimpft. Merkwürdig: Luzenko kann kein Deutsch sprechen und wenn er das in Ukrainisch oder Russisch gesagt haben sollte, müsste es einen kompetenten Dolmetscher geben, der das an Eides Statt beweisfähig bezeugen kann. Wenn er es in Englisch gesagt hat, müsste es viele Zeugen geben. Der Dolmetscher oder die Zeugen sind aber niemandem bekannt. Jurij Luzenko und sein Sohn sind aber angeblich auf Grund von Handgreiflichkeiten und dieser zugespitzten Äußerungen von der Polizei abgeführt worden.

Doch wie soll es dazu gekommen sein? Jurij Luzenko und sein Sohn seien bei der Zwischenlandung dem Flughafenpersonal auffällig geworden. Darauf habe der Flugkapitän der zum Abflug nach Seoul bereitstehenden Maschine der Lufthansa entschieden, die beiden nicht mit an Bord zu nehmen, obwohl sie gültige Flugtickets vorgewiesen haben und auch ihre Identität auswiesen. Man berief sich darauf, dass die Luzenkos einen alkoholisierten Eindruck gemacht hätten, man redete gar davon, sie seien sturzbetrunken gewesen. Der Flugkapitän erklärte, dass er durch einen Anruf von kompetenter Stelle gewarnt worden sei, eine betreffende Person mit an Bord zu nehmen, von der sich dann später herausgestellt habe, dass es sich um den ukrainischen Innenminister Jurij Luzenko gehandelt hat.

Festgenommen wurde er zusammen mit seinem Sohn, der dabei war, als das Flughafenpersonal ihnen den Zutritt zum Flugzeug verweigerte. Luzenko senior und junior seien dabei handgreiflich geworden und hätten deutlich randaliert. Die Entscheidung des Flugkapitäns sei dadurch beeinflusst worden, dass man befürchtet habe, dass es an Bord der Maschine durch die Ukrainer zu Pöpeleien kommen würde. Als die herbeigerufene Polizei sie festnehmen wollte, hätten die beiden Personen sich zur Wehr gesetzt, bei den dabei entstehenden Handgreiflichkeiten seien vier Polizisten bzw.Polizistinnen verletzt worden. Das konnte aber später nicht bestätigt werden. Merkwürdig war auch, dass die Medien anfangs nicht darüber berichteten, dass es sich nicht nur um den Innenminister und seinen Sohn handelte, die angeblich einen Ausflug ins Blaue unternommen hätten, sondern um eine ukrainische Regierungsdelegation, die im offiziellen Auftrag zu Regierungsverhandlungen nach Seoul flog, um über Fragen der Organisation der Euro-2012, (Südkorea verfügt hier bei der Organisation derartiger Fußballspiele über Erfahrungen) und über die Bekämpfung der illegalen Migration zu verhandeln. Mitglieder der Delegation waren auch neben Innenminister Luzenko der Leiter des Apparats und der Leiter des Referats für internationale Verbindungen des Innenministeriums. Die Regierungsdelegation war offiziell von Kiew aus anvisiert und gemeldet gewesen, so dass der Flugkapitän und die Flughafenverwaltung genauestens in Voraus informiert gewesen sein mussten, mit wem sie es zu tun hatten. Sie waren demnach auch verpflichtet den diplomatischen Status von Luzenko und seiner Delegation zu achten. Auch der Sohn war gemeldet. Der Sohn flog mit, um sich einer medizinischen Untersuchung in Südkorea zu unterziehen. Dessen Flug wurde von Jurij Luzenko selbst bezahlt. Der Sohn ist krebskrank und wurde erst kürzlich operiert. Er nimmt spezielle Tabletten, trinkt aber keinen Alkohol, insbesondere auch weil dieser sich mit den Tabletten nicht verträgt.

Als Jurij Luzenko auf Grund des obigen Vorwurfs der Trunkenheit eine Alkoholkontrolle forderte, wurde diese verweigert. Warum hat die Flughafenverwaltung dies verweigert, diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. Da das Flugzeug kurz vor dem Abflug stand, forderte Jurij Luzenko die schnelle Erledigung des Vorfalls. Die Delegation wurde aber weiter aufgehalten, so dass sie das Flugzeug schließlich verpasste. Jurij Luzenko forderte darauf, eine besonders unhöflich und sogar gewaltsam auftretende Angestellte am Abfertigungsschalter vor Gericht zu stellen. Er sagte, er habe ein Recht auf diese Forderung. Darauf wurde ihm erklärt, dass er überhaupt keine Rechte habe. Nach einiger Zeit wurde die Polizei gerufen, die die Mitglieder ohne jede Erklärung einkreiste und den Sohn festnahm. Dabei packte einer der Polizisten ihn am erst vor kurzem operierten Hals und legte ihm Handschellen an. Jurij Luzenko machte den Polizisten verständlich, dass sein Sohn frisch operiert ist und als dies nichts half, war er bestrebt, die Gewalt zu beenden. Nach einiger Zeit wurde auch Jurij Luzenko festgenommen und auf das Polizeirevier des Flughafens abgeschleppt. Ein Vorwurf lautete, es seinen vier Polizeibeamte bzw.Polzeibeamtinnen verletzt worden. Dieser Vorwurf sollte natürlich am Innenminister hängen bleiben, er konnte aber mit Nichts bewiesen werden.

Auf dem Polizeirevier schlugen Jurij Luzenko und die anderen Mitglieder der Delegation sowie auch ein angerufener Vertreter der ukrainischen Botschaft vor, eine medizinische Untersuchung des Bluts auf Alkohol bei allen Mitgliedern der Delegation und des Sohnes vorzunehmen. Dem wurde aber immer noch nicht entsprochen. Später traf ein Rechtsanwalt ein, der eine medizinische Untersuchung für den Sohn erreichte.

Nach einiger Zeit traf der ukrainische Konsul Nowoselow und später der stellvertretende Polizeipräsident von Hessen, Hefner ein. Dieser wollte die Sicht der Dinge von Jurij Luzenko erfahren, der erklärte, dass er zwei Varianten sehe 1. entweder Erstattung einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main über ungerechtfertigte Behinderung und Gewaltanwendung oder 2. eine offizielle Entschuldigung. Herr Hefner antwortete sofort, dass er sich für die Handlungen der Polizisten entschuldige und bat darum nicht nachtragend zu sein. Man habe sich geeinigt, auf Anzeigen wegen Widerstands und Beleidigung und sogar auf einen Bericht zu dem ganzen Vorgang zu verzichten und alles geheimzuhalten, verlautete. Merkwürdig ist nur, dass die Angelegenheit dennoch schnell als Strafsache an die Kanzlei des Präsidenten Juschtschenko nach Kiew weitergemeldet wurde, als ob man dort darauf gewartet habe, und auch die Presse schnell in entstellender und verleumderischer Weise informiert wurde, wobei die Presse natürlich mangels genauer Hintergrundinformationen wilde Gerüchte und Lügen in die Welt setzen durfte.

Zunächst sah es so aus, als durften die übrigen Delegationsmitglieder am Montag abend nach Seoul weiter fliegen, während man Jurij Luzenko und seinen Sohn abführte und in einer Polizeizelle des Flughafenreviers einsperrte. Jetzt heißt es aber, Innenminister Luzenko, sein Sohn und die anderen Delegationsmitglieder waren alle in der Zelle und haben diese dann um 1:15 Uhr in der Nacht zum Dienstag verlassen und in einem Hotel übernachten dürfen. Dabei waren sie schon wieder nüchtern, wurde berichtet, was den Meldungen von der Volltrunkenheit widersprach. Der hessische Vizepolizeipräsident bot an, jede erforderliche Hilfe zu gewähren und auch die zusätzlichen Kosten bei der Unterbringung in einem Hotel und bei der Umbuchung des Flugtickets zu übernehmen. Es sollten der Delegation also keine zusätzlichen Kosten entstehen. Herr Hefner erwies sich also durchaus als höflich und entgegenkommend. Warum wurde das in den Medien nicht gleich so dargestellt, warum drückte man sich davor, die volle Wahrheit zu präsentieren? Warum hat man hier nicht von Anfang an von einer ukrainischen Regierungsdelegation gesprochen und erst den Eindruck erweckt, als habe da ein ukrainischer Innenminister und sein Sohn eine Flugreise ins Blaue unternommen und sich dabei sternhagelblau besoffen?
Am Dienstag den 5. Mai am Abend haben dann Jurij Luzenko in der Tat mit den anderen Delegationsmitgliedern und seinem Sohn den Flug nach Seoul fortgesetzt.

Fassen wir noch einmal zusammen: Erst erweckten die Medien den Eindruck, als hätten Jurij Luzenko und sein Sohn allein eine Flugreise ins Blaue unternommen und am Frankfurter Flughafen gewalttätig randaliert. Dann rückte man allmählich damit heraus, dass da nicht Jurij Luzenko und sein Sohn alleine gereist waren, sondern Teil einer ukrainischen Regierungsdelegation waren, die von Kiew auf dem Flug nach Seoul waren, um dort Fragen der Vorbereitung der Fußballeuropameisterschaften in der Ukraine und Polen für 2012 zu klären.

Da es von Kiew aus keinen Direktflug nach Seoul gibt, ging die Reise über Frankfurt am Main. An dem Widerspruch, dass solche Flüge von Regierungsdelegationen vorher vereinbart und genau organisiert werden und dass niemand sich genau genommen darauf berufen konnte, man hätte nicht gewusst, mit wem man es zu tun gehabt hätte, nahm zunächst keine der Sensationsjournalisten Anstoß. Auch kam niemand von den Sensationsjournalisten auf den Gedanken, dass es sich hier um ein abgekartetes Spiel zwischen bestimmten deutschen Dienstellen und der Staatskanzlei ( Sekretariat) des ukrainischen Präsidenten handeln könne, ganz abgesehen davon, dass solche Gedanken "verfassungstreuen deutschen Schreiberlingen" ohnehin verboten sind.

Niemand schien auch Anstoß an dem ins Auge stechenden Widerspruch zu nehmen, dass von den vier verletzten Polizeibeamten zwei mit Prellungen und Hautabschürfungen, zwei andere Polizisten bzw. Polizistinnen nur mit leichteren Verletzungen gemeldet wurden. Gibt es noch leichtere Verletzungen als Hautabschürfungen und Prellungen? Letztlich stellte es sich heraus, dass es nicht einmal blaue Flecke gab. Und wenn eine Polizistin gestolpert wäre, hat das sicherlich nicht Innenminister Luzenko verschuldet.

Dann wurde auch verdächtig, dass die Flughafenverwaltung und Polizei sich nicht genau dazu äußern wollten, was genau am Gate vorgefallen war und ein Polizeisprecher sich dabei auf den diplomatischen Status von Jurij Luzenko berief. Merkwürdig: Plötzlich wurde der diplomatische Status ins Spiel gebracht, von dem die hessische Polizei und Bundespolizei zunächst nichts wissen wollte!

Das Protokoll darüber werde der Staatsanwaltschaft zugeleitet, hieß es. Aber die Öffentlichkeit hat bis heute nicht erfahren, was in dem Protokoll drin steht. Außerdem wurde letztlich nichts Genaues über die Art der Gewalttätigkeiten und Verletzungen mitgeteilt und das sicherlich deswegen, weil keine Flughafenangestellte, kein Polizist, keine Polizistin Verletzungen, vorweisen konnte, es sei denn man bezeichnet eine leichte Berührung mit der Hand, ein Ausrutschen ohne Folgen schon als Verletzung.

Dann stellte sich heraus, dass man es sehr verdächtig eilig hatte, von Frankfurt am Main aus unverzüglich die Präsidentenkanzlei von Juschtschenko in Kiew zu informieren. Das hörte sich quasi wie eine Vollzugsmeldung an, als ob man sich vorher schon zwischen der Präsidentenkanzlei und gewissen deutschen Behörden abgesprochen hatte. Wie Jurij Luzenko in seiner Erklärung zu dem Frankfurter Vorfall an das ukrainische Parlament und die Premierministerin Timoschenko (s. www.ukraine-nachrichten.de/index.php?id=1429) darlegte, hat seine Angelegenheit auch einen besonderen ukrainischen Charakter. "Die Position der Präsididentenkanzlei und die Erklärung des so genannten Schattenministers der Opposition Herrn Dschiga (Luzenko sollte bereits seit langem hinter Gittern sitzen) führte die Situation ins Absurde", heißt es darin.

Wie dann der Pressevertreter der Kiewer Staatsanwaltschaft, Jurij Bojtschenko mitteilte, wurde Präsident Viktor Juschtschenko schnell von einem eingeleiteten Strafverfahren gegen Jurij Luzenko in Kenntnis gesetzt, was Juschtschenko aber offensichtlich vorher beantragt hatte. Der ukrainische Präsident hatte schon am 6. Mai die Premierministerin Timoschenko aufgefordert, den Vorgang genau zu untersuchen und an den 1. stellvertretenden Außenminister W. Chandogi (Chandohi), der derzeit auch amtierender ukrainischer Außenminister ist, den Auftrag erteilt, zusammen mit deutschen Behörden den Vorfall zu klären. Er forderte darauf auch Aufklärung von der deutschen Botschaft in Kiew an. Frau Timoschenko wurde eine Zweitagefrist, also bis zum Freitag den 8. Mai, zur Aufklärung des Vorfalls gesetzt. (Diese Meldung war am 6. Mai früh im Internetportal des ukrainischen Präsidenten zu lesen).

Präsident Juschtschenko hat dann offensichtlich noch am 7. Mai die Staatsanwaltschaft von Kiew angewiesen, ein Strafverfahren gegen Jurij Luzenko einzuleiten und sogar einen Haftbefehl zu erlassen. Die ukrainische Regierung stellte hingegen klar, dass Berichte über einen randalierenden Innenminister Jurij Luzenko auf dem Frankfurter Flughafen schlichtweg erlogen sind.

Warum hatte man sich dann eigentlich dem Prozedere unterworfen, verlogene Falschmeldungen in die Welt zu setzen? Warum hat man nicht schlichtweg gesagt, Luzenko und seine Delegation sind bei der Ankunft aus Kiew in Frankfurt in der Transitzone mit dem Ausfüllen von Dokumenten aufgehalten worden und hätten deswegen den Anschlussflug nach Seoul verpasst, was zu Verärgerungen führte?

Wie reagiert nun Premierministerin Timoschenko, deren Kabinett Jurij Luzenko als Innenminister angehört?
Man schlug zunächst von Seiten der ukrainischen Regierung vor, die Sache auf sich beruhen zu lassen und sogar als Scherz abzutun. Als Scherz bezeichnete den Vorfall auch die in Moskau erscheinende Regierungszeitung "Rossiskaja Gazeta".
Frau Timoschenko hat selbst eine Stellungnahme abgegeben, in der sie den wahren Sachverhalt um die Vorgänge am Frankfurter Flughafen klarzustellen half.
Nach der Version des ukrainischen Regierung und des Innenministeriums hat sich die Ankunft der Delegation durch diese unverschuldet verzögert, sie seien zu spät am Gate angekommen, wobei offen blieb, wodurch die Verzögerung eingetreten war, schon beim Anflug aus Kiew auch mit einer Lufthansa-Maschine oder später am Gate? Alles sind Dinge, die schnell zu klären sind. Doch so einfach wurde die Angelegenheit nicht, dafür sorgte schon der ukrainische Staatspräsident. Es gab auch keine öffentlichen Entschuldigungen deutscher Regierungsstellen (weder seitens der hessischen Regierung noch des Bundesinnenministers) oder der Flughafenverwaltung, was nach dem Verhalten von Vize-Polizeichef Hefner zu erwarten gewesen wäre.

Luzenko hat nach seiner Rückkehr aus Seoul, wo er u.a. mit dem südkoreanischen Premierminister verhandelt hatte, seinen Rücktritt angeboten. Er fungiert aber noch als vorläufig suspendierter Innenminister. Über den Rücktritt muss nach der ukrainischen Verfassung das Parlament entscheiden.
Die Angelegenheit Luzenko hat eine besondere politische Brisanz. Er ist nicht nur ukrainischer Innenminister, sondern auch der Führer des Flügels "Selbstverteidigung des Volkes" im Block "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes". Er ist insofern Verbündeter von Juschtschenko, der den anderen Flügel "Unsere Ukraine" dieses Blocks anführt.
Aber warum will dann Juschtschenko den Innenminister, der sein Verbündeter sein sollte und den er einst auch favorisierte, jetzt loswerden?

J. Luzenko gehörte früher der Sozialistischen Partei von Moros an, war schon seit Februar 2005 Innenminister unter Julija Timoschenko, unter Jechanurow und dann unter Janukowitsch, als die Partei der Regionen, die Sozialistische Partei und die Kommunistische Partei (bis August 2006 vorübergehend als Kompromiss auch mit dem Block "Unsere Ukraine") bis zum Dezember 2007 eine Regierungskoalition bildeten (im März 2006 hatten die Partei der Regionen, die Sozialisten und Kommunisten bei den Parlamentswahlen eine regierungsfähige Mehrheit gewonnen). Luzenko schied aber während der Amtszeit von Janukowitsch 2006 aus der Sozialistischen Partei aus, legte im Dezember 2006 sein Amt als Innenminister nieder und gründete den mit Juschtschenko verbündeten Flügel "Selbstverteidigung des Volkes". Er trug damit zur vorzeitigen Beendigung dieser Koalition und zu vorzeitigen Neuwahlen zum Parlament bei. Als sich bei den vorgezogenen Neuwahlen im Herbst 2007 ein knapper Sieg des "Blocks Julija Timoschenko" (156 Sitze) und des Blocks "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" (72 Sitze) ergab, wurde Jurij Luzenko Anhänger einer Koalition mit Frau Timoschenko. Jurij Luzenko wurde am 18. Dezember 2007 dort Innenminister und verteidigt seitdem das Bündnis mit Frau Timoschenko auch gegen Juschtschenko, der von Anfang an Vorbehalte gegen eine Regierung Timoschenko hatte. Bei allen Konflikten zwischen Frau Timoschenko als Premierministerin und Juschtschenko als Staatspräsidenten setzte er sich für faire und legale Lösungen ein. So trat er konsequent gegen die von Juschtschenko schon seit 2008 angestrebten erneuten vorgezogenen Parlamentswahlen, verbunden mit einer Parlamentsauflösung, ein. Es gibt deswegen anhaltende Flügelkämpfe zwischen "Unsere Ukraine" und "Selbstverteidigung des Volkes". Offensichtlich unterstützt Luzenko den Präsidenten nicht bei dessen Bestreben, Frau Timoschenko abzusetzen. Er konterkarierte auch alle Schritte des Staatspräsidenten zu staatstreichartigen Lösungen oder Putschlösungen.

Juschtschenko braucht zur Realisierung seiner Nato-Beitrittsambitionen, damit er das auch machtseitig absichern kann, offensichtlich nicht einen loyalen, aber gesetzestreuen Innenminister, sondern einen absolut untertänigen Polizeiminister. Er wird dabei offensichtlich von Nato-Kreisen unterstützt. So erklären sich sicherlich auch die tieferen Ursachen, der in Frankfurt am Main gestarteten Provokation, bei der es ein Zusammenspiel zwischen der Präsidialkanzlei Juschtschenkos und deutschen Behörden gab. Es geht für Juschtschenko schlichtweg darum, die Amtsentlassung von Jurij Luzenko zu erreichen.

Nun soll sich das Schicksal von Jurij Luzenko im Kiewer Parlament entscheiden. Hinter ihm stehen der Flügel "Selbstverteidigung des Volkes" der Parlamentsfraktion "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" sowie der Block von Julija Timoschenko. Gegen ihn ist zumindest mehrheitlich der Flügel "Unsere Ukraine" von Staatspräsident Juschtschenko. Gegen ihn ist aber auch die Mehrheitspartei im Parlament, die Partei der Regionen (175 Sitze), die ihm sein Überwechseln zum Lager Juschtschenkos und Timoschenkos 2006 nicht verzeihen kann. Die Kommunisten (27 Sitze) wollen sich erst entscheiden, wenn der endgültige Bericht über die Vorgänge am Frankfurter Flughafen vorliegt. Jurij Luzenko hat inzwischen von Kiew aus auch eine Strafanzeige gegen die Bild-Zeitung erstattet.


Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2009