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OSTEUROPA/280: Kosova hat Geburtstag - Die Kolonialverwalter sind zufrieden (guernica)


guernica Nr. 1/2009, Januar/Februar 2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Kolonialpolitik I: Balkan
Kosova hat Geburtstag: Die Kolonialverwalter sind zufrieden

Von Hannes Hofbauer


Am 17. Februar 2009 feierte das offizielle Kosova den ersten Jahrestag der Ausrufung seiner Unabhängigkeit. Zum Stichtag hatten 54 Staaten (von 192 UN-Mitgliedern) das 10.000 Quadratkilometer große Land mit seinen 1,9 Millionen EinwohnerInnen anerkannt. Die nach wie vor gültige UN-Resolution 1244 begreift Kosovo als "integralen Bestandteil" Jugoslawiens (Serbiens). Solange Russland und China an ihr festhalten, bleibt die internationale Wahrnehmung über den Status des Kosovo geteilt.

Der "Newborn" im Zentrum Prishtinas tröstet über die weithin fehlende internationale Anerkennung hinweg. Eine aus riesigen Buchstaben bestehende Plastik, die den englischen Schriftzug "Newborn" ergibt, dient dem einfachen Volk als Signierunterlage. Jede und jeder kann darauf sein Einverständnis mit der neuen Staatlichkeit dokumentieren. Dass so manche mit dickem Filzstift aufgetragene Liebeserklärung nicht an das Land, sondern an die Freundin adressiert ist, liegt in der Natur des Menschen, auch des kosovo-albanischen.

Die Euphorie über die Unabhängigkeit hielt in Prishtinas politischer Klasse nicht einmal neun Monate. Ab Oktober 2008 gelangte Belgrad diplomatisch in die Offensive. Da war zum einen die Abstimmung in der UN-Vollversammlung, die auf serbischen Antrag die umstrittene kosovarische Unabhängigkeit international überprüfen sollte. Anfang Oktober 2008 stimmten 77 UN-Mitglieder dafür, den Fall an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu übergeben. Nur sechs Staaten, darunter die USA, votierten dagegen, der Rest - auch Deutschland und Österreich - enthielt sich. Damit ist es Serbien gelungen, die völkerrechtlichen Bedenken gegen die Abspaltung des Kosovo zu internationalisieren. Zum anderen stimmte Belgrad Anfang November 2008 dem bereits im Juni entwickelten "Sechs-Punkte-Plan" von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zu und brachte damit Prishtina in Verlegenheit. Ban Ki-Moon schlägt darin Verhandlungen zwischen der serbischen und der kosovarischen Seite über folgende sechs Punkte vor: Polizei, Zoll, Justiz, Eigentum, Bildung und Flüchtlingsrückkehr. Keine Kleinigkeiten also, die da unter UN-Ägide diskutiert werden sollen. Prishtina befürchtet zurecht, damit seinen bereits erkämpften Status neuerlich zur Disposition stellen zu müssen. Dementsprechend ablehnend äußerten sich Regierung und Präsident und wurden dabei von den USA unterstützt.


Der antikoloniale Widerstand wächst

Wirklich zufrieden mit der Situation in Kosova sind die Abertausenden internationalen "Helfer". Zwischen 30.000 und 50.000 AusländerInnen verdienen hier gutes Geld, die Mehrheit davon als Soldaten in der Truppe "KFOR". Dazu kommen Zivilisten aus mindestens 50 Ländern, die sich unter Kürzeln wie UNMIK, OSZE, EULEX, ICO, US-Aid und hunderterlei Nichtregierungsorganisationen tummeln und für so gut wie alles zuständig sind, obwohl die wenigsten von ihnen die dafür nötigen Kenntnisse aufweisen, geschweige denn albanisch oder serbisch sprechen.

Die Kolonialverwaltung boomt. Seit im Zuge der Unabhängigkeit USA und EU beschlossen haben, die UN-Mission (UNMIK - United Nations Interims Administration Mission in Kosovo) durch die EU-Verwaltungstruppe EULEX, eine so genannte Rechtsstaatlichkeitsmission, ablösen zu lassen, erhöhte sich die Anzahl der Juristen, Ökonomen und Sozialarbeiter, die aus dem Norden und Westen Europas kommen, signifikant. Denn bis heute ist die Ablöse nicht gelungen. Stattdessen hat sich die Fremdherrschaft verdoppelt. UNMIK und EULEX haben ihre je eigene Struktur. Die ersteren besetzen mit ihrem Hauptquartier das Zentrum von Prishtina und halten sich hinter hohen Metallzäunen verschanzt, während die EU für ihre geplanten 1800 Richter, Staatsanwälte und Helfershelfer hoch über der Hauptstadt einen halben Hügel zum Verwaltungskastell ausbaut.

Die "Internationalen" haben längst einen eigenen Wirtschaftskreislauf etabliert. Sie treffen einander in speziellen Clubs und Restaurants, die so klingende Namen wie "Strip depot" oder "Ninety One" tragen, und benötigen für ihr tägliches Auskommen im fremden Land Chauffeure, Übersetzer, Bodyguards, Gärtner, Vermieter, Prostituierte. Neben den mafiösen Wirtschaftsstrukturen einheimischer Clans zählt der von den Kolonialverwaltern angetriebene Dienstleistungssektor zu den wenigen, die in Kosova ökonomisch funktionieren.

"EULEX - nein!" Immer mehr Kosovo-Albaner wenden sich angewidert von dieser Kolonialstruktur ab. Allein die Einkommensdifferenz zwischen einem durchschnittlich verdienenden Kosovaren und einem ausländischen Verwalter offenbart die ganze Obszönität der Situation. Während ein Arzt in Prishtina nicht viel mehr als 300.- bis 350.- Euro verdient, sackt ein befristet im Fremdland tätiger deutscher oder österreichischer Jurist im Dienste der EULEX gut und gerne 5000.- Euro monatlich ein. Sein im Anschluss daran zu Hause zur Schau gestellter Stolz, Gutes getan zu haben, verhöhnt vor allem die jungen Kosovaren, die keine Chance auf Arbeit haben.

Die bedeutendste Initiative, die sich bereits seit Jahren gegen das koloniale Gebaren der Fremdherrschaft wehrt, ist die Gruppe "Selbstbestimmung" ("Vetevendosia"). Landauf, landab sind ihre Parolen an Hauswände gesprüht oder werden über durchsichtige Folien auf Verkehrsampeln geklebt. "Selbstbestimmung ja - EULEX nein" oder "UNMIK nein" steht überall zwischen Prizren, Peja und Prishtina zu lesen.


UNMIK-Polizei erschießt Demonstranten

Bereits ein Jahr vor der Ausrufung der kosovarischen Unabhängigkeit, am 10. Februar 2007, hat die Gallionsfigur von "Vetevendosja", Albin Kurti, zu einer Großkundgebung gegen die UNMIK aufgerufen, der er Selbstherrlichkeit und Korruption vorwarf. Auch die fehlende Sozialpolitik sowie die Unfähigkeit, nach neun Jahren internationaler Verwaltung eine gesicherte Stromversorgung herstellen zu können, wird von Kurti und seiner Gruppe immer wieder thematisiert. Vor zwei Jahren waren fast 30.000 Demonstranten dem Ruf gefolgt, gegen die Fremdherrschaft auf die Straße zu gehen. Die UNMIK-Polizei hatte damals in die Menge geschossen, zwei Kosovo-Albaner getötet und zig Manifestanten verletzt. Wie in jedem Kolonialsystem üblich wurden die Schützen aus Kosova abgezogen. Die Verantwortlichen ließen Kurti wegen Unruhestiftung festnehmen. Seither steht der "Leninist und Aufrührer", wie er von der lokalen Politikelite bezeichnet wird, unter Anklage. Sein Prozess ruht zur Zeit.

Gedemütigt fühlen sich die Kosovo-Albaner auch durch die von außen aufgezwungenen Symbole, mit denen ihre junge Staatlichkeit präsentiert wird. Als Hymne ließ die US-Botschafterin ein "Europalied" komponieren, das ohne Text auskommen muss: Und die Fahne zieren sechs goldene Sterne auf EU-blauer Grundfarbe vor den geographischen Umrissen Kosovas. Nur ein weiterer Staat auf der Welt hat seine Grenzlinien als Landkarte auf die Flagge gemalt, so, als ob dies eine Kompensation für nicht vorhandene Territorialität ist: Zypern. Gekämpft haben UCK und Ibrahim Rugova unter der roten albanischen Fahne mit schwarzem Adler. Geworden ist daraus - nicht nur symbolisch - ein Anhängsel der Europäischen Union, den Euro als Währung inklusive. Auch ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung existieren im übrigen keine Grenzstationen in Richtung Norden, nach Serbien. Proteste serbischer Kosovaren in Kosovska Mitrovica haben deren Aufbau bislang verhindert. Ironie der Geschichte: im Süden, nach Albanien, dessen Vereinigung mit dem Kosovo von Albanern auf beiden Seiten als ausgemachte Sache gilt, werden Pässe und Waren kontrolliert. Dort teilen internationale Zollschranken eine Bevölkerung, die sich als ein gemeinsames Volk versteht.


Die Wirtschaft am Boden

Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Kosova liegt 28-mal niedriger als jenes in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit beträgt offiziell 40%. Ein kosovarischer Rentner muss mit monatlich 50.- Euro sein Auslangen finden. Und 15% der Bevölkerung leben von weniger als einem Dollar pro Tag. Das sind großteils jene, die man als "Internationaler" gar nicht zu Gesicht bekommt, weil sie versuchen, in den Dörfern mit halb-subsistenter Lebensweise ihr Auslangen zu finden. Die Industrieproduktion ist - laut dem Prishtinaer Riinvest-Institut - seit 1989 um zwei Drittel geschrumpft. Die mangelhafte Energieversorgung dröhnt täglich in den Ohren, wenn sich Dieselaggregate zu Tausenden einschalten, um Häuser und Geschäfte mit Strom zu versorgen.


Privatisierung

Die großen Betriebe des Kosovo wie das ehemalige Bergbaukombinat Trepca stehen seit zehn Jahren so gut wie still. Die unter Slobodan Milosevic durchgeführte Privatisierung wurde von der UN-MIK bereits 1999 für nichtig erklärt. Nachdem im serbisch besiedelten Norden diese Verfügung nicht eingehalten worden war, stürmten im Sommer 2000 französische und pakistanische KFOR-Soldaten die Minen, nahmen den serbischen Geschäftsführer fest, deportierten ihn nach Belgrad und schlossen die Minen. Seither ist es keinem UNMIK-Chef gelungen, das Kernstück der kosovarischen Ökonomie in Betrieb zu nehmen. Die EU-Mission EU-LEX/ICO will nun einen neuen Privatisierungsanlauf starten. Mittlere Betriebe sind in den Jahren 1999 bis 2008 über den "Kosovo Trust Fonds" via UN-Verwaltung privatisiert worden. Im so genannten "Spin Off"-Verfahren wurden alle Belastungen des jeweiligen Betriebes von der UNMIK ins nationale Budget transferiert. Investoren mussten weder Schulden noch Jobgarantien für die Arbeiter übernehmen.


Keine Rechte für ArbeiterInnen

Sozial gesehen gilt Kosova als schwarzes Loch. Die vor einem Jahr verabschiedete Verfassung sieht keinerlei Rechte für ArbeiterInnen oder auch nur die Koalitionsfreiheit für Gewerkschaften vor. Diese operieren im gesetzlosen Raum. Von der Regierung Hashim Thaci werden sie überhaupt nicht wahrgenommen. Politisch ist die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovas ein Jahr nach ihrer Ausrufung ins Stocken geraten. Die so genannte "internationale Gemeinschaft" setzt nach dem Machtwechsel in Belgrad auf die dortigen liberalen Kräfte und wird der national agierenden albanisch-kosovarischen Elite zunehmend leid. Ökonomisch war die Eigenständigkeit des Landes von Anfang an eine Illusion. Die - wie es offiziell heißt - "überwachte Unabhängigkeit" dient in erster Linie als Spielwiese für koloniale Herrschaft. Brüssel ist gerade dabei, ihre Etablierung langfristig abzusichern.


Von Hannes Hofbauer ist im Herbst 2008 erschienen:
"Experiment Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus" (Wien, Promedia Verlag)


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Quelle:
guernica Nr. 1/2009, Januar/Februar 2009, Seite 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2009