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OSTEUROPA/298: Moldawien - Rücktritt von Greciani und Woronin. Weitere Entwicklung? (Falkenhagen/Queck)


Moldawien: Rücktritt von Zinaida Greciani vom Amt der Regierungschefin und von Wladimir Woronin vom Amt des Staatspräsidenten. Die weitere Entwicklung im Lande ist noch mit Fragezeichen verbunden

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, September 2009


Am 9. September 2009 erklärte die moldawische Premierministerin Zinaida Greciani ihren Rücktritt. Sie und ihr Kabinett fungieren geschäftsführend ohne Beschlussfassungsrechte weiter bis zur Wahl des neuen Premierministers und zur Vereidigung des neuen Kabinetts. Am 11. September hat auch der amtierende Staatspräsident Wladimir Woronin seinen Rücktritt gegenüber dem Parlament erklärt. Das Parlament muss dieses Rücktrittsersuchen noch billigen und das Verfassungsgericht es noch bestätigen. Der erste Vizepremierminister Igor Dodon hatte noch einen Bericht über den Regierungszeitraum der Kommunistischen Partei von 2001 bis August 2009 veröffentlicht und dabei auf die großen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte Moldawiens in dieser Zeit verwiesen. So stiegen in dieser Zeit das Bruttoinlandsprodukt um das 3,9fache, die Löhne um das 6,2fache, die Renten um das 6fache. Die Einnahmen des Staatshaushalts erhöhten sich von 5,8 Mrd. Lei in 2001 auf 26,1 Mrd. Lei in 2009. Die Investitionsausgaben aus dem Haushalt stiegen pro Jahr von 796 Mio. Lei auf 4,9 Mrd. Lei. Das ist eine Erfolgsbilanz, die erst einmal von einer neuen anderen Regierung nachgemacht werden muss.

Die Demissionen erfolgten gemäß der moldawischen Verfassung. Nicht im vollen Einklang mit der Verfassung verlief jedoch die Bildung der neuen Parlamentsführung. Bei den Parlamentsneuwahlen am 29. Juli erhielten (wir berichteten darüber bereits) die Kommunistische Partei (PCRM) 48 Abgeordnetensitze, die Liberaldemokratische Partei unter der Führung von Vlad Filat 18 Abgeordnetensitze, die Liberale Partei unter der Führung von Mihai Ghimpu 15 Abgeordnetensitze, die Demokratische Partei unter der Führung von Marian Lupu 13 Abgeordnetensitze und die Allianz "Unser Moldawien" unter der Führung von Serafim Urechean 7 Abgeordnetensitze, die nichtkommunistischen Parteien bekamen also insgesamt 53 Abgeordnetensitze. Die PCRM hatte zwar 12 Abgeordnetensitze verloren, blieb aber mit großem Abstand stärkste Fraktion. Als solche hätte sie mindestens den Anspruch auf die Funktion des Parlamentsvorsitzenden gehabt. Aber diese Funktion wurde schon auf der Parlamentsitzung am 28. August von einer knappen Parlamentsmehrheit dem Führer der Liberalen Partei Mihai Ghimpu zugeschoben. Eine dagegen von der PCRM eingereichte Verfassungsklage wurde vom Verfassungsgericht mit drei Richterstimmen pro und drei Richterstimmen contra abgewiesen. Das Reglement des Verfassungsgerichts sieht vor, dass bei Stimmengleichheit unter den sechs Verfassungsrichtern eine Verfassungsklage als abgewiesen gilt (www.moldova.md/md/newslst/1211/1/3309/). Die Stimmengleichheit war nach moldawischen Berichten das Ergebnis erheblichen politischen Drucks der rechten Kräfte, auch seitens westlicher Politiker aus Washington, Brüssel und Bukarest, die Ghimpu als Befürworter des NATO-Anschlusses von Moldawien und auch seines Anschlusses an Rumänien unbedingt auf diesen Schlüsselposten sehen wollten. Sie zeugt aber auch von dem schwachen verfassungsrechtlichen Fundament der Richterentscheidung.

Nun müsste vom Parlament zügig ein neuer Staatspräsident gewählt werden.
Eine schnelle Wahl eines neuen Staatspräsidenten ist aber derzeit nicht in Sicht, so dass Ghimpu mit hoher Wahrscheinlichkeit kommissarisch die Amtsgeschäfte des demissionierten Staatspräsidenten Woronin übernehmen wird, und zwar nach der Verfassung erst einmal für maximal zwei Monate. Dann will man weitersehen, was machbar ist, heißt es aus dem Ghimpu- und Filat-Lager. Offensichtlich in dieser Erkenntnis hatte auch noch am 28. August Marian Lupu den Posten des Parlamentsvorsitzenden beansprucht, war damit aber gescheitert.

Die Bildung einer neuen Regierung ist bis zum 20. September vorgesehen. Der als neuer Premierminister designierte Vlad Filat hat schon angekündigt, dass man gegebenenfalls auf Neuwahlen hinsteuert, solche Neuwahlen aber nur stattfinden sollen, wenn die Machtverhältnisse der neuen Rechten (er nennt das verlogen funktionsfähige demokratische Verhältnisse) gefestigt sind. Dann werde man dafür sorgen, dass die Kommunisten im Parlament eine unbedeutende Minderheit werden (www.filat.md/blog/?p=1525). Das ist die Ankündigung einer faschistoid-diktatorisch herrschenden Regierung, die auf Wahlmanipulation massiven Ausmaßes zusteuert. Interessant ist in dem o.g. Statement von Vlad Filat, dass er nicht damit rechnet, dass Marian Lupu, der bisher von der "Allianz für europäische Integration" designierte Staatspräsident, die dafür notwendigen 61 Abgeordnetenstimmen erhält. Filat lässt durchblicken, dass er auch gar nicht brennend daran interessiert ist, dass das Parlament in Kürze einen neuen Staatspräsidenten wählt. Marian Lupu wird offensichtlich auch vom rechten Lager als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten zunehmend Misstrauen entgegengebracht.


Auf der Parlamentsitzung am 11. September wurden auf Vorschlag des Parlamentsvorsitzenden (Parlamentssprechers) Mihai Ghimpu die Funktionen von vier Vizevorsitzenden des Parlaments, darunter eines 1. Vizevorsitzenden geschaffen. Bis jetzt gab es im Parlament nur die Funktionen von zwei Vizevorsitzenden. Als 1. Vizevorsitzender und damit erster Stellvertreter von Mihai Ghimpu wurde Serafim Urechean bestimmt und mehrheitlich gewählt. Er vertritt damit Mihai Ghimpu, wenn dieser vertretungsweise die Amtsgeschäfte des Staatspräsidenten ausübt. Weitere Vizevorsitzendenposten im Parlament wurden Jurie Tap von der Liberaldemokratischen Partei und Marcel Raducan von der Demokratischen Partei zugewiesen. Einen Posten des Vizevorsitzenden reservierte man gnädigerweise für die Kommunistische Partei. Ihre Abgeordneten hatten in der vorausgegangenen Debatte gefordert, dass ihre Partei zwei Plätze als Vizevorsitzende des Parlaments erhalten sollten. Als der Parlamentssprecher Ghimpu das ablehnte, verlangten die Kommunisten dann zumindest den Posten des 1. Vizevorsitzenden des Parlaments. Aber das wurde von den anderen Parlamentsabgeordneten zurückgewiesen.


Auf Vorschlag Ghimpus legte man per Parlamentsbeschluss noch die Zusammensetzung des Ständigen Büros des Parlaments fest. Dieses besteht aus 13 Mitgliedern. Nach den Verfassungsregeln wäre dieses entsprechend der zahlenmäßigen Stärke der Fraktionen besetzt worden. Aber auch diese Regel wurde vom Parlamentssprecher Ghimpu kaltblütig gebrochen. Statt 6 Mitgliedern erhielten die Kommunisten nur noch 4 Stellen. Das Ständige Büro setzt sich nun wie folgt zusammen: Mihai Ghimpu von der Liberalen Partei, Serafim Urechean von der Allianz "Unser Moldawien", Jurie Tap von der Liberaldemokratischen Partei, Marcel Raducan von der Demokratischen Partei, Vlad Filat von der Liberaldemokratischen Partei, Anatolie Salaru von der Liberalen Partei, Marian Lupu von der Demokratischen Partei, Veaceslav Untila von der Allianz "Unser Moldawien" sowie von der Kommunistischen Partei Vladimir Turcan, Grigore Petrenco, Igor Dodon und Maria Postoico. Die Vizevorsitzenden des Parlaments sind kraft ihres Amtes automatisch Mitglieder des Ständigen Büros (www.moldova.md/md/newslst/1211/1/3315/). Zu den genannten Personen kommt ein eventuell noch zu wählender Vizeparlamentsvorsitzender der PCRM hinzu.


Man kann damit rechnen, dass künftig zwei Politiker die moldawische Politik bestimmen werden. Das sind Vlad Filat und Mihai Ghimpu. Diese wollen auf Verfassungsänderungen hinarbeiten, die dann auch die Wahl einer der beiden Politiker zum Staatspräsidenten einfacher machen. Beide sind gestandene Neoliberale, die einen strikten Sozialabbau ansteuern werden, so dass für die Mehrheit der Moldawierinnen und Moldawier wieder ein langer Leidensweg beginnen wird. (Den ersten Leidensweg hatte Moldawien schon in den Jahren 1992 bis 2000 durchlaufen). Offen ist, ob sich die Masse des moldawischen Volkes den Neoliberalismus pur und den damit verbundenen Sozialabbau, die die Politik von Ghimpu und Filat beinhalten, gefallen lassen werden. Das gilt auch für die Wahrnehmung nationaler Interessen des moldawischen Staates. Man muss unter der Führung dieser beiden Politiker nämlich damit rechnen, dass Moldawien bald an die NATO und staatsrechtlich sogar an Rumänien angeschlossen wird. Äußerst schwierig wird sich die Lösung des Transnistrien-Problems gestalten. Transnistrien gehörte historisch und kulturell-sprachlich nie zu Rumänien. Dort leben auch vorwiegend ethnische Russen und Ukrainer.

Über die künftige Rolle von Marian Lupu gibt es in Moldawien geteilte Meinungen. Bei vielen Kommunisten und Linken gilt er als Renegat. Manche bezeichnen ihn sogar als Verräter. Andere wiederum glauben, dass er als ein vom Parlament gewählter Präsident den Weg zurück zum moldawischen Volk und zu den linken Kräften finden könnte und gemeinsam mit ihnen gehen wird. Die Frage der Politik Moldawiens ist eine Macht- und Strategiefrage. Wie sich das Schicksal Moldawiens gestalten wird, wird in vieler Hinsicht auch von der Haltung Russlands und der Ukraine abhängen.


Diskutiert wird in Moldawien, ob der Rücktritt von Woronin unvermeidlich war. Er hätte, so wird vielfach argumentiert, verfassungsrechtlich noch bis zur Wahl des neuen Staatspräsidenten im Amt bleiben können, sozusagen durchhalten sollen. Bei seiner Entscheidung zum Rücktritt hat zweifellos der enorme politische Druck, der auf ihn ausgeübt wird, eine Rolle gespielt. Hinzu kommt, dass sich die Auswirkungen der Finanz- und Weltwirtschaftkrise zunehmend auch in Moldawien bemerkbar machen. Die kommunistische Regierung konnte diese noch bis zuletzt vom Lande fernhalten. Dann treten auch zunehmend Unsicherheiten bei den Unterstützern Moldawiens auf. So hat Russland z.B. auf Grund der instabilen moldawischen Verhältnisse Wirtschaftshilfemaßnahmen, u.a. einen 500-Millionen-Dollar-Kredit, vorläufig auf Eis gelegt. Auch die politischen Verhältnisse im Nachbarstaat Ukraine sind prekär.


Man sagt, Woronin hätte auch vor den Neuwahlen am 29. Juli den Fehler gemacht, sich zu sehr auf den Selbstlauf demokratischer Verhältnisse zu verlassen. So konnte er nicht unbedingt damit rechnen, dass sich die letzten drei Wahlerfolge für die Kommunisten auch bei der Neuwahl am 29. Juli 2009 wiederholen, zu stark war die finanzielle, materielle und propagandistische Unterstützung insbesondere der Parteien von Ghimpu und von Filat seitens des Westens gewesen. Woronin hätte deswegen selbst mehr Parteien unterstützen und fördern müssen, die mit seiner Partei in einer Art antifaschistisch-demokratischen Block stehen, damit diese die 5-Prozenthürde überspringen. Auf diese Weise hätte man den "faschistoiden Liberalen" wirksamer entgegentreten können. Hierfür hätten sich z. B. die Nationalliberale Partei und die Christlich-Demokratische Volkspartei angeboten. Auch der schon seit 2001 von Woronin eingeschlagene außenpolitische Kompromiss-Kurs gegenüber der EU und NATO hat sich nicht ausgezahlt und wurde auch nicht honoriert.

Nur eine strikte Anti-NATO-Haltung hätte die Kommunistischen Partei in den Augen der ihrer Bevölkerung gestärkt und sie hätte damit auch Russland ihre Verbundenheit bewiesen. Die unklare außenpolitische Haltung der Kommunisten im Parlament hat ihre Anhänger in das pro-westliche Lager getrieben. In Moldawien ist damit die NATO-Frontlinie gegen Russland gestärkt worden.


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2009