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OSTEUROPA/307: Wahl von Marian Lupu zum moldawischen Präsidenten erneut gescheitert (Falkenhagen/Queck)


Wahl von Marian Lupu zum moldawischen Präsidenten erneut gescheitert

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 13. November 2009


Nach der gescheiterten Wahl des moldawischen Staatspräsidenten am 23. Oktober 2009 wurde kurzfristig Anfang November 2009 von der unter der Leitung von Ion Plescu stehenden "Parlamentskommission für die Präsidentenwahl" festgelegt, dass sich Kandidaten für eine neue Präsidentenwahl bis zum 6. November 2009 aufstellen lassen können. Nach dem entsprechenden Gesetz müssen sie von mindestens 15 Abgeordneten unterstützt werden, das aktive und passive Wahlrecht besitzen, mindestens 40 Jahre alt sein und mindestens 10 Jahre lang auf dem Territorium der Republik Moldawien gewohnt haben bzw. wohnen. Kandidaten müssen ferner ein Gesundheitszertifikat einer ermächtigten medizinischen Einrichtung, eine Erklärung über alle Einkünfte von 2008 und 2009 und einen Lebenslauf mit den biographischen Daten vorweisen.

Die neue Präsidentenwahl wurde kurzfristig auf den 10. November 2009 angesetzt.
Registriert wurde wiederum nur als einziger Kandidat Marian Lupu von der "Allianz für europäische Integration". Er ist Vorsitzender der Demokratischen Partei. Für die Wahl musste er mindestens 61 Stimmen erhalten. Das Dilemma war nach wie vor, dass die "Allianz für europäische Integration", bestehend aus der Liberaldemokratischen Partei Moldawiens (PLDM) mit 18 Abgeordneten, der Liberalen Partei (PL) mit 15 Abgeordneten, der Demokratischen Partei Moldawiens (PDM) mit 13 Abgeordneten und der Allianz "Unser Moldawien" (AMN)) mit 7 Abgeordneten, zusammen nur über 53 Mandate im Parlament verfügt. Die mit 48 Mandaten dort vertretene Kommunistische Partei (PCRM) musste also zur Erreichung der Dreifünftelmehrheit von 61 Stimmen mit mindestens mit 8 Stimmen die Wahl von Marian Lupu unterstützen. Die Chancen dafür waren durchaus vorhanden, wenn die führenden Vertreter der Allianz auf die von dem Fraktionschef der Kommunisten, Wladimir Woronin, gestellten Bedingungen eingegangen wären. Wladimir Woronin hatte schon Mitte September an die vier Parteien der "Allianz für europäische Integration" folgende Hauptbedingungen gestellt, bei deren Erfüllung die Kommunisten die Wahl von Marian Lupu mittragen könnten, um erneute, vorgezogene Parlamentswahlen zu vermeiden. Das waren:

1. die Garantie seitens der Mehrheit der Allianz auf Einhaltung der Artikel 1 - 11 der moldawischen Verfassung, die insbesondere die Demokratie und politische Pluralität, die strikte Rechtstaatlichkeit, die Gewaltenteilung, territoriale Integrität, Souveränität und die Neutralität des Republik Moldawien verankern. Das schließt die Forderung nach einer friedlichen Lösung des Transnistrienproblems ein.

2. die Garantie fundamentaler Rechte, Freiheiten und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger (Artikel 15 - 59 der Verfassung). Dazu gehören sowohl das Recht auf Bildung, einschließlich eines unentgeltlichen Hochschulstudiums und einer gesicherten Berufsausbildung (Artikel 35), das Recht auf Gesundheitsschutz einschließlich einer unentgeltlichen medizinischen Versorgung (Artikel 36), das Recht auf eine gesunde Umwelt (Artikel 37), das Recht auf Arbeit und Arbeitschutz (Artikel 43), das Recht auf sozialen Schutz und soziale Hilfe (Artikel 47) und der Schutz der Familien und Kinder (Artikel 48 und 49).

3. die Durchführung wirksamer Antikrisenmaßnahmen zur Stabilisierung der sozial-ökonomischen Situation im Lande. Gefordert wurden in diesem Zusammenhang die Erhöhung der Quote des Investitionsvolumens für öffentliche Aufgaben, die Fortsetzung der Politik zur Erhöhung der Investitionen für strategische Projekte und die Einhaltung der Stabilität des Haushaltssystems.

4. Garantien für folgende Maßnahmen : die Erhöhung eines gesetzlichen Mindestlohns alle zwei Jahre, die Sicherung eines monatlichen Durchschnittslohns, umgerechnet in Moldawische Lei, von 500 Euro, die weitere Gewährleistung des Mechanismus der Erhöhung der Leistungen für den sozialen Schutz und der sozialen Hilfe. Die dazu geforderten Garantien zur Gewährleistung oder Erreichung dieser Aufgaben sollten also die Parteien der "Allianz für europäische Integration" abgeben (s. u.a. www.moldova.md/md/newslst/1211/1/3331/).

Auch als das Parlament am 10. November 2009 zusammengetreten war, machte die Fraktion der PCRM nochmals deutlich, auf welche Mindestbedingungen es ihr bei einer Zustimmung zur Wahl von Marian Lupu ankommt. Auf diese Forderungen der PCRM hätte man fairer Weise eingehen oder mindestens darüber verhandeln können Seitens des Parlamentsvorsitzenden und amtierenden Interimspräsidenten Mihai Ghimpu gab es aber nicht nur eine scharfe Absage, sondern sogar Verhöhnungen und Schmähungen, ebenso vom Premierminister Vlad Filat und von einigen anderen Politikern des rechtsliberalen Lagers. Die kommunistischen Abgeordneten verließen deshalb unter Protest den Sitzungssaal des Parlaments. In den Medien vom 10. November 2009 aber wurde folgende Ungenauigkeit kolportiert: (s. www.moldova.md/md/newslst/1211/1/3383/) "Die 48 Abgeordneten der kommunistischen Partei haben die Abstimmung boykotiert, indem sie vor der Abstimmung über die Wahl des Staatspräsidenten den Parlamentssaal geschlossen verlassen haben. Nur die 53 Abgeordneten der "Allianz für europäische Integration" haben dann für Marian Lupu gestimmt." (s. unter : www.moldova.md/md/newslst/1211/1/3383/) .

Wie aber war die wirkliche Situation?
Genau genommen hätte sich mit dem Auszug der 48 kommunistischen Abgeordneten eine Abstimmung infolge der Nichterreichung des Anwesenheitsquorums von mindestens 61 Abgeordneten erübrigt. Mit Obstruktionspolitik der Kommunisten als Rache für die einst betriebene Obstruktion der Wahl einer Kandidatin der Kommunisten nach den Aprilwahlen hatte das weniger zu tun, obgleich es kommunistische Abgeordnete gibt, die Marian Lupu als Renegaten oder gar als Verräter bezeichnen, weil er als die Nummer 2. der PCRM die Partei im Juni 2009 verlassen hatte.

Nun ist es durchaus das Recht der Kommunisten als Opposition im Parlament gewisse Minimalforderungen zu stellen, wenn sie in toto oder partiell die Wahl des Staatsoberhaupts mittragen sollen. Aber die Wahl von Marian Lupu zum Staatspräsidenten musste scheitern, weil sich keine Kompromisslösung abzeichnete. Im Gegenteil, das politische Klima wurde von einigen Vertretern der Allianz bewusst auf eine verschärfte Konfrontation hingesteuert. Aber die Chancen auf eine Verständigung mit Marian Lupu standen gut und stehen nach wie vor gut.

Mihai Ghimpu hat recht, wenn er erklärte, dass bei der spätestens bis zum 10. Dezember 2009 zu organisierenden Wiederholungswahl (bei dem zweiten Wahlgang des Staatspräsidenten, der laut gültiger moldawischer Verfassung innerhalb von 30 Tagen nach dem ersten Wahlgang erfolgen muss) sich sehr wohl kommunistische Abgeordnete finden würden, die für Marian Lupu stimmen und ihm die erforderliche Stimmenmehrheit sichern könnten. Die Frage ist nur, ob Ghimpu und sein liberaler Gefährte, Premierminister Filat, das wollen und gutheißen. Beide sind Anhänger einer schnellen Westintegration Moldawiens, inklusive des Beitritts zur EU und NATO. Der sozialdemokratisch orientierte Marian Lupu hat erklärt, dass er den Neutralitätsstatus von Moldawien aufrechterhalten will.

Bekanntlich ist Marian Lupu auch für Russland ein akzeptabler moldawischer Staatspräsident. Er hatte bei einem Besuch in Russland sogar weitgehenden Konsens mit der Partei "Einiges Russland" erzielt, und auch bei dem Gespräch zwischen Lupu und dem russischen Präsidenten Medwedjew anlässlich des jüngsten Treffens der Staatsoberhäupter der GUS-Staaten in Chisinau hatte sich eine Verständigungslinie abgezeichnet.

Orakelhaft ist die in der westlichen Presse (s. u.a. "Neue Zürcher Zeitung" vom 11. November 2009, Seite 5) wiedergegebene Äußerung von Mihai Ghimpu, dass "er von Mechanismen wisse, die eine Wahl des Präsidenten auch ohne die Kommunisten ermöglichen würden. Er werde sich darüber äußern, wenn die Zeit reif sei".

Nach der oben genannten offiziellen Information vom 10. November hat sich Ghimpu für eine Wahl des Staatsoberhaupts mit der einfachen parlamentarischen Mehrheit von 51 Stimmen ausgesprochen, wobei er die gegenwärtige Verfassungsregelung von mindestens 61 Stimmen kritisierte und das als Nachhall, als Überbleibsel des alten politischen Kampfes abtat. Dieses Vorgehen liefe aber auf einen Verfassungsbruch hinaus, wenn es dazu im Parlament in Übereinstimmung mit den Kommunisten nicht vorher zu einer Verfassungsänderung käme. Für eine Verfassungsänderung wäre eine Zweidrittelmehrheit (mindestens 67 Abgeordnetenstimmen) notwendig.

Die Kommunisten haben Herrn Ghimpu bereits des mehrfachen Verfassungsbruchs beschuldigt, und das zu recht. Nach der Verfassung hätte Ghimpu in seiner derzeitigen Eigenschaft als zeitlich für zwei Monate befristet amtierender Interimsstaatspräsident schon spätestens nach der gescheiterten Präsidentschaftswahl am 10. November die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen Anfang des Jahres 2010 ankündigen müssen.

Neuwahlen erst im Juni oder gar Herbst 2010 anzuberaumen, widersprechen der noch gültigen moldawischen Verfassung. Daran ändert auch ein in erster Lesung mit einfacher Parlamentsmehrheit beschlossenes Organgesetz mit beabsichtigter verfassungsändernder Wirkung nichts.

Wie kryptisch-byzantinisch soll es in Moldawien beim derzeit von einer "liberalen" Koalition betriebenen Demokratieabbau weitergehen oder kommt es doch noch zu einer neuen progressiven demokratischen Wende?


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009