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OSTEUROPA/315: Ukraine - Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 17.1.2010 (Falkenhagen/Queck)


Ukraine: Die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 17. Januar 2010

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 31.12.2009


Am 17. Januar 2010 soll in der Ukraine die erste Runde der Präsidentschaftswahlen stattfinden. Drei Wochen danach ist die Stichwahl zwischen den beiden Erstplazierten der ersten Runde angesetzt. So ist es zumindest vorgesehen. Auf Überraschungen muss man dennoch vorbereitet sein, denn vieles hängt noch davon ab, wie der bisherige Präsident Juschtschenko seine Machtfülle gebraucht, wenn die Wahl nicht nach seinem Gusto verläuft. Um das Datum der Präsidentenwahlen gab es ein langes Hickhack.
Einen ersten Beschluss über den Termin der turnusmäßigen Präsidentschaftswahlen fasste das ukrainische Parlament (die Werchowna Rada) bereits im April 2009. Als Wahltermin wurde zunächst der 25. Oktober 2009 festgelegt. Es wurde auch die entsprechende Verordnung der Werchowna Rada veröffentlicht.
Präsident Juschtschenko legte gegen diesen Beschluss beim Verfassungsgericht Klage ein. Er selbst hatte schon vorher mehrfach erklärt, dass alle Wahlen, die noch im Jahre 2009 festgelegt werden, verfassungswidrig seien. Aber auf der anderen Seite erklärte er, dass er mit dem von den Abgeordneten vorgeschlagenen Datum unter der Bedingung einverstanden sei, dass vorfristige Parlamentswahlen durchgeführt werden, wozu er aber vorher das Parlament auflösen wollte.
Die Hauptfrage, die sich die ukrainischen Politiker stellen, blieb deswegen, wann der Präsident das Parlament zum wiederholten Male auflöst. Alle Prognosen liefen zunächst auf das Datum des 25. April hinaus, ein halbes Jahr vor dem 25. Oktober 2009, den letzten Tag, an dem der Präsident in diesem Fall das Recht zur Parlamentsauflösung hätte.
Obgleich die Vertreter des Staatsoberhaupts unisono erklären, dass es bei Juschtschenko keine Pläne zur Parlamentsauflösung gibt, hat er für einen solchen Schritt juristische Gründe. Das erklärt Juschtschenko selbst ständig bei seinen Attacken auf die Regierung von Frau Timoschenko. Er verweist darauf, dass die Regierung von Ministerpräsidentin Timoschenko unfähig sei, die Probleme des Landes zu lösen, über keine parlamentarische Mehrheit im Parlament mehr verfügt. Das stimmt aber nur insofern, weil die Fraktion "Unsere Ukraine - Selbstverteidigung des Volkes" die Regierung nicht mehr mitträgt und formal die Koalition beendet hat, obgleich sie immer noch Regierungsmitglieder stellt und oft auch mehrheitlich für Gesetzesvorlagen von Frau Timoschenko stimmte. Aber auf der anderen Seite bekam Frau Timoschenko ihre Stimmen für Regierungsvorlagen mehr und mehr von der Opposition, insbesondere von der Partei der Regionen.
Ein Argument war und ist auch, dass vier Ministerressorts langfristig nicht besetzt werden können, das Außenministerium, das Verteidigungsministerium, das Ministerium für Transport und Kommunikation und das Finanzministerium. Zwischenzeitlich gelang es nur, das Außenministerium mit einem gewissen Petro Poroschenko neu zu besetzen.

Nun musste sich das ukrainische Verfassungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit des o.g. Parlamentsbeschlusses befassen, da die Wahl nach Auffassung von Juschtschenko am letzten Sonntag des letzten Monats des fünften Jahres der Amtszeit des Präsidenten stattzufinden habe. Der Termin, den das Parlament beschlossen hatte, stützte sich hingegen auf den Termin des ursprünglichen Textes der Verfassung von 1996, der jedoch durch Gesetz Nr. 2222-IV vom 8. Dezember 2004 geändert worden war. Das Verfassungsgericht gab schließlich im Urteil vom 22. Mai 2009 dem Antragsteller Juschtschenko Recht und erklärte den Parlamentsbeschluss und das Wahlgesetz für verfassungswidrig und unwirksam.
Anschließend wurde der Wahltag der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vom Parlament auf den 17. Januar 2010 gelegt, wobei die Amtszeit von Staatspräsident Juschtschenko ab dem Tag seiner Vereidigung am 23. Januar 2005 berechnet wurde. Es kam damit quasi Juschtschenko entgegen, der das Volk nicht in der noch relativ warmen Jahreszeit des Oktobers wählen lassen wollte, sondern auf "Wahlhilfe" für sich durch einen kalten Winter hofft, in der viele Wähler andere Sorgen haben, als wählen zu gehen. So spekuliert Juschtschenko, dass die Not leidenden Bürgerinnen und Bürger am 17. Januar in ihrer großen Mehrheit zu Hause bleiben, oder, dass er seine Anhängerschar z.B. durch warme Getränke und Speisen sowie Handgeld mobilisieren kann, wie schon einmal während der "orange Revolution".

Die Zentrale Wahlkommission der Ukraine (ZIK) begann sofort nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts und eines entsprechenden neuen Parlamentsbeschlusses mit der Vorbereitung der Wahlen. Die ZIK betrachtet das vom Verfassungsgericht und Parlament festgelegte Datum für die Präsidentschaftswahlen als Konstante und geht davon aus, dass ein solches Datum zum gegebenen Moment eindeutig ist.

Die Aufstellung und Vorstellung der Kandidaten und die Bildung der Kommissionen begann am 27. Juni 2009. Es begann ein langes Tauziehen um die Kandidatenliste. Am 18. November 2009 standen dann 18 Kandidaten fest, die von der Zentralen Wahlkommission (ZIK) bestätigt worden waren. 12 Kandidaten wurden nicht zugelassen, wobei unterschiedliche Gründe angegeben wurden, u.a. dass sie den Wahlpfand nicht aufgebracht hätten.
Registrierte Kandidaten und Kandidatinnen sind in alphabetischer Reihenfolge Inna Bogoslaws'kja, Michajlo Brods'kij, Anatolij Grizenko, Jurij Kostenko, Wolodimir Litwin, Oleksandre Moros, Oleksandre Pabat, Wasil' Protiwsich, Sergij Ratuschnjak, Oleg Rjabokon', Petro Simonenko, Ljudmila Suprun, Julija Timoschenko, Sergij Tigipko, Oleg Tjagnibok, Viktor Juschtschenko, Viktor Janukowitsch und Arsenij Jasenjuk.
Die jüngsten Kandidaten sind Arsenij Jasenjuk und Oleksandre Pabat (beide Geburtsjahr 1974). Neun Kandidaten sind Einzelbewerber. Weitere neun Kandidaten wurden von verschiedenen Parteien und Parteienblöcken aufgestellt. Alle Kandidaten mussten ein Wahlpfand von 2,5 Mio. Hrywnja (umgerechnet etwa 300 000 Euro) auf ein Konto der Zentralen Wahlkommission hinterlegen. Das Geld wird nur an die Kandidaten zurückgezahlt, die die zweite Wahlrunde erreichen. Diese Bestimmung hat, das ist hier anzumerken, diskriminierenden Charakter.
Neun Kandidaten treten als sog. unabhängige Kandidaten an. Das sind: 1. Inna Bogoslaw'kja, eine Rechtsanwältin, Rada-Abgeordnete, 2. Michajlo Brodskij, Unternehmer und Manager, Mitglied der Partei der Freien Demokraten; 3. Anatolij Grizenko, ehemaliger Verteidigungsminister, Rada Abgeordneter, parteilos 4. Jurij Kostenko, Vizeaußenminister, Rada-Abgeordneter, Mitglied der Ukrainischen Volkspartei; 5. Oleksandre Pabat, Unternehmer und Manager; 6. Wasil' Protiwsich, Unternehmer und Manager; 7. Sergij Ratuschnjak, Oberbürgermeister von Uzgorod in der Westukraine; 8. Oleg Rjabokon', Unternehmer und Manager; 9. Sergij Tigipko, Geschäftsmann und Manager, ehemaliger Zentralbankchef noch unter Kutschma.
Neun Kandidaten sind von Parteien bzw. Parteienblöcken aufgestellt: 1. Volodimir Litwin von der Volkspartei, die zu dem Litwin-Block gehört, er ist derzeit Parlamentsvorsitzender (Parlamentssprecher); 2. Oleksandre Moros von der Sozialistischen Partei, Parlamentsvorsitzender bis 2007; 3. Petro Simonenko von der Kommunistischen Partei und dem Block der linken und linkszentristischen Kräfte (Kommunistische Parte, Partei der Gerechtigkeit, Partei Bund der linken Kräfte, Sozialdemokratische Partei (Vereinigte); 4. Ljudmila Suprun von der Nationaldemokratischen Partei; 5. Julija Timoschenko, derzeit Ministerpräsidentin, von der Partei Allukrainische Vereinigung "Vaterland", führt den sog. Timoschenko-Block an; 6. Oleg Tjagnibok' von der Allukrainischen Vereinigung "Freiheit"; 7. Viktor Juschtschenko, der derzeitige Staatspräsident, von der Partei "Unsere Ukraine; 8. Viktor Janukowitsch von der Partei der Regionen und 9. Arsenij Jasenjuk, Führer der "Front der Veränderungen", trat zunächst als sog. unabhängiger Kandidat an.


Wie sind nun für einzelne Kandidaten die Aussichten auf den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2010?
Das Wahlrating für die erste Wahlrunde der Präsidentenwahl betrug Mitte Juli 2009 für: Viktor Janukowitsch 34,7 % und Mitte November 30 %, auf diesem Niveau hielt er sich auch noch Ende Dezember, und zwar mit 29,8 %. Für Julija Timoschenko lag es im Juli bei 21,5 %, im November bei 30 %, Bei einigen Umfragen lag Frau Timoschenko noch weiter vorn. Am 12. Dezember ergab sich jedoch ein Rückgang der Sympathiewerte für Julija Timoschenko und zwar fiel das Wahlrating für sie zu diesem Zeitpunkt nach dem Soziologischen Dienst der Ukraine FOM Ukraina auf 13,1 %. Ende Dezember kam sie auf 14 %. An 3. Stelle lag am 12. Dezember 2009 überraschend Sergij Tigipko mit 7,4 % der Wählerstimmen. Nach den ermittelten Umfragewerten des sog. Zentrums für Sozialtechnologien "Soziologlis", ergab sich Mitte Dezember für Tigipko ein Umfragewert von 11,5 %., im Südosten der Ukraine von 31 %. Er könnte damit Jasenjuk überholen und Dritter, wenn nicht sogar Zweiter der Wahl werden. Allerdings muss man sich bis zum 17. Januar 2010 noch auf viele Überraschungen gefasst machen.
Präsident Juschtschenko lag am 12. Dezember in den Umfragewerten bei 2,4 % (s. www.rg.ru/2009712/04/ukraine.html). Zeitweilig kam er bis auf 3 %.
Der Führer der Front der Veränderungen, Arsenij Jazenjuk kam in den Umfragewerten bis November noch auf 17-18 %. Wahlbeobachter gingen davon aus, dass er noch weiter nach oben schnellen und damit weiter Hoffnungsträger des Westens bleiben wird. Im Oktober rutschte er auf 9,3 % ab. Ende Dezember verzeichnete er nur noch 4,8 % der Wählerstimmen. Über die Ursachen wird hin und her spekuliert. Sergij Ratuschnjak, Oberbürgermeister von Uzgorod der Westukraine, soll seitens gewisser rechter Kräfte die Aufgabe zugewiesen worden sein, Stimmen in der West- und Mittelukraine unter Ausnutzung dort vorhandener antisemitischer Vorurteile gegenüber Jazenjuk abzuziehen. So habe Ratuschnjak Jazenjuk schon mehrfach als "dreisten Juden" diffamiert. Sergej Ratuschnjak hatte in seinen Kampagnen durchblicken lassen, dass die Juden sich über einen "angeblichen" Holocaust Deutschland und auch große Teile Westeuropas zu eigen gemacht hätten und dass der Ukraine auf Grund ihrer Vergangenheit das Gleiche drohe.
Juden werden von den reaktionären Kreisen der Ukraine aber auch für den Hungerholocaust (Golodomor) in der Ukraine 1932/1933 verantwortlich gemacht, weil zu dieser Zeit viele bolschewistische Funktionäre jüdischer Nationalität hohe Funktionen in Staat, Partei und Wirtschaft der Sowjetukraine eingenommen hatten.
Sergij Ratuschnjak weist alle diesbezüglichen antisemitischen Vorwürfe gegenüber seiner Person zurück.
Immerhin ist aber erstaunlich, dass der Umfragewert für Jazenjuk im Dezember nur noch bei 4,8 % lag.
Sowohl Frau Timoschenko, aber auch Juschtschenko stehen in Verdacht, die Kandidatur von Ratuschnjak favorisiert zu haben, da beide den jungen dynamischen Arsenij Jazenjuk als gefährlichen Konkurrenten fürchten. Die Ausnützung antisemitischer Stimmungen in der Westukraine könnten den Wählerwillen gegen Jazenjuk beeinflussen, wird spekuliert. Beweise für derartige Kalkulationen seitens Timoschenko und Juschtschenko gibt es allerdings nicht.
Janukowitsch wählte eine andere Taktik. Er bot nach Aussagen des 1. Stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden Lawrinowitsch, dem hoch befähigten Jazenjuk an, unter seiner Präsidentschaft Premierminister zu werden.

Nicht von Ungefähr haben zwei Dutzend israelische Parlamentsabgeordnete einen offenen Brief an die Führung der Ukraine gerichtet, in dem gegen die Registrierung von Sergij Ratuschnjak als Präsidentschaftskandidat protestiert wird.
Ratuschnjak wird beschuldigt, ein Holocaustleugner zu sein und Drohungen gegen die jüdische Gemeinde geäußert zu haben. "All das provoziert Hass und Gewalt gegen unser Volk, und die jüdischen Organisationen", heißt es in dem Offenen Brief der Knesseth-Abgeordneten. Jazenjuk wird dabei namentlich nicht genannt. Die Knesseth-Abgeordneten verweisen auch auf die Glorifizierung von Nazi-Verbrechern durch den Staatspräsidenten, z.B. von Roman Schuchewitsch, Hauptsturmführer der SS und Kommandeur des Ukrainischen Freikorps, der sog. Ukrainischen Aufständischen Armee, später umbenannt in Ukrainische Nationalarmee, dem von Juschtschenko der Ehrentitel Held der Ukraine verliehen wurde, obwohl er nicht nur als "Held des Befreiungskampfes", sondern auch als Nazikollaborateur und Judenmörder bekannt geworden ist.

Auch die in den Umfragewerten derzeit abgeschlagen hinten liegenden Kandidaten wie Juschtschenko, Litwin und der Kommunist Simonenko könnten bei den Wahlen noch nach vorne rücken. Das derzeitige Rating der weiteren Präsidentenamtsbewerber liegt bei: Juschtschenko, dem amtierenden Präsidenten, wie gesagt, bei 2,5 bis 3 %, bei Petro Simonenko bei 5,7 %, bei dem Parlamentsvorsitzenden (Parlamentssprecher) Wolodimir Litwin bei 3,8 %, bei Oleg Tjagnibok bei 1,6 - 2 % und bei Anatolij Grizenko bei 1,3 %.
Juschtschenko kosten die immer noch negative Einstellung zu Russland und der rüde Umgang mit demokratischen Normen zahlreiche Wählerstimmen. So hatte er beispielsweise 2004 4 Mio. neue Arbeitsplätze versprochen. Jetzt sind es aber sogar Millionen weniger, als vor seinem Amtsantritt.
Weitere Bewerber um das Präsidentenamt liegen in den Wählerumfragen unter 1%.


Wofür stehen die einzelnen Kandidaten?
Viktor Janukowitsch tritt für eine soziale Marktwirtschaft und enge wirtschaftliche Anlehnung an Russland ein. Er ist gegen die Integration der Ukraine in Militärbündnisse, befürwortet aber enge Beziehungen zur EU. Die ihm vorgeworfenen Wahlfälschungen im Jahr 2004 sind widerlegt worden. Er steht heute mehr als andere Politiker mit reiner Weste da. Im Dezember 2004 war die Wahl von Viktor Janukowitsch zum ukrainischen Präsidenten ohne klare Beweislage für ungültig erklärt worden. Eine Wahlfälschung ist in der Tat nie nachgewiesen worden. Das damalige Urteil des Obersten Gerichts, eine dritte Tour der Präsidentschaftswahl anzusetzen, war ein reines Ermessensurteil gewesen. Wie weiland bei den Präsidentschaftswahlen in Jugoslawien im Jahre 2000 kam es unter dem Druck der Opposition, des Westens und von Straßendemonstrationen zustande. Ein Gericht hat sich im Grunde der Gewalt, dem Druck der Straße und der EU-Oberen gebeugt. Außerdem war seinerzeit das Urteil verfassungswidrig gewesen, was man nachträglich mit "Zeitdruck" entschuldigt hatte. Gemäß der ukrainischen Verfassung hätte das Oberste Gericht bei nachgewiesener Ungewissheit oder gar Fälschungen des Wahlergebnisses anordnen müssen, dass das gesamte Wahlprozedere wiederholt wird. Alle Bewerber hätten noch einmal antreten müssen. Dass Juschtschenko das 2004 dies keineswegs wollte, ergab sich daraus, dass schon beim ersten Wahlgang nicht sicher gewesen war, ob er noch einmal unter die beiden Erstplazierten kommt.
Eine solche Situation darf sich nicht wiederholen, fordern die demokratischen Kräfte der Ukraine zurecht. Kurzsichtigkeit von Politikern, Denken in egoistischen Kategorien, darf nicht dominieren.
Zum Vorwurf der Wahlfälschungen: 2004 veranstalteten Juschtschenko und seine Anhänger seinerzeit einen großen Lärm um die sog. Zusatzwähler. Damit auch die Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben können, die sich zur Zeit der Wahl nicht am Wahlort befinden, in dem sie registriert sind, hatte man Wähler-Talons eingeführt. Und für Wahlberechtigte, die sich z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht in die Wahllokale begeben können, z. B. bettlägerige Kranke, hatte man die Möglichkeit eingeführt, fliegende Wahlurnen zu benutzen. Der Vorwurf der Juschtschenko-Leute lautete, dass man insbesondere damit die Wahlen massiv gefälscht habe. Am Wahltag hätten Inhaber solcher Talons zu Wahllokalen fahren können, wo sie nicht eingetragen waren und dabei wäre eine Mehrfachwahl möglich gewesen, wurde angeführt. All das aber konnte nicht mal in Einzelfällen, geschweige denn in die Wahlergebnisse beeinflussbaren Größenordnungen nachgewiesen werden. Wahlfälschungen sind also 2004 nie nachgewiesen worden und sie wurden auch nicht vom Janukowitsch-Lager, wie verleumderisch behauptet wurde, organisiert. Deswegen konnten gegen ihn und seine Wahlunterstützer auch nie ernsthafte Vorwürfe auf Wahlfälschungen geltend gemacht, bzw. Gerichtsverfahren angestrengt werden. Das weiß heute jeder Ukrainer und jede Ukrainerin und darauf konnte und kann sich Janukowitsch mit Fug und Recht berufen, wenn er von den Verleumdungen spricht, die damals gegen ihn wegen angeblicher Wahlfälschungen ins Feld geführt wurden. Trotzdem wurde ihm der Wahlsieg bei der Stichwahl geraubt, indem im Dezember 2004 unter Janukowitsch und Juschtschenko als den beiden Erstplatzierten der ersten Wahlrunde eine dritte Wahlrunde verfügt wurde, bei der dann in einer Atmosphäre der politischen Aufgewühltheit und Hysterie unter Anwendung allerlei Tricks Juschtschenko als Sieger hervorging. Es trifft somit sicherlich zu, was in dem Artikel von "Zeit-Fragen", Zürich, Nr. 50/51/2009 "Die Technik des Staatsstreichs" von John Laughland geschrieben wurde (s. http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2009/nr5051-vom-22122009/ die-technik-des-staatsstreichs-operation-regimewechsel/)
Ein entscheidender Vorteil war im Dezember 2004, dass Juschtschenko die Unterstützung von Frau Timoschenko und ihres Blocks, aber auch von Moros und seiner Sozialistischen Partei gehabt hatte. Ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung hatte zu dieser Zeit auch nicht den politischen Scharfblick und Durchblick besessen, um beurteilen zu können, worum es eigentlich ging. Der NATO-Beitritt und die Unterwerfung der Ukraine unter die USA-Dominanz und Dominanz Brüssels und auch die Frage der Frontstellung der Ukraine gegen Russland und den Großteil Asiens sowie die islamische Welt, insbesondere gegen den Iran und Syrien, sind zu dieser Zeit gar nicht thematisiert worden. Es drehte sich bei der Stimmungsmache gegen Janukowitsch um den früheren Präsidenten Kutschma, dem man politisches und wirtschaftliches Versagen sowie Korruption vorgeworfen hatte und in diesem Zusammenhang erwähnte man ganz "beiläufig", dass Janukowitsch der Ziehsohn von Kutschma ist. Außerdem ist Janukowitsch als ein Mann Moskaus hingestellt worden, was er damals nicht war und auch heute nicht ist. Janukowitsch hielt und hält lediglich eine Frontstellung der Ukraine gegen Russland "für eine tödliche Gefahr für den Frieden und die Völkerfreundschaft". Er trat schon 2004 für eine militärische Bündnisfreiheit bzw. Nichtpaktgebundenheit der Ukraine ein.
Eine wichtige Rolle hatte 2004 auch die Nutzung ochlokratischer Elemente (Elemente der Pöbelherrschaft) bei Straßendemonstrationen durch die rechten reaktionären Kräfte, wie sie das bei allen "bunten" Revolutionen der letzten Jahre bis heute tun, denn eine demokratische Volksrevolution im Interesse des ukrainischen Volkes war auch die" orange Revolution" in Kiew im Dezember 2004 gewiss nicht.

Julija Timoschenko steht ebenfalls für soziale Marktwirtschaft mit starker Betonung der sozialen Komponenten und einer "Ukraine zwischen Ost und West als neutraler Staat". Sie will aber, wie sie selber sagt "europäische Präsidentin der Ukraine", Präsidentin einer Ukraine als Vermittlerin zwischen Ost und West werden. Einen eventuellen Nato-Beitritt will sie von einem Referendum abhängig machen. Volksabstimmungen dieser Art lehnt hingegen Juschtschenko entschieden ab. Juschtschenko, ihr einstiger Partner während der so genannten "orange Revolution", hat sich mit ihr überworfen und zerstritten.
Frau Timoschenko scheint auch für Moskau zunehmend akzeptabel zu werden, wenn man sich dort auch bei der Positionierung für einzelne Kandidaten zunehmend zurückhält. Putin setzt auf Timoschenko titelte die "Neue Zürcher Zeitung", vom 21. November 2009. In der Tat hatten sich z. B. der russische Regierungschef Putin und seine ukrainische Amtskollegin Timoschenko in Jalta am 19. November 2009 bei einem Treffen auf für die Ukraine günstige Modifikationen des Erdgasabkommens geeinigt, auch um den Gastransit nach Westeuropa garantieren zu können. Im Falle des Gasbezuges unter den vertraglich festgelegten Mengen sind keine Strafgebühren mehr zu zahlen und die Transitgebühren werden auf marktübliche Preise angehoben. Damit werden auch Streitigkeiten über die Erdgaslieferungen, wie zu Beginn 2009 ausgeschlossen. Russland ist auch bereit, in der Ukraine Anlagen für die Aufbereitung von nuklearen Brennstäben zu errichten. Während der Umgangston zwischen Putin und Timoschenko immer konzilianter wurde, herrscht auf der Seite der Staatschefs, d. h. zwischen Medwedjew und Juschtschenko weiter eisiges Schweigen. Medwedjew spekuliert auf die nur marginalen Chancen von Juschtschenko, wiedergewählt zu werden, setzt aber auch Signale, dass er im Falle eines Wahlsieges von Juschtschenko oder bei einen ev. Staatsstreich Juschtschenkos von bitteren Zeiten in den gegenseitigen Beziehungen ausgeht. Medwedjew beschuldigte Juschtschenko in einem Brief vor allem einer offen militant antirussischen und gegen die GUS gerichteten Politik, eines Strebens nach einem NATO-Beitritt der Ukraine, ohne die Mehrheitsmeinung des Volkes zu berücksichtigen, der Organisierung von Schikanen gegen den russischen Flottenstützpunkt Sewastopol, der Unterstützung des Aggressors Georgien im Augustkrieg 2008 und seiner territorialen Ansprüche auf Abchasien und Südossetien, der Unterdrückung der russischen Sprache, des Kults um Kollaborateure des deutschen Faschisten wie Schuchewitsch und der Ausnutzung der Hungerkatastrophe (Golodomor) von 1932/1933 für die Schürung antirussischer Stimmungen.

Frau Timoschenko kann den Wählern gegenüber erklären, dass sie die nationalen Interessen der Ukrainer besser vertritt als Juschtschenko.

Sergij Tigipko, ehemals Wirtschaftsminister, Stellvertretender Premierminister und Zentralbankchef unter Kutschma, Wahlkampfleiter von Janukowitsch im Jahre 2004, steht für Marktwirtschaft, ein gutes Verhältnis zu Russland und militärische Neutralität der Ukraine. Litwin und Simonenko treten für eine soziale Marktwirtschaft im Sinne des Keynesianismus und einen militärisch neutralen Status der Ukraine ein.

Arsenij Jazenjuk tritt für neoliberale Marktwirtschaft oder Marktwirtschaftsradikalismus und für ein enges NATO-Bündnis ein, spricht sich aber für die stärkere Heranziehung russischer Fachleute in der ukrainischen Wirtschaft aus. In letzter Zeit spricht er sich für einen militärisch neutralen Status der Ukraine aus, wobei aber davon auszugehen ist, dass er damit nur die Popularität dieser Losung in der Ukraine nutzen möchte, um Stimmen zu gewinnen. Der stellvertretende Parlamentsvorsitzende Lawrinowitsch von der Partei der Regionen, kann sich, wie gesagt, vorstellen, dass Janukowitsch als gewählter Präsident Jazenjuk mit der Regierungsbildung beauftragt.

Nach den derzeitigen Umfragewerten würde es bei den Wahlen im Jahr 2010 zu einer Stichwahl zwischen Frau Timoschenko und Janukowitsch kommen. Bei der Stichwahl würden sich für beide nach den Prognosen eng beieinander liegende Wahlergebnisse ergeben. Die absolute Mehrheit würden beide nicht im ersten Wahlgang erzielen.
Bis zum 17. Januar 2010 und danach zum Termin der Stichwahl könnte insbesondere Frau Timoschenko mit den zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Misserfolgen noch an Boden verlieren und sogar einbrechen. Sie wird an ihren Versprechungen gemessen und das könnte nicht gut gehen, da man bei allen ihren Bemühungen dennoch bestimmte Defizite feststellen kann, obgleich der wirtschaftliche Absturz der Ukraine ab Anfang 2009 natürlich vorwiegend auf das Konto des Präsidenten Juschtschenko geht, der wirksame Krisenbekämpfungsmaßnahmen blockiert, um die Regierung von Frau Timoschenko und das Parlament in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren. Präsident Juschtschenko verstärkt zudem in letzter Zeit seine diffamierenden Attacken auf Frau Timoschenko und ihre Regierung.
Problematisch könnte es werden, dass etwa 10 % der Wahlberechtigten in Umfragen erklärten, dass sie gegen alle Kandidaten sind (die Möglichkeit gegen alle zu stimmen, sieht das ukrainisch Wahlrecht vor) und ein noch unbestimmter Teil der Wähler an der Wahl nicht teilnehmen dürfte. In Umfragen haben über 10 % der Befragten ihr Desinteresse bekundet, überhaupt an die Wahlurne zu gehen.

Nun liegt, wie gesagt, der amtierende Präsident der Ukraine, Juschtschenko, nach den Wahlprognosen hoffnungslos hinten. Ihm werden nach dem Stand von Ende Dezember 2009 gerade mal maximal bis zu 3,0 % der Wählerstimmen prognostiziert. Die nationalen Kampagnen mit antirussischer Stoßrichtung (Golodomor, Mazepa-Kult, Kult der Petljura-, Bandera- und Schuchewitsch-Leute usw.) schadeten ihm mehr als dass sie ihm nutzten. Hat er demnach keine Chancen mehr?
Staatspräsident Juschtschenko hat noch alle Optionen in der Hand, durch Wählermanipulation, gestützt auf seine Partei "Unsere Ukraine", wieder stark nach vorne zu kommen und die anderen Kandidaten abzuhängen. Die Unterstützung des Westens ist ihm dabei sicher. Er kann seinen Präsidentenamtsbonus und seine Machtfülle als ukrainischer Präsident ausspielen. Juschtschenko hat auch seinen Staatsstreichplan noch lange nicht aufgegeben und er könnte die Wahl am 17. Januar 2010 oder dann die anschließende Stichwahl zwischen den beiden Erstplazierten kraft seines noch ausgeübten Präsidentenamtes blockieren, z. B. mit dem Argument, dass das Parlament nicht die erforderlichen Gesetze zur Präsidentenwahl auf den Weg gebracht habe oder dass sogar die Wahlen einschließlich einer Stichwahl auf falschen Vorraussetzungen basieren würden.
Das negative Verhältnis von Juschtschenko zur echten Demokratie als Vollstreckung des freien Willens des Volkes, zu Wahlen allgemein und auch zum Parlamentarismus ist bekannt. Er sprach z. B. schon vom Parlaments-Absolutismus, der Mehrheitsdiktatur im Parlament, auch von einer "Mehrheitsdiktatur unmündiger Bürger", usw. Juschtschenko behinderte über Jahre die Arbeit des Parlaments und der vom Parlament gewählten Regierung, z. B. durch kontinuierliche Vetos gegen wichtige Gesetze der Legislative, durch Verfassungsklagen gegen mit Über-Zweidrittelmehrheit beschlossene Gesetze, mit der Präsidentenvetos verfassungsgerecht überstimmt wurden, und durch seine Präsidentenerlasse (Ukase), mit denen er Gesetze des Parlaments und Beschlüsse der Regierung zu blockieren versucht.
In seinem Aufruf vom 23. November 2009 rief Juschtschenko die Bevölkerung der Ukraine auf, die Freiheit nicht mit einem Sack von Wohltaten zu tauschen, der heute freigebig von den Anwärtern auf das Präsidentenamt versprochen wird. "Freiheit" sei das "höchste Gut", betonte er. Das ist die typische Demagogie, die mit den Begriffen Freiheit, Menschenwürde, und Menschenrechten Schindluder betreibt. Bezeichnenderweise fügte er noch drohend hinzu: "Das politische Rating steht absolut nicht für die Fehlerhaftigkeit oder Fehlerlosigkeit der Politik. Die Mehrheit kann sich irren und ich würde sagen, dass sie sich öfter als andere irrt". Er fügte hinzu, dass der Majdan (so wird der Aufstand seiner Leute gegen das ursprüngliche Wahlergebnis im Jahre 2004 von ihm genannt), der Anfang einer unumkehrbaren Bewegung für Freiheit und Demokratie gewesen war. Der Majdan habe für den eigenen Traum gestanden. Er war der Anfang einer Bewegung zur Änderung der Weltsicht - einer Bewegung für Freiheit und Demokratie. Er sagte ebenfalls, dass er diejenigen nicht verstehen kann, die den Majdan für einen Jahrmarkt der Versprechungen halten.

In Wirklichkeit ist Juschtschenko das Gegenteil eines Demokraten, der für Freiheit. Demokratie Menschenwürde und Menschenrechte eintritt. Er belügt das Volk und heuchelt ihm vor, für Demokratie, Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine zu stehen. Juschtschenko strebt nach wie vor ein autoritäres Präsidialregime an. Die Befugnisse des Parlament sollen nach seiner Auffassung weitgehend reduziert werden und der Staatspräsident letztlich auch bei legislativen und exekutiven Befugnissen über der Regierung und dem Parlament stehen. Die Regierung soll letztlich nur noch Befehlempfänger des Präsidenten sein. Er reitet immer noch auf seinem Verfassungsentwurf herum, mit dem er das Parlament mit Hilfe eines Zweikammersystems zu Gunsten einer Präsidialherrschaft entmachten will. Er will mit seiner Verfassungsreform die Immunität der Abgeordneten abschaffen, die Rolle der gewählten politischen Parteien im Parlament und ihren Einfluss auf das öffentliche Leben brechen (er nennt das "Kaderberufungen und -ernennungen parteiunabhängig machen"), er will das Wahlsystem für das Parlament und die örtlichen Räte so umkrempeln, dass er letztlich als Präsident das alleinige Sagen im Staate hat. Und immer wieder betont er die Notwendigkeit des Antikorruptionskampfes, wobei er selbst und seine Entourage nach Meinung der Mehrheit der Ukrainer und Ukrainerinnen die korruptesten Elemente der Ukraine verkörpern. Juschtschenko denkt dabei nach westlichen Maßstäben natürlich völlig logisch, weil eine Ukraine unter der Oberhoheit der NATO und der Brüsseler Bürokratie nur auf diese Weise, mit straffer Hand und diktatorischer Gewalt geführt, funktionieren kann. Und Juschtschenko nimmt immer mehr politische Anleihen bei den faschistischen Kräften der Ukraine auf, die in der Tradition von Petljura, Bandera und Schuchewitsch stehen.
In der Parlamentsitzung am 1. Dezember 2009 mussten sich die Abgeordneten erneut mit den Gesetzen zur Wahl des Staatspräsidenten befassen, die, obgleich vom Parlament beschlossen, vom Präsidenten zum wiederholtem Male mit einem Veto belegt wurden.
Der Präsident hatte bereits alle 243 Änderungsgesetze zum neuen Gesetz zu den Präsidentschaftswahlen durch Veto abgelehnt. Im Juli hatte das Parlament mit Über-Zweidrittelmehrheit ein neues Gesetz zu den Präsidentschaftswahlen beschlossen. Dagegen legte Juschtschenko sein Veto ein, obgleich ihn in diesem Falle die ukrainische Verfassung dazu gar nicht berechtigt. Nachdem das Parlament das Veto wiederum mit Über-Zweidrittelmehrheit überstimmt hatte, weigerte sich Juschtschenko das Gesetz zu unterschreiben. Dieses Gesetz trat dann am 9. September durch die Unterschrift des Parlamentsvorsitzenden Litwin in Kraft. Darauf rief der Präsident das Verfassungsgericht an. Dieses erklärte auch auf Druck der venezianischen Kommission, der sog. EU-Kommission für Demokratie durch Recht, das Gesetz in einigen Punkten für verfassungswidrig. Über diese angeblich verfassungswidrigen Punkte wurde noch auf den Parlamentsitzungen vom 15. bis 18. Dezember 2009 diskutiert. Auch in seiner letzten Sitzung am 23. Dezember konnte noch keine endgültige Klarheit über das Wahlgesetz geschaffen werden. Das Wahlgesetz für die Präsidentenwahl bleibt nun vorerst ohne die umstrittenen Punkte gültig. Die Haltung des Präsidenten dazu steht aber noch aus. Dann beruft er sich darauf, dass das Staatshaushaltsgesetz und damit auch die Wahlkampffinanzierung noch nicht unter Dach und Fach seien. In Wirklichkeit ist das Gesetz über den Staatshaushalt vom Parlament mit einer Über-Zweidrittel-Mehrheit gebilligt worden, der Präsident hat es nur noch nicht unterzeichnet. Jetzt erklärt er, dass der Staatshaushaltsplan für 2010 noch nicht gültiges Gesetz sei. In der Tat hat er dem Gesetz über den Staatshaushaltsplan, obwohl vom Parlament beschlossen, bis jetzt die Unterschrift verweigert. Nun beruft er sich darauf, dass damit die Wahlkampffinanzierung nicht auf gesetzlicher Basis erfolgen würde, weil diese im Staatshaushaltsgesetz enthalten ist. Er hat auch schon andere Gründe ins Feld geführt, um den Termin der Präsidentenwahl zu verschieben, z. B. die Schweinegrippe-Pandemie. Andererseits finanziert Juschtschenko seinen Wahlkampf aus Geldern, die angeblich aus seinem Privatvermögen stammen würden. Niemand weiß aber genau, aus welchen dunklen Kanälen diese Gelder wirklich stammen.
Juschtschenko könnte die auch wirtschaftlich angespannte Situation in der Ukraine ausnützen, um die Wahl am 17. Januar zu untersagen, das könnte er sogar mit der Verkündung des Ausnahmezustandes verbinden. Pläne dafür bestehen bereits, wobei Juschtschenko auch noch andere Gründe in petto hat. So hat er ein spezifisches Szenario der Einschüchterung vorbereitet. In diesem Zusammenhang sind auch die "sensationellen Offenbarungen", des Exgenerals im Innenministerium Pugatsch zu sehen, der angeblich nach über 9 Jahren die Mörder des Kutschma kritischen Journalisten Gongadse präsentieren wollte, die in den derzeitigen oberen Machtstrukturen der Regierung Timoschenko, seiner Widersacherin, oder in der Partei der Regionen von Oppositionsführer Janukowitsch sitzen würden. Gongadse war im Jahre 2000 in einem Wald tot aufgefunden worden. Der Fall ist auch durch die Weltmedien gegangen. Die Täterschaft aber wurde bis heute nicht aufgedeckt. So könnten im Vorwahlkampf ständig neue Spekulationen propagandistisch hochgezogen werden. Natürlich werden nach westlicher Regieanweisung die Täter bei den Kräften vermutet, die dem NATO- und EU-Beitritt der Ukraine kritisch gegenüberstehen.
Und natürlich erklärte Juschtschenko, auf Grund der angeblichen Geständnisse von Pugatsch die Hintermänner des Gongadse-Mordes zu kennen. Auch seine mysteriös gebliebene Dioxinvergiftung versucht, Juschtschenkokurz vor dem Wahltermin wieder politisch zu instrumentalisieren. Das Gift könne nur aus Russland stammen, ließ er verkünden.
Ein anderes Mittel, dem sich allem Anschein nach Juschtschenko ebenfalls zu bedienen versucht, ist die Öffnung der sog. Staatssicherheitsakten der Ukraine.
Präsident Juschtschenko unterzeichnete Anfang 2009 einen Ukas (Erlass) "Über die Herabstufung, Veröffentlichung und Erforschung der Dokumente, die mit der ukrainischen Befreiungsbewegung, mit politischen Repressionen und den Hungerkatastrophen in der Ukraine in Verbindung stehen". Darin ist festgelegt, dass binnen Jahresfrist" durch den Ukrainischen Sicherheitsdienst (SBU) 800 000 Dokumentenbände, die bisher als geheim oder streng geheim eingestuft waren, öffentlich gemacht werden sollen. Die deutsche Bundesbehörde für die Stasiunterlagen hatte am Dienstag den 15. Dezember 2009 eine Delegation aus der Ukraine zu Gast. Am 16. Dezember diskutierten darüber in der ukrainischen Botschaft in Berlin deutsche und ukrainische Experten über Fragen des Zugangs zu geheimpolizeilichen Akten der Ukraine aus der Zeit zwischen 1917 und 1991 (s. Pressemitteilung der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (www.bstu.bund.de/cln_012/nn_715182/DE/Presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen- 2009/2.).
Das Interessante an diesem Vorgang ist, dass der ukrainische Präsident Juschtschenko die Veröffentlichung von belastenden Akten exakt mit dem Termin der Präsidentenwahlen getimt hat. Direkt vor dem 17. Januar 2009 will er offensichtlich politische Gegner und Konkurrenten bei der Präsidentenwahl mit Akten belasten lassen, die er dem ihm persönlich unterstellten Inlandsgeheimdienst SBU zur Disposition gestellt hat. Der Vorsitzende des SBU, Walentin Naliwajtschenko, ist von Präsident Juschtschenko persönlich ernannt worden. Die Zustimmung des ukrainischen Parlaments dazu am 6. März 2009 wurde zur Formsache degradiert. Eine Parlamentsmehrheit hatte sich über sehr lange Zeit erfolgreich geweigert, dieser fragwürdigen Ernennung zuzustimmen.
Nun ist der SBU in der Ukraine in der Tat als die Horch-, Guck- und Schlägertruppe Juschtschenkos bekannt, man denke nur an den Einsatz eines Alpha-Kommandos der SBU gegen Naftogas Ukrainy. Er erheben sich folgende Fragen: Warum sollen gerade jetzt vor den vorgesehenen Präsidentenwahlen am 17. Januar 2010 belastende Akten geöffnet werden, bei denen Juschtschenko einer nach den Umfragen sicheren Wahlniederlage entgegengeht? Warum wurden die Akten, wenn man sie schon öffnen will, nicht einer Kommission des ukrainischen Parlaments zur Verfügung übergeben? Welche Garantien gibt es, dass der Inlandsgeheimdienst Juschtschenkos, der SBU, die Akten nicht manipuliert und fälscht? Mit manipulierten und gefälschten Akten arbeiten bekanntlich viele Geheimdienste der ganzen Welt. Diese Fragen stellen auch Abgeordnete des ukrainischen Parlaments und Mitglieder der Regierung. Die Frage ist nur, ob man die Pläne eines Staatstreiches oder Verfassungsputsches verhindern kann. In der Tat, selbst Timoschenko und Janukowitsch haben erklärt, dass sie mit einem Verfassungsputsch des Staatspräsidenten rechnen. Verdächtig ist, dass Juschtschenko am 28. Dezember 2009, also kurz vor dem Wahltermin am 17. Januar 2009, erneut die Realisierung der von ihm vorgeschlagenen "Verfassungsreform" fordert. Sein unter www.president.gov.ua/news/16324.html veröffentlichtes Interview trägt die Überschrift. "Die Verfassungsreform ist ein effektiver Mechanismus zum Kampf gegen die Kriminalität und Korruption in der Regierung". Er sagte u.a., dass sehr oft in der Regierung Leute sitzen, die sich die Immunität sichern und faktisch vor dem Gesetz keine Verantwortung tragen wollen. Sehr oft befänden sich in der Regierung Leute, die "unsere Werte verletzen und mit Füßen treten". Der Präsident erklärte auch, dass das gegenwärtige Parlament eine ineffiziente Arbeit leiste. Und er betonte erneut, worum es ihm bei der Verfassungsreform geht. Dabei brachte er wiederum "Vorwürfe der Korruption in der Regierung und bei den Parlamentarier" ins Spiel, die er nicht dulden könne. Das waren ganz offene Drohungen gegen vom Volk gewählte Abgeordnete und vom Parlament gewählte demokratische Institutionen, wie schon einmal im Jahre 2004, als er plötzlich seinen offensichtlichen Konkurrenten Janukowitsch "Schach matt" setzte. Wird das ukrainische Volk diesmal rechtzeitig Juschtschenkos Manipulationsversuche durchschauen?


Anmerkung

(*) Wie jetzt bekannt wurde, hat Juschtschenko am 29. Dezember 2009 eine Beratung mit der Führung des Ministeriums der Verteidigung und des Generalstabes der bewaffneten Streitkräfte durchgeführt. An ihr nahmen der erste Stellvertreter des Ministers der Verteidigung (der Ministerposten selbst ist derzeit vakant), Walerij Iwaschenko, und der Chef des Generalstabes, Generaloberst Iwan Swida, teil. Iwan Swida berichtete dem Oberbefehlshaber der bewaffneten Kräfte der Ukraine, als welcher Juschtschenko als Staatspräsident fungiert, über Fragen der Kampfbereitschaft der bewaffneten Kräfte der Ukraine, über die Optimierung des Führungssystems und die Verbesserung der Struktur und der Anzahl der Leitungsorgane der bewaffneten Einheiten sowie über die Organisation der territorialen Verteidigung des Staates. Außerdem richtete der Chef des Generalstabes an den Präsidenten den Wunsch, in die Anerkennung der Vollzugsgewalt des Vertreters des Verteidigungsministers über das Personal des Generalstabes und Verteidigungsministeriums einzuwilligen und auch wegen der derzeitigen Vakanz der Verteidigungsministerfunktion die Befugnisse zu klären, die u.a. der Generalstabschef hat. Präsident Juschtschenko sagte die unverzügliche Klärung zu. Genau genommen müsste sich verfassungsrechtlich der Präsident hierbei mit der Premierministerin Timoschenko und dem Parlamentsvorsitzenden Litwin abstimmen (Die Vakanz des Verteidigungsministerpostens hängt damit zusammen, dass das Parlament den vorherigen Verteidigungsminister abgewählt hat und ein neuer noch nicht vom Parlament und von der Regierung bestätigt wurde. Zudem ist die Ernennung eines neuen Generalstabschefs durch den Staatspräsidenten nach dem Rücktritt von Sergij Kyrytschenko von diesem Posten im Oktober 2009 verfassungsrechtlich umstritten, da nur der rechtmäßig eingesetzte Verteidigungsminister diesen vorschlagen kann. Somit erhebt sich die Frage, ob Präsident Juschtschenko die Streitkräfte für illegale Aufgaben wie einen Verfassungsputsch instrumentalisieren will). Bei der Beratung präzisierte der Präsident die Aufgaben der Führung des Ministeriums der Verteidigung und des Generalstabes zur Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit des Staates im Jahre 2010 und in den Folgejahren. Behandelt wurden auch Fragen der Sicherung der nachhaltigen Tätigkeit der bewaffneten Organe und der laufenden Haushaltsfinanzierung (s. www.president.gov.ua/news/16334.html).


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Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2010