Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

OSTEUROPA/348: Marian Lupu zum neuen moldawischen Parlamentspräsidenten gewählt (Falkenhagen/Queck)


Marian Lupu wird zum neuen moldawischen Parlamentspräsidenten gewählt, der damit provisorisch auch das Amt des Interimstaatspräsidenten der Republik Moldawien (Moldau) übernimmt. Überraschend Mitte-Rechtskoalition vereinbart und Auftrag zur Regierungsbildung an Vlad Filat erteilt, aber ihr Zustandekommen ist noch nicht gesichert

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 5. Januar 2011


Am 24. Dezember 2010 bestätigte das moldawische Verfassungsgericht die endgütige unwiderrufliche Zusammensetzung des aus der Wahl am 28. November 2010 hervorgegangenen Parlaments in Chisinâu. Vorher wurde noch einmal eine Neuauszählung der Wählerstimmen durchgeführt. Danach behält das schon am 6. Dezember von der Zentralen Wahlkommission als endgültig verkündete Wahlergebnis seine Gültigkeit. Die 101 Parlamentsitze verteilen sich danach wie folgt auf die Parteien, die die Wahlhürde von 5 Prozent übersprungen hatten: Kommunistische Partei der Republik Moldawien (PCRM) 42, Liberaldemokratische Partei von Moldawien (PLDM) 32, Demokratische Partei von Moldawien (PDM) 15 und Liberale Partei (PL) 12 Sitze.

Die Absicht der rechten Kräfte, der Kommunistischen Partei von den 42 Mandaten (nach dem ersten Wahlergebnis kurz nach dem Wahltermin waren es noch 44) noch einmal ein paar wegzunehmen und den beiden liberalen Parteien zuzuschanzen, scheiterte. Hatte die parlamentarische Demokratie noch mal geradeso die Kurve gekriegt? Wollte man sich die Blöße eines offenen Verfassungsbruchs doch nicht leisten, bei dem die beiden liberalen Parteien, die PLDM unter Vlad Filat und die PL unter Mihai Ghimpu die Macht an sich reißen?

Nach außen hin scheint in Moldawien alles verfassungsgerecht abzulaufen.
In der endgültig bestätigten Zusammensetzung trat das Parlament zu dem letzten laut Verfassung noch zulässigen End-Termin, am 28. Dezember 2010, zusammen. Am 30.12.2010 wurde dann Marian Lupu, der Vorsitzende der Demokratischen Partei, mit 57 Stimmen zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Obwohl zunächst vereinbart, kam es nicht zu der Koalition der Mehrheitspartei, der PCRM, mit der Demokratischen Partei (dazu war der Druck aus dem Westen offensichtlich zu groß), sondern zu der auch in Brüssel und Washington favorisierten Koalition, einer sogenannten Mitte-Rechtskoalition oder rechtzentristischen Koalition, auch pro-europäische Allianz genannt. Offiziell nennt sich die beabsichtigte Koalition "Allianz für europäische Integration". Vlad Filat wurde wieder zum Ministerpräsidenten designiert, Mihai Ghimpu soll dann neuer Parlamentspräsident werden, wenn es gelingt, Marian Lupu zum Staatspräsidenten zu wählen.

Die PDM hat, wie man sieht, schließlich doch noch eine Koalition mit den beiden liberalen Parteien geschlossen. Offiziell hieß es, dass der nationale Rat der PDM das so beschlossen habe. Dafür musste ihr die Funktion des Parlamentspräsidenten zugestanden werden. Als solcher wurde dann der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Marian Lupu, mit 57 Stimmen gewählt. Zwei Abgeordnete der drei Koalitionspartner in spe waren nicht anwesend, und an der Wahl beteiligten sich auch nicht die 42 kommunistischen Abgeordneten. Da es noch keinen gewählten Staatspräsidenten gibt (im Parlament wären dazu mindestens 61 Stimmen erforderlich), übernahm Marian Lupu auch verfassungsgemäß das provisorische Amt des Interimspräsidenten der Republik Moldawien. Die Kommunisten bedingen sich drei Wochen Bedenkzeit aus, um einen Parlamentsvizepräsidenten zu bestimmen.

Der bisherige Ministerpräsident Vlad Filat wurde, wie gesagt, wieder zum neuen Ministerpräsidenten designiert. Marian Lupu unterzeichnete dazu in seiner Funktion des moldawischen Interimspräsidenten ein entsprechendes Dekret. Filat hat, gerechnet ab dem 28. Dezember, drei Wochen Zeit, um sein Ministerkabinett im Rahmen der Koalition PLDM, PDM und PL einvernehmlich zusammenzustellen. Zoff scheint es aber dabei schon jetzt zu geben. Einig scheint man sich zu sein, dass in der neuen Koalition die Liberaldemokraten 7 von 16 Ministerien erhalten, die Demokraten 5 und die Liberalen 4 Ministerien bekommen. (s. Russischen Zeitung, Moskau vom 28. Dezember 2010 - http://www.rg.ru/2010/12/26/parlament-anons.html). Die Demokratische Partei beansprucht die Funktion des Innenministers, des Finanzministers und auch des Leiters der Zollbehörde, diese Funktionen, insbesondere die Funktion des Innenministers, will aber auch die Liberale Partei.

Für die Regierungsbildung bedarf es laut moldawischer Verfassung einer einfachen Mehrheit von 52 Stimmen im 101-köpfigen Parlament. Für die Wahl des Staatspräsidenten ist hingegen eine Dreifünftelmehrheit von mindestens 61 Abgeordneten erforderlich. Diese Mehrheit ist nun schon seit April 2009 (der letzten noch turnusgemäßen Wahl am 5. April 2009) nicht mehr zustande gekommen und deswegen kam es zu den zwei außerordentlichen Parlamentswahlen, am 29. Juli 2009 und dann am 28. November 2010. Doch die politische Dauerkrise wurde auch nicht durch das Wahlergebnis vom 28. November 2010 gelöst. Die Kommunisten hatten schon im Juli 2009 die absolute Mehrheit von 60 Abgeordnetenmandaten verloren (nicht zuletzt durch dem Übertritt des ehemaligen Kommunisten Lupu in die Demokratische Partei, was damals für großen Wirbel gesorgt hatte). Bei den Parlamentswahlen im Juli hatten sie nur noch 48 Abgeordnetenmandate erhalten. Die am 29. Juli 2009 an die Macht gekommenen vier Mitte-Rechtsparteien PLDM, PL, PDM und Allianz Unser Moldawien hatten aber zusammen auch nur 53 Mandate erlangt. Zur Wahl eines Staatspräsidenten fehlten ihnen noch 8 Mandate, um auf mindestens 61 Stimmen zu kommen.
Das Wahlergebnis vom 28. November brachte der Allianz, die jetzt nur noch aus drei Parteien besteht, 59 Mandate. Die Allianz Unser Moldawien war nämlich an der Wahlhürde von 5 % gescheitert und ist nun gar nicht mehr im Parlament vertreten.

Jetzt hofft Marian Lupu, mindestens zwei Stimmen der kommunistischen Fraktion zu erhalten, um als legitimer Staatspräsident vom Parlament bestätigt zu werden.

Bei der bevorstehenden Regierungsbildung kann es bezüglich der weiteren politischen Orientierung Moldawiens Differenzen geben. Während die PL für einen schnellen Nato-Beitritt und die weitere Rumänisierung bis zum staatlichen Anschluss an Rumänien steht, setzt sich die PDM von Marian Lupu für den Erhalt der in der Verfassung verankerten Grundsätze der dauerhaften Neutralität des moldawischen Staates und der Bewahrung seiner staatlichen Unabhängigkeit ein. Für die europäische Integration allerdings stehen alle drei potentiellen Regierungsparteien, die PDM, die PLDM und die PL, wobei aber offen ist, wie die Idee der europäischen Integration dann konkret ausgestaltet wird.

Zur endgültigen Besiegelung der vereinbarten Koalition hängt jetzt viel von der Kompromissbereitschaft der Liberalen unter Ghimpu ab, der bisher Parlamentspräsident sowie Interimspräsident war und den sein Machtverlust offenbar sehr schmerzt.

Marian Lupu hat offensichtlich die PCRM immer noch als Option einer Regierungskoalition in der Hinterhand, die zusammen mit der Demokratischen Partei auf 57 Abgeordnetensitze kommen würde. Auch seitens der Führer der PCRM scheint es noch oder wieder Sympathien für Marian Lupu zu geben.
Der Führer der kommunistischen Fraktion, Wladimir Woronin, der die Parlamentsitzung am 28. Dezember als Alterspräsident und Führer der Mehrheitsfraktion, der PCRM, leitete, beglückwünschte seinem früheren Parteigenossen Marian Lupu zur Wahl des neuen moldawischen Parlamentspräsidenten. Er reichte Lupu die Hand und umarmte ihn sogar ostentativ, wie u.a. die rumänische Tageszeitung "Romania libera" in ihrer Ausgabe vom 30. Dezember 2010 berichtete. (http://www.romanialibera.ro/actualitate/eveniment/marian-lupu-a-fost-ales-presidente-al parlamentului...). Die Links-Mitte-Koalition zwischen PDM und PCRM ist unseres Erachtens noch nicht vom Tisch. Sie könnte noch greifen, wenn die Liberalen in den oben genannten umstrittenen Punkten nicht einlenken.

Fraglich ist beim Zustandekommen einer Allianz zwischen PLDM, PDM und PL, ob diese dann auch vier Jahre halten wird.

Sollte ein moldawischer Staatspräsident wieder nicht vom Parlament mit mindestens 61 Stimmen gewählt werden können, wären laut gültiger Verfassung 2011 erneut Parlamentswahlen fällig. Diese Situation kann, wenn es weiter verfassungsgerecht zugehen soll, nur mit Hilfe der Kommunisten vermieden werden, die wie gesagt, mit mindestens zwei Stimmen für Marian Lupu votieren müssten, damit die von der Verfassung geforderte Dreifünftelmehrheit erzielt wird. Auch für eine eventuelle Verfassungsänderung wäre eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die auch nur mit Stimmen der Kommunisten erreichbar wäre.


*


Quelle:
Copyright 2011 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2011