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USA/307: Iran - US-Experten fordern "strategisches Engagement" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. November 2010

IRAN: US-Experten fordern "strategisches Engagement"

Von Jim Lobe


Washington, 18. November (IPS) - Eine US-Studiengruppe hat Präsident Barack Obama zu einem "strategischen" Umgang mit dem Iran aufgefordert. Ein solches Engagement sei eher geeignet, Teheran von seinem Nuklearprogramm abzubringen. Zugleich warnten die mehr als 40 Iran-, Sicherheits-, Friedens- und Abrüstungsexperten vor einem Militärschlag gegen den Iran. Ein solcher Angriff wäre in jeder Hinsicht kontraproduktiv, hieß es.

"Sollten die USA beschließen, den Iran anzugreifen (...), würde dies den gesamten Nahen Osten destabilisieren. Die strategischen, wirtschaftlichen und politischen Interessen der USA würden dadurch gravierend geschädigt", geht aus einem 77-seitigen Bericht 'Engagement, Coercion, and Iran's Nuclear Challenge' hervor.

Washington "sollte jeglichen Bezug auf einen möglichen Präventivkrieg oder eventuelle Luftschläge vermeiden", forderten die Wissenschaftler, die sich kürzlich auf Initiative von zwei Denkfabriken in Washington zu Beratungen getroffen hatten. Das militärische Potenzial der USA sei bereits gut bekannt. Den Iran daran zu erinnern, stärke die Position derjenigen in Teheran, die für die Entwicklung von Nuklearwaffen einträten.

Herausgegeben wurde der Report von dem 'U.S. Institute of Peace' und dem 'Stimson Center', die die Studiengruppe einberufen hatten, der unter anderem die Friedensforscher Richard H. Solomon, Barry Blechman, Daniel Brumberg und Steven Heydemann angehören. Die Experten reagierten auf Berichte, wonach Israel und seine Verbündeten Obama dazu bringen wollen, eine härtere Gangart gegenüber Teheran einzuschlagen, sollten Sanktionen und diplomatische Vorstöße bis zum nächsten Frühjahr keine Wirkung zeigen.


Israel rührt indirekt die Kriegstrommel

"Wenn die internationale Gemeinschaft unter Führung der Vereinigten Staaten das iranische Nuklearprogramm ohne Militäraktionen stoppen will, muss sie den Iran davon überzeugen, dass sie auf solche Aktionen vorbereitet ist", sagte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei einem Besuch in New Orleans. Kurz zuvor hatte er diese Botschaft bereits Vizepräsident Joe Biden überbracht. "Zurückhaltung wird gegen den Iran nichts ausrichten."

Efraim Inbar, ein Berater Netanjahus, schrieb in einer Kolumne für das Fachmagazin 'Defense News', dass die Diplomatie "tot" sei. "Nur mit militärischen Mitteln kann noch verhindert werden, dass der Nahe Osten verroht", betonte er.

Mehrere republikanische Kongressabgeordnete, die der konservativen 'Israel Lobby' nahe stehen, schlossen sich den Forderungen nach einer Konfrontationsstrategie an. Senator Lindsey Graham wird von dem neo-konservativen 'Weekly Standard' mit den Worten zitiert, dass Obama seine Chancen auf eine Wiederwahl 2012 vergrößern könne, wenn er "eindeutig klarstellt, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen".

Vorausgesetzt, dass Teheran tatsächlich Atomwaffen entwickle, solle sich Obama nicht darauf beschränken, das Nuklearprogramm des Iran zu neutralisieren, forderte Graham. "Stattdessen soll er die Marine des Staates versenken, seine Luftwaffe zerstören und den Revolutionsgarden den entscheidenden Schlag versetzen. In anderen Worten: das Regime ausschalten."

Die Republikaner, die bald die Kontrolle über das Repräsentantenhaus übernehmen werden, haben durch ihre jüngsten Wahlerfolge offensichtlich Oberwasser bekommen. Man werde die Regierung dazu bringen, bestehende Sanktionen insbesondere gegen russische und chinesische Firmen zu verschärfen, die weiterhin Geschäfte mit dem Iran machten, erklärten führende Parteimitglieder.

Die Obama-Regierung wehrt sich unterdessen gegen den wachsenden Druck der Opposition und Israels. Verteidigungsminister Robert Gates, der als überzeugter Gegner eines Militärschlags gilt, sprach sich offen gegen Netanjahus Forderungen nach einem größeren militärischen Drohpotenzial aus.

Die derzeitige Strategie Washingtons, die auf diplomatischem Engagement und Wirtschaftssanktionen beruhe, zeige bei der iranischen Führung Wirkung, sagte Gates. Ein militärischer Angriff würde die Iraner dazu bewegen, sich geschlossen hinter ihre Hardliner-Regierung zu stellen, meinte er. Damit könnte Teheran seine Atomstrategie mehr denn je im Verborgenen vorantreiben. Laut Gates besteht die einzige längerfristige Lösung darin, "die Iraner zu der Entscheidung zu bringen, dass Atomwaffen nicht in ihrem Interesse sind."

Die Expertengruppe hält eine solche Entwicklung nur dann für realistisch, wenn die iranische Führung von Washington höhere Anreize erhalte. Außerdem müssten die USA dem Iran deutlicher vermitteln, dass sie gemäß dem Atomwaffensperrvertrag das Recht des Landes auf Urananreicherung zu zivilen Zwecken anerkennen würden, heißt es in dem Bericht. Im Gegenzug müsse Teheran strenge Kontrollen akzeptieren.


Lob für Obamas Iran-Strategie

Die Experten lobten Obama dafür, dass er zunächst auf den Iran zugegangen sei und später internationale Unterstützung für seine Forderung nach "härteren Sanktionen der UN und von Einzelstaaten" mobilisiert habe. Nicht zuletzt aufgrund der wenig einladenden Reaktion Teherans auf die ursprünglichen Bemühungen der USA stütze sich die US-Diplomatie nun in erster Linie auf Strafmaßnahmen, hieß es.

Die Gruppe der Sachverständigen empfahl nun, dass die Regierung in Washington ihren europäischen Verbündeten unfassend vermitteln, "was Teheran durch einer für beide Seiten akzeptablen Einigung über die Atomfrage gewinnen muss". Zugleich sollten sich die USA dazu bereit erklären, heiße Themen wie Afghanistan, den Drogenhandel und die Energiepolitik zu diskutieren.

Der Report sprach sich auch dafür aus, in begrenztem Maße diplomatische Initiativen von Drittstaaten zu unterstützen. Der Regierung wurde außerdem dazu geraten, direkte bilaterale Gespräche mit Teheran anzustreben. US-Diplomaten in Drittländern und in multilateralen Organisationen sollten mit ihren iranischen Kollegen Kontakt aufnehmen, heißt es weiter.

Anfang Dezember sind im Rahmen der Vereinten Nationen lang erwartete neue Atomverhandlungen mit dem Iran geplant. Ob das Treffen in Wien, Genf oder - wie vom Iran vorgeschlagen - in Istanbul stattfinden wird, steht bisher aber nicht fest. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.usip.org/events/engagement-coercion-and-iran-s-nuclear-challenge-report-joint-study-group
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=53577


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2010