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BERUF/1590: Der steinige Weg von der Schule in den Beruf (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2013 - Nr. 104

Der steinige Weg von der Schule in den Beruf

Von Frank Tillmann



Nach dem Schulabschluss einen Job zu finden, ist für viele Jugendliche mit frustrierenden Erfahrungen verbunden. Mit Unterstützungsangeboten fällt ihnen der Übergang von der Schule in den Beruf leichter.


Die Beendigung der Schule bedeutet für viele Jugendliche einen institutionellen Abschied. Der Übergang von der Schule ins Erwerbsleben gelingt oft nur mit zahlreichen zu überwindenden Hindernissen, da die Aufnahme einer Berufsausbildung für viele Jugendliche mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden ist. Die Startbedingungen in das Berufsleben sind auch dadurch schwieriger geworden, dass die Anschlussmöglichkeiten für Jugendliche unübersichtlicher geworden und mit vielen Unwägbarkeiten behaftet sind.

An diesem Übergang sind junge Menschen besonderen Exklusionsrisiken ausgesetzt (Hillmert 2004). Schulabsolventinnen und -absolventen schlagen unterschiedliche Wege ein: akademische, beruflich qualifizierende oder auch prekäre. Großen Einfluss haben dabei Faktoren der sozialen, regionalen und ethnischen Herkunft, die Bildungsvoraussetzungen und nicht zuletzt das Geschlecht. Für einen erfolgreichen Übergang ist die individuelle Motivation besonders wichtig, wobei strukturelle Ungleichheiten reproduziert werden. Letztere äußern sich beispielsweise durch ein niedrigeres Anspruchsniveau von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Schichten im Hinblick auf die eigenen beruflichen Ziele (Walther/Walter/Pohl 2007). Angesichts sinkender Absolventenzahlen richten sich die gesellschaftlichen Erwartungen an Jugendliche dabei darauf, im späteren Erwerbsleben qualifizierte Tätigkeiten übernehmen zu können (Heidemann 2012).

Zwar hat sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt konjunktur- und demografiebedingt gegenüber den Vorjahren für viele Jugendliche verbessert, dennoch finden immer noch nicht alle Suchenden einen Ausbildungsplatz. Nach wie vor ist die Zahl der Jugendlichen groß, die Ersatzangebote des Übergangsbereichs wahrnehmen (zum Beispiel Berufsvorbereitungsmaßnahmen). 2011 begannen rund 294.000 Jugendliche und junge Erwachsen eine Maßnahme im Übergangsbereich. Dies entspricht nahezu einem Drittel der Neuzugänge im beruflichen Bildungssystem (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012). Anhand von Ergebnissen aus DJILängsschnittuntersuchungen wie den Lokalen Panels (unter anderem in Stuttgart, München und Leipzig) und dem DJI-Übergangspanel, kann jedoch auch konstatiert werden, dass etwa einem guten Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Berufsvorbereitungskursen aus Hauptschulbildungsgängen - vor allem bei gleichzeitigem Erwerb von weiteren Bildungsabschlüssen - im Anschluss an eine solche Maßnahme die Aufnahme einer Berufsausbildung gelingt.


Viele Umwege und Zwischenstationen auf dem Weg zum Arbeitsplatz

Für die Bewältigung der beschriebenen Übergangsrisiken werden die Jugendlichen heute vielfach selbst verantwortlich gemacht. Ein solcher Vorwurf geht davon aus, dass alle Jugendlichen die gleichen Ressourcen zur Verfügung hätten, diese aber nicht angemessen für ihren Bildungserfolg einsetzen (Skrobanek u.a. 2010). Für diejenigen aber, die nur in geringerem Maße über die erforderlichen Ressourcen verfügen, bedeutet eine solche Individualisierung von Risiken zumeist eine Verschlechterung ihrer sozialen Teilhabechancen (Hurrelmann 2010). Diese geringe Ressourcenausstattung erschwert es vielen Jugendlichen, ihre Lebenspläne, -ziele und -vorstellungen zu verwirklichen. In der Regel müssen sie vermehrt Umwege, Schleifen und Zwischenstationen in Kauf nehmen (Lex/Zimmermann 2011).

Nach wie vor ist zu beobachten, dass ein Großteil von Jugendlichen die Ausbildung vorzeitig beendet. Die Zahl der gelösten Ausbildungsverträge ist mit 23 Prozent in den letzten Jahren sogar noch einmal leicht gestiegen (BIBB 2012). Befunde aus dem DJI-Übergangspanel belegen, dass etwa ein Viertel der Jugendlichen aus Hauptschulbildungsgängen in prekäre Übergangsverläufe gerät. Das heißt: Hier gibt es fragmentierte Übergänge von der Schule in den Beruf, die über eine Reihe von Zwischenschritten in die Erwerbslosigkeit oder bestenfalls in eine Ungelerntentätigkeit führen (Reißig u.a. 2008). Zu den am Übergang besonders Benachteiligten gehören sogenannte "Dropout-Jugendliche", die sich nicht in Bildungsinstitutionen oder Erwerbsarbeit befinden, die aber auch keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben oder diese nicht beantragen möchten. Bei diesen ausgeschlossenen jungen Menschen, die etwa ein Prozent der 15- bis 27-Jährigen ausmachen (also bundesweit circa 80.000 junge Menschen), kann von einer stetigen gesellschaftlichen Marginalisierung gesprochen werden (Tillmann/Gehne 2012).

Insgesamt liegt der Anteil junger Menschen, die in Deutschland keine Berufsausbildung abschließen, unverändert bei circa 15 Prozent (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012). Verglichen mit den Berufsqualifizierungsquoten der östlichen Nachbarländer ist dies ein recht hoher Wert: In Polen liegt die Quote bei 13 Prozent und in Tschechien sogar nur bei 9 Prozent (OECD 2010).

Einflussreiche Kriterien der Benachteiligung am Übergang von der Schule in den Beruf sind darüber hinaus das Geschlecht sowie die ethnische und soziale Herkunft (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012; BiBB 2012; Solga 2005). Im Hinblick auf die hier als marginalisiert bezeichnete Teilgruppe junger Menschen am "Übergang" kann im Rückgriff auf die Einschätzungen von Praktikerinnen und Praktikern der Jugendsozialarbeit und der Jobcenter im Bereich der unter 25-Jährigen gesagt werden, dass vorrangig schlechte Bildungsvoraussetzungen und Suchtverhalten die wesentlichen Einflussfaktoren sind. Hinzu kommen bei einem Teil der Jugendlichen noch andere Faktoren, auf die sie selbst keinen Einfluss haben, die aber dennoch eine zentrale Rolle spielen - etwa eine fehlende Aufenthaltserlaubnis oder Konflikte im Elternhaus (Tillmann/Gehne 2012). Versucht man die institutionellen Faktoren solcher drastischen Drop-out-Phänomene zu erfassen, so sind es besonders Arbeitslosigkeit und die hierzulande gegenüber unter 25-Jährigen besonders restriktive Sanktionierungspraxis nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) durch Jobcenter oder Arbeitsagenturen, die ein Herausfallen aus sämtlichen institutionellen Unterstützungskontexten befördern (ebd.).


Nachholende Berufsqualifizierung zahlt sich aus

Ein erhöhtes Risiko der Erwerbslosigkeit besteht vor allem für junge Menschen ohne Berufsabschluss. Nach dem Verlassen der Schule haben die Jugendlichen in der Regel ein Gelegenheitsfenster von sechs Jahren, um eine Berufsausbildung zu beginnen (Mögling u.a. 2012). Dabei erweisen sich insbesondere langanhaltende Erwerbsepisoden in einer Ungelerntentätigkeit als Barriere einer nachholenden Berufsqualifikation, da offensichtlich weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer eine Änderung aus dem Status der Beschäftigung als Ungelernter attraktiv erscheint. Erfahren Jugendliche allerdings gute Unterstützung im sozialen Nahraum (durch Eltern, Freundinnen und Freunde, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter oder Pädagoginnen und Pädagogen in Bildungsinstitutionen) und bringen ihrerseits eine gewisse Risikobereitschaft mit, nehmen diese eher die Möglichkeiten einer Nachqualifizierung wahr - auch wenn es zunächst noch ungewiss bleibt, ob sich die Anstrengung auch auszahlt (ebd.).

Bereits aus der ersten explorativen DJI-Untersuchung "Verlorene Jugendliche am Übergang Schule-Beruf" zum Drop-out beim Übergang von der Schule in den Beruf wurde sichtbar, dass Jugendliche die SGB II-umsetzenden Institutionen und die dortigen Unterstützungsleistungen meist als wenig hilfreich empfinden (Skrobanek u.a. 2010). Dies deckt sich mit der Wahrnehmung durch die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit, welche gar vielfach von herabsetzender Behandlung der Jugendlichen sprechen. Viele Jugendliche seien ohne Begleitung einer Fachkraft kaum noch zum Besuch der Jobcenter bereit (Tillmann/Gehne 2012). Die Jugendhilfe mit ihren Angeboten wird von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen demgegenüber zumeist als anwaltschaftliche Vertretung ihrer Interessen gesehen. Hier müssen die Einrichtungen der Jugendhilfe insbesondere Beziehungsarbeit anbieten, da viele der Jugendlichen bereits eine Reihe familiärer Beziehungsabbrüche erfahren mussten. Allerdings schlagen sie bevorzugt solche Bewältigungsstrategien ihrer prekären Lebenssituation ein, bei denen sie möglichst wenig auf die Hilfe anderer angewiesen sind: häufig beispielsweise durch eine Betätigung in der Schattenwirtschaft - zum Beispiel Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Drogenhandel oder Prostitution (ebd.).

Am Übergang von der Schule in den Beruf sind Jugendliche in ihrer biografischen Entwicklung besonders verletzbar. Ob ihnen der Übergang gelingt, hängt maßgeblich auch von institutionellen Bedingungen ab, die sie kaum oder gar nicht beeinflussen können. Für die Re-Integration in die Erwerbsgesellschaft erweist sich die aktuelle Sanktionspraxis im SGB II-Bereich für unter 25-Jährige als besonders kontraproduktiv. An dieser Stelle wird deutlich, dass es zunächst eigener Anstrengungen und Aktivitäten der Jugendlichen bedarf, um die Unterstützungsressourcen der Sozialbürokratie in Anspruch nehmen zu können. Und die Sozialbürokratie müsste über besondere kontextsensitive Hilfemaßnahmen nachdenken.


DER AUTOR

Frank Tillmann arbeitet seit 2010 als wissenschaftlicher Referent im Forschungsschwerpunkt "Übergänge im Jugendalter" des DJI und war Leiter des von 2011 bis 2012 im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (KJS) durchgeführten Forschungsprojekts zur "Situation ausgegrenzter Jugendlicher".
Kontakt: tillmann@dji.de


LITERATUR

AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG (2012): Bildung in Deutschland. Bielefeld

BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (2012): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2012. Bonn

EUROPÄISCHE KOMMISSION (2010): Europa 2020. Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. Brüssel

HEIDEMANN, WINFRIED (2012): Zukünftiger Qualifikations- und Fachkräftebedarf - Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten. Düsseldorf

HILLMERT, STEFFEN (2004): Berufseinstieg in Krisenzeiten. In: Hillmert, Steffen/Karl Ulrich Mayer (Hrsg.): Geboren 1964 und 1971. Wiesbaden

HURRELMANN, KLAUS (2010): Lebensphase Jugend. Weinheim/München

LEX, TILLY/ZIMMERMANN, JULIA (2011): Wege in Ausbildung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Heft 4, S. 603-627

MÖGLING, TATJANA/TILLMANN, FRANK/LEX, TILLY (2012): Umwege in die Ausbildung. München/Halle (Saale)

OECD (2010): Education at a Glance 2010. Paris

REIßIG, BIRGIT/GAUPP, NORA/LEX, TILLY (2008): Hauptschüler auf dem Weg von der Schule in das Arbeitsleben. München

SKROBANEK, JAN/MÖGLING, TATJANA/TILLMANN, FRANK (2010): Verlorene Jugendliche am Übergang Schule-Beruf. In: Aspekt Jugendsozialarbeit; Nr. 67, Jugendsozialarbeit im Kontext von Jugendarmut und Ausgrenzung, S. 41-64

SOLGA, HEIKE (2005): Ohne Abschluss in die Bildungsgesellschaft. Opladen

TILLMANN, FRANK/GEHNE, CARSTEN (2012): Situation ausgegrenzter Jugendlicher. Düsseldorf

WALTHER, ANDREAS/WALTER, SIBYLLE/POHL, AXEL (2007): "Du wirst echt in eine Schublade gesteckt ...". In: Stauber, Barbara/Pohl, Axel/ Walther, Andreas (Hrsg.): Subjektorientierte Übergangsforschung. Weinheim/München, S. 97-127


DJI Impulse 4/2013 - Das komplette Heft finden Sie im Internet als PDF-Datei unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2013 - Nr. 104, S. 12-14
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E-Mail: info@dji.de
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DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2014