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HOCHSCHULE/1612: Exzellenz als Soundtrack der Hochschulreform (spw)


spw - Ausgabe 6/2010 - Heft 181
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Die neue Differenzierung
Exzellenz als Soundtrack der Hochschulreform

Von Peer Pasternack


Am Anfang der Exzellenzinitiative stand nicht 'Exzellenz', sondern 'Elite'. Die Sache war zunächst in eine deutlich andere Richtung abgeschossen worden, als sie am Ende einschlug. Zeichnen wir daher zunächst die ballistische Kurve der Exzellenzinitiative nach.

Im Januar 2004 hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ihre "Weimarer Leitlinien 'Innovation'" verabschiedet: "Wir wollen die Struktur der Hochschullandschaft so verändern, dass sich Spitzenhochschulen und Forschungszentren etablieren, die auch weltweit in der ersten Liga mitspielen und mit internationalen Spitzenhochschulen wie Harvard und Stanford konkurrieren können", hieß es da.(1) Der ursprüngliche Impuls war vom damaligen SPD-Generalsekretär und seinem Parteivorsitzenden-Bundeskanzler ausgegangen. Der fachlich zuständigen Bundesministerin gelang es allerdings recht schnell, die Sache in ihr Haus zu ziehen. Die Instrumente waren zweierlei: zum einen eine PR-Gegenoffensive mit dem etwas putzigen Namen "Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten"(2) (eine Anleihe bei einem RTL-Krawallcasting); zum anderen die geschickte Aufnahme von Vorschlägen aus der Wissenschaft. Letztere hatte nachdrücklich auf ein Problem hingewiesen, das in der Politik offenbar weniger bekannt war: Herausgehobene Qualität lasse sich nicht für komplette Universitäten, sondern allein auf Ebene der Fächer feststellen.(3) Diese Feststellung wiederum könne kompetent nur aus der Wissenschaft selbst erfolgen.

Dann setzte ein Prozess der sukzessiven Pragmatisierung ein. Da föderale Sensibilitäten zu berücksichtigen waren, mussten Bund-Länder-Kommission (BLK), Kultusministerkonferenz (KMK) und Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) eingebunden werden. Gemessen an sonstigen politischen Abstimmungsprozessen zwischen Bund und Ländern verlief die Klärung der Exzellenz-Initiative-Modalitäten vergleichsweise rasch. Dass der Bund 75% der Kosten übernehmen wollte, beflügelte den Einigungswillen auf Länderseite. Die DFG und der Wissenschaftsrat erhielten prominente Rollen als durchführende Akteure. Damit fand sich im Grundsatz die wissenschaftliche Leistungs- und Bewertungslogik in ihr Recht gesetzt. Ebenso wurden die inhaltlichen Schwerpunkte umgedreht: In den "Weimarer Leitlinien" des SPD-Vorstands war es um Elite-Ausbildung und um marktfähige Innovationen gegangen. Nun ging es um Forschung, und zwar vorrangig um Grundlagenforschung, also die arbeitsreiche Muße, sowie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Insgesamt waren dann 7 Universitäten im Rahmen des Wettbewerbs erfolgreich. Das sind 45 % aller deutschen Universitäten. Man wird dies als Indiz für eine statistische Normalverteilung der Leistungspotenziale auch im deutschen Universitätssystem notieren dürfen. Die 7 begünstigten Universitäten umfassen die Wettbewerbserfolge in allen drei Förderlinien: Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und Zukunftskonzepte. Die öffentliche Wahrnehmung konzentriert sich allerdings auf die Gewinner in der Förderlinie "Zukunftskonzepte". Das waren neun. Diese gelten seither als "Spitzenuniversitäten" oder "Exzellenzhochschulen". Dabei gibt es regionale Auffälligkeiten: Die Gewinner konzentrieren sich in Südwestdeutschland. Vier der neun Universitäten liegen in Baden-Württemberg, zwei in Bayern. Norddeutschland blieb schwach, aber immerhin vertreten. Ostdeutschland versank in nahezu vollständiger Nichtwahrnehmbarkeit.

Damit sei, so hieß es dann, einer Dichotomisierung innerhalb des deutschen Unversitätssystems Vorschub geleistet worden: "Das 'nicht exzellent' zweitklassig heißt und Zweitklassigkeit kein Geld verdient, ist die falscheste und gefährlichste Folgerung, die der Wettbewerb aber indirekt befördert."(4) Allerdings könnte die Zweiteilung auch in die andere Richtung verschärft werden, wie eine Kritik zeigte, die eher elitistisch bestimmt war: DFG-Präsident Winnacker meinte, es seien "viel zu viele ausgezeichnet worden ... Ich glaube nicht, dass wir mit unserem Volkseinkommen neun Universitäten an die Spitze bringen können. Das kommt zu teuer."(5) Dem wiederum steht die Prognose zur Seite, dass langfristig eine Mauer durch die deutsche Hochschullandschaft gehen werde: "Auf der einen Seite glänzen einige wenige, international anerkannte Unis, die sich ganz auf die Forschung konzentrieren. In ihrem Schatten steht der große Rest an Hochschulen, die zu reinen Ausbildungsstätten degradiert worden sind."(6)

Nun sind Hochschulen typischerweise in einer von drei Ligen angesiedelt: regional orientiert, auf gesamtstaatlicher Ebene bedeutsam oder international ausstrahlend (wobei einzelne Fachbereiche oder Wissenschaftler/innen aus dieser Gesamteingruppierung ihrer Hochschule ausscheren können). Insofern wurde eine bekannte Differenzierung zwischen den deutschen Universitäten, die es schon gab, bestätigt: Den DFG-Förderrankings ließ sich bereits seit längerem entnehmen, dass die Streuung bei den Drittmittel-Einwerbungserfolgen und der Forschungsintensität beträchtlich ist.(7) Solche ohnehin gegebenen Unterschiede durch einen Wettbewerb zu bestätigen, muss kein Problem sein. Die Probleme liegen denn auch andernorts: Hochschulpolitisch wurde eine Verabschiedung von der (produktiven) Fiktion eines qualitativ homogenen Hochschulwesens in Deutschland eingeleitet. Bis zur Exzellenzinitiative galten in der Bundesrepublik alle Hochschulen als prinzipiell gleichwertig. Das war zwar eine Fiktion, aber eine für die Absolventen produktive: Jeder Studienabschluss eröffnete auf dem Arbeitsmarkt prinzipiell die gleichen Einstiegschancen. Unterschiede gab es lediglich zwischen FH- und Universitätsabsolventen, insofern deren Eingangsgehälter im Öffentlichen Dienst auseinanderklaffen. Die Fiktion der Gleichwertigkeit hatte jedoch auch einen realen Hintergrund: In Deutschland wurden (und werden) nahezu überall durchschnittlich gute Studierende ausgebildet, und dieser Durchschnitt ist im internationalen Vergleich ziemlich respektabel.(8) Absolventen und Absolventinnen deutscher Hochschulen sind zwar vergleichsweise nicht die jüngsten, gelten aber als selbständig.

Diese Gleichwertigkeitsunterstellung wurde aufgegeben zu Gunsten einer dichotomen Wahrnehmung des deutschen Universitätssystems: Es gibt nun Exzellenzuniversitäten und andere, die es 'nicht geschafft' haben, also irgendwie 'nicht gut' sind. Der Exzellenzbegriff wurde im öffentlichen Raum verankert und zum nunmehr weithin akzeptierten politischen Marketingbegriff erhoben: Während die Politik mit dem komplexeren Qualitätskonzept wenig anfangen kann, erwies sich Exzellenz als anschlussfähig an das politische Marketing. Zugleich wurde damit die Kommunikationspolitik der Hochschulen selbst verändert. In einem fort ist nun von den "besten Köpfen", "Eliten" und "Exzellenz" zu hören. Noch aus der schlechtestausgestatteten Universität ist unablässig zu vernehmen: 'Wir wollen nur die besten Köpfe, bei uns entstehen die Eliten von morgen, und Exzellenz ist bei uns kein Schlagwort, sondern Realität.' Der Interessenvertreter auch der abgeschiedensten Fachhochschule muss behaupten, dass man auch dort nur die besten Studierenden und die klügsten Lehrenden haben wolle - eine wagemutige Behauptung, die, ernst genommen, zur sofortigen Schließung dutzender Hochschulen wegen des Ausbleibens der Besten führen müsste.

Es ist durchaus eine merkwürdige Situation, wenn allzu viele Hochschulen davon ausgehen, erstens exzellent zu sein und zweitens exzellent zu bleiben. In der Regel stimmen beide dieser Voraussetzungen der Debatte nicht bzw. nicht vollständig. Keineswegs sind alle Hochschulen exzellent. Die tatsächlich exzellenten Hochschulen wiederum sind es nicht in jeder Hinsicht - nicht zwingend zugleich in der Forschung und in der Lehre, nicht in allen Fachbereichen und Disziplinen und schon gar nicht in der Ausstattung. Und schließlich werden auch nicht sämtliche Hochschulen, die womöglich exzellent sind, dies auf alle Zeiten bleiben. Exzellenz wird nicht erworben, um sie fortan zu besitzen, sondern allenfalls um sie immer wieder neu zu erwerben.

Im Kern der Sache handeln die gesamten Diskussionen aber von etwas anderem, nämlich: Qualität. Exzellenz ist dabei dann eine Bezeichnung des Außergewöhnlichen, des grandios Überdurchschnittlichen, des von allem anderen positiv Abweichenden. Sie kann nur dort indiziert werden, wo die Mehrheit der 'üblichen' Qualitätssymptome in deutlich überdurchschnittlicher Ausprägung gegeben ist. Insofern lässt sich "Exzellenz", soll sie kein (oder nicht nur) Element eines hochschulpolitischen Verblendungszusammenhangs sein, allenfalls als Code verwenden: Gemeint ist überdurchschnittliche, höchste Qualität. In dieser Perspektive lässt sich Exzellenz als herausragende wissenschaftliche Güte, also Spitzenqualität charakterisieren. Entgegen der unterdessen verbreiteten Wahrnehmung geht es an Hochschulen jedoch nicht nur um Höchstleistungen und Spitzenqualität, sondern auch - und mehrheitlich - um die Qualität des Normalbetriebs.

Gleichwohl ist "Exzellenz" weithin der grundlegende Ansatz, wenn Hochschulen versuchen, für ihre Anliegen Legitimität in der Öffentlichkeit und bei politischen Entscheidungsträgern zu gewinnen. Auch wenn der Marketinganteil dabei in Rechnung gestellt, also abgezogen wird, lässt sich das durchaus merkwürdig finden. Denn die Hochschulen vergeben sich derart die Chance, überwiegend erfolgreich zu sein: Wenn nahezu alle exzellent sein wollen, müssen die meisten an ihren eigenen Ansprüchen scheitern. Schließlich können ja nicht alle grandios überdurchschnittlich sein - und sei es nur deshalb, weil die Feststellung der Überdurchschnittlichkeit den Durchschnitt als Bezugsgröße benötigt. Der aber berechnet sich aus der Streuung zwischen sehr gut und sehr schlecht, geteilt durch die Anzahl der einbezogenen Fälle.

Vor allem aber war und ist die Exzellenzinitiative wissenschaftspolitisch eine Zuspitzung eines Vorgangs, der bereits seit Mitte der 90er Jahre läuft: Die Programm- und Projektförderung nimmt generell zu, und dementsprechend nimmt der Anteil der Grundförderung an der Hochschulfinanzierung ab. Den paradigmatischen Wechsel hat nicht die Exzellenzinitiative gebracht, sondern die eher schleichende Entwicklung hin zu immer mehr Programm- und Projektförderung - die erst dadurch wirklich problematisch wird, dass sie mit flächendeckenden Real- und punktuellen Nominalkürzungen der Hochschulfinanzierung verbunden ist. Wurde traditionell in der Wissenschaft um Geltungsansprüche für Deutungen und Erklärungen konkurriert, so konkurrieren nun Organisationen um Gelder und Images.

Prof. Dr. Peer Pasternack, Staatssekretär a.D., ist Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Universität Halle-Wittenberg. eMail: peer.pasternack@hof.uni-halle.de; http://www.peer-pasternack.de



ANMERKUNGEN

(1) SPD-Parteivorstand: Unser Land gerecht erneuern. Weimarer Leitlinien "Innovation", Berlin, 6.1.2004, S. 5f.

(2) Vorgestellt am 23.1.2004, vgl. BMBF: Bulmahn will Forschungssystem umfassend modernisieren. Wettbewerb um Spitzenuniversitäten startet in diesem Sommer, Pressemitteilung 09/04, 26.11.2004, URL http://www. bmbf.de/press/1053.php (Zugriff 30.11.2004). Eine exemplarische Reaktion auf den Titel der Aktion: Hans-Manfred Niedetzky, Vorsitzender des Vereins für Sprachpflege: "Ein Blick ins Oxford Dictionary zeigt, daß es 'brain' auch als Verb gibt: I'll brain you. Diese umgangssprachliche Redewendung bedeutet: Du kriegst gleich eins über die Rübe!"(in: Deutsche Sprachwelt, o. D.,
URL http://www.deutsche-sprachwelt.de/forum/brain-up.shtml, Zugriff 13.2.2004).

(3) "In diesem Wettbewerb müssen die wissenschaftlichen Leistungen von Fächern und individuellen Wissenschaftlern ausschlaggebend sein, nicht jedoch Qualitätsurteile über ganze Hochschulen." (Hochschulrektorenkonferenz: Zur aktuellen hochschulpolitischen Diskussion. Erklärung des 98. Senats der Hochschulrektorenkonferenz, Bonn 2004)

(4) Christian Schwägerl: Die neue Forschungslandschaft. Wie der Exzellenzwettbewerb den Akademikeralltag verändert, in: F.A.Z., 19.10.2006, S. 34.

(5) Ernst-Ludwig Winnacker (Interview): "Bund muss Spitzenunis fördern", in: Süddeutsche Zeitung, 7.1.2008, S. 16.

(6) Tilmann Warnecke: Angst vor der proletarischen Uni. Experten warnen vor reinen Ausbildungsanstalten, in: Der Tagesspiegel, 27.11.2006.

(7) erstmals: Deutsche Forschungsgemeinschaft: Förder-Ranking 2003. Institutionen - Regionen - Netzwerke. DFG-Bewilligungen und weitere Basisdaten öffentlich geförderter Forschung, Bonn 2003.

(8) Außerhalb der Betrachtung bleiben hier die Studienabbrecher, im Durchschnitt 24%, in einigen (geisteswissenschaftlichen) Fächern bis zu 46%. Diese stellen ein Problem dar - nicht jeder Einzelfall, aber die übergroße Menge -, sowohl im Blick auf die unzulängliche Ressourcennutzung, wenn sich aus den individuell mehr oder weniger genossenen Bildungserlebnissen kein Studienabschluss mit den daran geknüpften Berechtigungen, Berufs- und Einkommenschancen ergibt, als auch im Blick auf die gescheiterten biografischen Hoffnungen, die zahlreiche Studienabbrüche für die jeweils Einzelnen darstellen.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 6/2010, Heft 181, Seite 19-22
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2011