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HOCHSCHULE/1615: Finanzkrise trifft amerikanische Hochschulen (attempto! - Uni Tübingen)


attempto! 29/2010
Forum der Universität Tübingen
November 2010

Ende der (Selbst)-Gewissheit?
Finanzkrise trifft amerikanische Hochschulen

Von Stefan Altevogt


Die Finanz- und Wirtschaftskrise macht vor den ehrwürdigen Toren der amerikanischen Top-Universitäten nicht halt. Seit vielen Jahren unangefochten an der Spitze aller weltweiten Rankings, müssen nun auch Hochschulen in den USA bewährte Pfade verlassen und sich auf grundlegend neue Bedingungen einstellen.


Die amerikanischen Hochschulen bestreiten ihre Haushalte nach wie vor aus sehr unterschiedlichen Mischungen von Einkünften, doch greift die Faustregel »privat heißt vorwiegend Stiftungsvermögen« und »öffentlich heißt vorwiegend staatliche Zuwendungen« nur noch bedingt und die Modelle mischen sich zusehends. Richtig bleibt: Die private Harvard University hat selbst nach Einbußen von fast 30 Prozent ein Vermögen von 26 Milliarden Dollar und finanziert daraus fast die Hälfte ihres Budgets. Hier meldete die New York Times Anfang 2009, dass Gehälter eingefroren, 1.600 Mitarbeitern Abfindungen angeboten, Bauvorhaben auf Eis gelegt und Anleihen im Wert von 1,5 Milliarden Dollar aufgelegt worden seien, um einem akuten Liquiditätsengpass entgegen zu wirken. Ähnliche Schritte wurden auch an den Universitäten Yale, Stanford, Princeton und weiteren Hochschulen der selbst nach der Krise immer noch 56 Einträge umfassenden »Milliardärsliste« unternommen.

Auf der anderen Seite: An den amerikanischen Community Colleges werden im Schnitt noch gut zwei Drittel der Haushalte aus direkten staatlichen Zuwendungen bestritten und an öffentlichen vierjährigen Colleges zu mehr als 50 Prozent. Hier haben die gesetzlich zum Ausgleich verpflichteten und darum teilweise prekären Etats der Bundesstaaten zu einem hohen Einsparungsdruck geführt.


Einbußen auch im Fundraising

Aber es gibt unter den öffentlichen Hochschulen eben auch solche mit hoher Forschungsintensität und einem nennenswerten Vermögen. Die University of Minnesota hat ein Stiftungsvermögen von zwei Milliarden Dollar und ist mit 65.000 Studierenden eine der größeren öffentlichen Hochschulen des Landes. Ihren 2,8 Milliarden Dollar starken Haushalt bestreitet sie zu 23,6 Prozent aus direkten bundesstaatlichen Zuwendungen, 22 Prozent kommen aus Studiengebühren, 20,5 Prozent aus eingeworbenen Forschungsmitteln und 12,3 Prozent aus Spenden und aus dem Vermögen. Letzteres hatte im Laufe der Krise mehr als 750 Millionen Dollar und damit 24 Prozent eingebüßt, und die Ergebnisse des Fundraisings waren um 20 Prozent eingebrochen. Die Universität erhöhte die Studiengebühren noch einmal um 3,1 Prozent auf 12.000 Dollar für »Landeskinder« und 16.800 für »Non-Residents« und arbeitete an den Personalkosten: Im März dieses Jahres wurde allen Mitarbeitern der Hochschule ein zunächst auf drei Arbeitstage befristeter unbezahlter Urlaub (»furlough days«) verordnet, was zwölf Millionen Dollar und damit gut neun Prozent des Fehlbetrags im Haushalt decken konnte. Freiwillig weitere unbezahlte Urlaubstage zu nehmen, wurde erbeten, und die Gehälter wurden im eingefrorenen Zustand um 1,05 Prozent gekürzt.

Die University of Michigan ist derzeit mit einem Vermögen von sechs Milliarden Dollar die siebtreichste amerikanische Hochschule. Sie finanziert als öffentliche Einrichtung nur noch acht Prozent ihres gut fünf Milliarden Dollar starken Budgets aus direkten staatlichen Zuwendungen, Vermögen und Spenden tragen elf Prozent und Studiengebühren 16 Prozent der Kosten. Den mit 44 Prozent größten Teil steuern Erträge der Universitätskliniken bei. Es werden wegen der schwindenden Bedeutung der staatlichen Mittel immer wieder Stimmen laut, den Status einer öffentlichen Hochschule und die damit verbundene Aufgabe der Versorgung von »Landeskindern« mit einer qualitativ hochwertigen tertiären Bildung aus zwei Gründen abzuschaffen: Erstens steht eine prioritäre Versorgung von Landeskindern dem Interesse einer nationalen, wenn nicht gar internationalen Profilierung entgegen und zweitens zahlen Landeskinder fühlbar geringere Studiengebühren.


Dringend benötigte Studiengebühren

Das private Colgate College in New York State ließ bei Studiengebühren von 50.000 Dollar im vergangenen Herbst 33 Prozent der Bewerber zu. Zum Vergleich: Bei den superreichen und superselektiven Hochschulen wie Harvard, Yale und Stanford liegen die Zulassungsraten unter zehn Prozent. Aber Colgate benötigt die Einnahmen aus Studiengebühren viel dringender. Hier wirkt sich die Wirtschaftskrise daher besonders drastisch aus: Das öffentliche Uni-System State University of New York (SUNY) kommt inzwischen an ihren besseren Standorten wie Binghampton mit 20.000 Dollar teuren Programmen auf eine Zulassungsrate von 40 Prozent und hält sich dadurch nicht mehr nur geografisch in der Nähe von Colgate auf. Was dadurch an Einrichtungen wie Colgate zunehmend unter Druck gerät, ist zum einen die Idee einer Liberal Arts Education und zum anderen das Tenure-Modell, das Modell des entfristeten Professors, das mit einem Höchstmaß an akademischer Freiheit und Personalkosten die Einheit von Forschung und Lehre garantiert. Zwischen 1975 und 2007 war der Anteil entfristeter Stellen von 57 Prozent auf 31 Prozent zurückgegangen. Die Folgen der Wirtschaftskrise dürften diesen Vorgang noch beschleunigt haben, an dessen Ende man vielleicht noch 15 Prozent erwarten darf. Wie man vor allem die nicht wissenschafts-, sondern berufsbezogene tertiäre Bildung deutlich billiger und sogar gewinnbringend betreiben kann, zeigen mit zunehmender Intensität die »For-Profits«, in der Regel börsennotierte Hochschulen, die inzwischen rund zehn Prozent der amerikanischen Studierenden immatrikulieren.

Als Fazit lässt sich sagen, dass die Finanz- und nachfolgend die Wirtschaftskrise einen bereits in Gang befindlichen Prozess beschleunigt hat, der die amerikanische Hochschullandschaft tiefgreifenden Veränderungen unterwirft und (Selbst)-Gewissheiten zusehends in Frage stellt.


Stefan Altevogt studierte an der Humboldt Universität Berlin Geschichte und lebt in New York. Seine berufliche Laufbahn hat ihn über das Goethe-Institut, das Museum of Modern Art und den Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) in das Nordamerika-Büro der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebracht. Er schreibt seit 2003 die DAAD Nordamerika Nachrichten, einen wöchentlichen elektronischen Newsletter zur amerikanischen Hochschullandschaft und Bildungspolitik.


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Quelle:
attempto!, November 2010, S. 24-25
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
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attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2011