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INTERNATIONAL/008: Sierra Leone - Lehrerstreik nur vorläufig abgewendet, umfassende Reformen gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. September 2011

Sierra Leone: Lehrerstreik nur vorläufig abgewendet - Umfassende Reformen gefordert

Von Meena Bhandari


Freetown, 22. September (IPS) - Fast eine Woche lang blieben in Sierra Leone nach Beginn des neuen Schuljahres die Klassenzimmer leer. Die Lehrer streikten, weil ihnen das Ergebnis wochenlanger Lohnverhandlungen nicht konkret genug war. Sie werfen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vor, die Regierung zur Sparsamkeit im Schulwesen zu zwingen.

Weltbank, Europäische Union und die Regierung in Freetown finanzieren dem westafrikanischen Staat, der immer noch unter den Folgen eines elfjährigen Bürgerkriegs (1991-2002) leidet, ein Reformpaket, das in den nächsten fünf Jahren Lohn- und Gehaltssteigerungen im öffentlichen Dienst von 50 bis 100 Prozent vorsieht.

"Die Regierung hat uns bis Monatsende höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen versprochen", berichtete Davidson Kuyadeh von der Lehrergewerkschaft SLTU. "Wir sind zuversichtlich, dass sie sich an ihre Zusagen hält, doch wir erwarten konkrete, verlässliche Reformen und werden die weitere Entwicklung nicht aus den Augen lassen", kündigte er an.

Die organisierten Lehrer argwöhnen, dass der IWF die Gehälter der Lehrer deckelt und Neueinstellungen blockiert. Vertreter der Regierung und des Weltwährungsfonds weisen diese Behauptung zurück. "Der IWF kann uns doch nicht vorschreiben, wie wir unsere Lehrer bezahlen", versicherte ein hoher Beamter aus dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Technologie (MEST). Andere Quellen bestätigen jedoch, dass das Finanzministerium nach Konferenzen mit IWF-Vertretern das Bildungsbudget mit dem zuständigen Ressort aushandelt.

Das internationale zivile Netzwerk 'Recht auf Bildung' sieht in solchen Absprachen nichts Ungewöhnliches. "Bei den vom IMF vorgegebenen Obergrenzen kann es keine Ausnahmen geben, nicht einmal für Länder mit einem massiven Nachholbedarf wie etwa Sierra Leone", betont das UN-Projekt.

In Sierra Leone hat der zwischen 2001 und 2005 eingeführte kostenlose Schulbesuch die Schülerzahl mehr als verdoppelt. Heute gehen 69 Prozent der Kinder im Grundschulalter zur Schule, und 73 Prozent der Schüler schaffen einen regulären Abschluss. Doch die Bildungsqualität bleibe hinter diesen eindrucksvollen Zahlen deutlich zurück, räumen Regierung und Behörden ein, zumal steigende Preise und die Abschaffung von Beihilfen die Reallöhne der Lehrer und deren Arbeitsmoral und Lohnzufriedenheit verringert haben.

Derzeit können in Sierra Leone neue Lehrer nur als 'freiwillige', unbezahlte 'Praktikanten' eingestellt werden. Um sich etwas hinzu zu verdienen, verkaufen sie häufig Nahrungsmittel oder Unterrichtsmaterial an ihre Schüler und unterlaufen so die Schulgeldfreiheit. "Trotz des Lehrermangels dürfen neue Lehrkräfte nur bei frei werdenden Stellen beschäftigt werden", kritisierte Joseph Cobinah von 'Education for All' (EFA-SL).

Budget-Obergrenzen gelten für alle Bereiche, erklärte Sierra Leones IWF-Vertreter Francis Kumah. "Man muss entscheiden, wie die Mittel verteilt werden, schließlich kann man nicht alle verfügbaren Mittel für Löhne und Gehälter ausgeben. Auch Straßen, Krankenhäuser und Schulen brauchen Geld."


"Uns laufen die Lehrer davon"

Nach Ansicht der internationalen Hilfsorganisation 'Action Aid' können sich die makroökonomischen Entscheidungen des IWF durchaus negativ auf einzelne Bereiche auswirken. Ihr Sprecher Thomas Johnny klagte: "In Sierra Leone laufen uns die Lehrer weg. In Gambia kommen 80 bis 90 Prozent der Lehrkräfte aus Sierra Leone."

Sierra Leones Weltbankvertreter Vijay Pillai empfiehlt der Regierung, lukrative Lizenzen für den Bergbau und andere Ressourcen mit bis zu 50 Prozent zu besteuern. "Bislang bringen sie dem Staat nur bescheidene zehn Millionen US-Dollar ein."

Kritik an den Gehältern der Lehrer weist er zurück. "Unser Gehaltspaket richtet sich nach der Leistung der Lehrer, von denen 50 bis 60 Prozent unqualifiziert und nicht ausgebildet sind. Außerdem sollte die Regierung gegen korrupte 'Geisterlehrer' vorgehen, die auf den Gehaltslisten von Schulen stehen, in denen sie längst nicht mehr arbeiten", forderte Pillai. "Mit dem dadurch eingesparten Geld könnte man die Lehrer besser bezahlen, die tatsächlich ihren Job machen." (Ende/IPS/mp/2011)


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http://www.right-to-education.org/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2011