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INTERNATIONAL/060: UN - Globales Bildungsprogramm gegen Intoleranz und Rassismus angekündigt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. August 2015

UN: Globales Bildungsprogramm gegen Intoleranz und Rassismus angekündigt - Deutsche Studentin gewinnt Wettbewerb für mehr Vielfalt

von Thalif Deen


Bild: © Kulsum Ebrahim/IPS

Die pakistanischen Taliban haben allein zwischen 2009 und 2012 mehr als 830 Schulen zerstört
Bild: © Kulsum Ebrahim/IPS

VEREINTE NATIONEN (IPS) - Die Vereinten Nationen planen eine globale Bildungsoffensive gegen Intoleranz, Extremismus, Rassismus und Fremdenangst. Generalsekretär Ban Ki-moon will den konkreten Kampagnenplan auf der 70. Sitzung der UN-Generalversammlung Ende September vorstellen.

"Will man die Macht der Bildung verstehen, muss man sich nur anschauen, wie wichtig es Extremisten ist, Bildung zu bekämpfen", sagte Ban Mitte August in New York. Als Beispiel brachte er den Fall der pakistanischen Jugendlichen Malala Yousafzai an, die auf einer Busfahrt angegriffen wurde, weil islamische Extremisten sie und andere Mädchen davon abhalten wollten, zur Schule zu fahren. Yousafzai wurde daraufhin zur Vorkämpferin für die Bildung von Frauen in Pakistan und erhielt dafür im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis. Ban wies auch auf die Entführung von mehr als 200 Mädchen in Chibook, Nigeria, durch gewalttätige Extremisten hin und auf die Vielzahl getöteter Studenten unter anderem in Garissa, Kenia und in Peshawar, Pakistan.

"Was sie [Extremisten] am meisten fürchten sind Mädchen und junge Menschen mit Schulbüchern", sagte Ban. Die UN hingegen will die Bildung von Frauen und jungen Menschen stärker fördern und damit Extremismus bekämpfen. Ban hat deshalb einen Aktionsplan angekündigt, um gewalttätigem Extremismus vorzubeugen. Gleichzeitig soll eine aus religiösen Anführern bestehende Kommission eingerichtet werden, um den interreligiösen Dialog zu fördern.

Bereits zuvor hat die UN Programme für Jugendliche gegen Intoleranz und Extremismus angestoßen. Wie bereits in den Jahren zuvor lobte die UN-Organisation 'United Nations Academic Impact' (UNAI) auch in diesem Jahr zusammen mit der UNHATE-Stiftung der Modekette 'United Colors of Benetton' einen Wettbewerb für mehr Vielfalt aus. Aus mehr als 100 Einsendungen aus 31 Ländern wurden zehn Projekte ausgewählt, die jeweils ein Preisgeld von 20.000 Euro zur Realisierung ihrer Idee erhielten. Einreichen konnten junge Leute kreative Ansätze, um Diskriminierung, Vorurteile und Extremismus abzubauen.


Projektidee: Bessere Jobchancen für muslimische Frauen

Unter den diesjährigen Preisträgern ist auch die deutsche Doktorandin Lara-Zuzan Golesorkhi, die zur Zeit an der New School in New York studiert. Die Jury überzeugte sie mit ihrem Projekt, 'With or without' (auf Deutsch: 'Mit oder ohne'), das sich auf das Tragen eines Kopftuches von muslimischen Frauen bezieht. Das Projekt soll helfen, Muslima in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu möchte die Studentin potenzielle Arbeitgeber darin bestärken, sich symbolisch zu verpflichten, muslimische Frauen einzustellen.

Ausgangspunkt ihrer Projektidee ist die sogenannte Kopftuchdebatte, die 1998 durch Fereshta Ludin, Tochter afghanischer Immigranten, in Deutschland angestoßen wurde. Ludin hatte sich in Baden-Württemberg um die Stelle einer Lehrerin beworben. Ihre Bewerbung wurde wegen mangelnder persönlicher Eignung abgelehnt, da sie nicht bereit war, während des Unterrichts ihr Kopftuch abzulegen. Im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzung um den Fall wurde in vielen Bundesländern Lehrerinnen das Tragen des Kopftuches im Unterricht gesetzlich verboten. Erst 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht, ein grundsätzliches Kopftuchverbot sei nicht verfassungskonform. Die entsprechenden Gesetze müssen in den einzelnen Bundesländern nun geändert werden.

Gegenüber IPS erklärte Golesorkhi, mit ihrem Projekt wolle sie dazu beitragen, dass mehr muslimische Frauen in Deutschland einen Arbeitsplatz erhalten. Gleichzeitig gehe es ihr aber auch allgemein um die zwei umkämpften Politikfelder Religion und Immigration. In den vergangenen Jahren - insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001, ist antimuslimischer Rassismus in Deutschland stark angestiegen. Parallel nahmen diskriminierende Handlungen gegenüber Muslimen zu.

Die Zahl der Muslime in Deutschland hat sich seit 1990 fast verdoppelt. Lebten damals noch 2,5 Millionen Muslime im Land, waren es 2010 bereits 4,1 Millionen. Schätzungen zufolge werden es 2030 rund 5,5 Millionen Muslime sein. Zurzeit machen sie jedoch noch immer lediglich fünf Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands aus. 49 Millionen Menschen dagegen sind als Christen registriert. Die meisten Muslime haben türkische Wurzeln, darauf folgen die Balkanstaaten und Marokko.

Trotz der vergleichsweise niedrigen Zahl an Muslimen im Land haben verschiedene Studien in den vergangenen Jahren große Ressentiments gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe offenbart. Einer Umfrage aus dem Jahr 2008 zufolge sind Muslime die unbeliebtesten Nachbarn bei den Befragten. Im gleichen Jahr erklärten in einer anderen Studie andererseits 72 Prozent der Teilnehmer, dass "Mitglieder von Minderheiten das kulturelle Leben in diesem Land bereichern".

Andere Studien ergaben, dass 23 Prozent der Interviewten Muslime mit Terrorismus assoziierten. 18 Prozent hielten das Kopftuch für eine Bedrohung der europäischen Kultur. Auch in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2014 erkärten 57 Prozent der Teilnehmer, den Islam als bedrohend wahrzunehmen. 24 Prozent der Befragten würden die Einwanderung von Muslimen nach Deutschland gerne verbieten. Und 61 Prozent gaben an, der Islam gehöre nicht zum Westen.

Besonders alarmierend sind die PEGIDA-Aufmärsche (Patriotrische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) vor allem im vergangenen Jahr, die sich gegen die vermeintliche 'Islamisierung' Deutschlands wenden und deren Teilnehmer eine Kehrtwende in der Migrationspolitik fordern.


New York Times widmet sich zunehmendem Rassismus in Deutschland

Der zunehmende offene Rassismus in Deutschland wurde kürzlich auch in der New York Times thematisiert. Die Zeitung beschäftigte sich Ende Juli mit einer großen Kontroverse im Stadtteil Horn in Hamburg. Dort wurde eine bereits seit zehn Jahren leerstehende Kirche zur Moschee umgewandelt. "Zehn Jahre lang hat sich niemand für die Kirche interessiert", zitiert die Times Daniel Abdin, Direktor des Islamischen Zentrums Al Nour, wie das Gebäude heute heißt. "Aber als Muslime sie kauften, war den Menschen das Gebäude plötzlich nicht mehr egal."

Golesorkhi, die nach ihrer Zeit an der New School wieder nach Deutschland zurückkehren möchte, hat mit ihrem 'With or without'- Projekt vor allem zwei konkrete Pläne: Sie will eine Seminarreihe 'Fit für den Arbeitsmarkt' für muslimische Frauen anstoßen und eine Kampagne mit dem Namen 'Ich verpflichte mich' starten. Arbeitgeber sollen sich damit zunächst symbolisch verpflichten, muslimische Frauen einzustellen. Gleichzeitig will die Doktorandin, die sich auch in ihrer Doktorarbeit mit dem Kopftuch befasst, eine Liste mit Arbeitgebern erstellen, die potenziell bereit sind, Jobs für Muslima bereitzustellen. (Ende/IPS/jk/14.08.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/08/u-n-to-unleash-power-of-education-to-fight-intolerance-racism

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IPS-Tagesdienst vom 14. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2015

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