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REDE/051: Schavan zu den Bildungsprotesten und zum Vorziehen des Hochschulgipfels, 3.12.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, in der Aktuellen Stunde zu den Bildungsprotesten und zum Vorziehen des Hochschulgipfels vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2009 in Berlin


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Wir hatten gestern im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung zwei Stunden Zeit für ein Gespräch, auch über das Thema dieser Aktuellen Stunde. Ich will gern wiederholen, was ich gestern den Kolleginnen und Kollegen zu erläutern versucht habe.

Ich möchte vorher auf einige Punkte eingehen, die Sie angesprochen haben.

Erstens. In mehreren Reden, unter anderem in der von Herrn Gehring und von Herrn Rossmann, kam die Forderung zum Ausdruck, dass der Bologna-Prozess korrigiert werden muss - im Gestus der Selbstverständlichkeit, so als wüssten Sie das lange. Da fragt man sich dann unwillkürlich: Was ist eigentlich zwischen 1999, als Frau Bulmahn den Vertrag unterschrieben hat, und dem Jahr 2005 in der Phase der Einführung, in den ersten sechs Jahren, geschehen?

Wir haben dem Bologna-Prozess immer zugestimmt, und ich habe diese Herausforderung angenommen. - Jetzt fällt Ihnen ein: Es muss korrigiert werden. Sechs Jahre haben Sie in der rot-grünen Bundesregierung Verantwortung getragen. Das, was Ihnen heute einfällt, ist Ihnen damals nicht eingefallen.

Zweitens. Sie sagen: Der Bund muss etwas tun; die Ministerin darf nicht mit leeren Taschen zum Gipfel gehen. Da haben Sie recht.

Herr Rossmann, man muss schon so vorgehen, dass es der Verfassung entspricht. Das ist die Aufgabe einer Bundesregierung bei jeder Maßnahme, die sie beschließt. Sie haben das nicht berücksichtigt. Zwischen 1999 und 2005 ist eben keine gemeinsame Perspektive von Bund und Ländern entwickelt worden. Für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems, für die Schaffung neuer Studienplätze ist keine Unterstützung geleistet worden.

Seit 2005 gibt es einen Hochschulpakt, in der ersten Phase mit der Schaffung von 90.000 zusätzlichen Studienplätzen, in der zweiten Phase mit der Schaffung von 275.000 zusätzlichen Studienplätzen. Jetzt gibt es in der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern das Zehn-Prozent-Ziel. Das alles ist nach 2005 geschehen, und nichts davon ist in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung passiert.

Drittens. Sie - ich glaube, es war Herr Gehring - sprechen von den immer höheren Blockaden, wenn es darum geht, in Deutschland gute Bildung zu bekommen und ein Studium aufzunehmen. Es gibt so viele Untersuchungen, dass man immer streiten kann, wer sich gerade auf welche bezieht. Wir werden sie einmal alle zusammenführen, um längerfristige Trends aufzuzeigen. Wenn man nur die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus den letzten zehn Jahren nimmt, dann ist augenscheinlich, dass in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung, jedenfalls was die Studienanfängerquote angeht, Stagnation und Rückgang herrschten. In diesem Jahr haben wir eine Rekordzahl: Seit 2005, spätestens seit 2007 ist die Stagnation überwunden.

Das Statistische Bundesamt spricht von über 43 Prozent eines Jahrgangs, die im Studienjahr 2009 ein Studium aufgenommen haben. So viele hat es noch nie gegeben. Übrigens gab es da, wo Studiengebühren erhoben werden, erhebliche Zuwachsraten. Ich weiß, dass Ihnen diese Zahl nicht passt; aber sie stimmt.

Dann wird gesagt, in Deutschland seien die Blockaden schon deshalb höher, weil Studiengebühren existierten. Wenn Sie die Zahl der Hochschulen mit Studiengebühren in Deutschland zusammenzählen, dann werden Sie feststellen, dass es an der Mehrheit der Hochschulen überhaupt keine Studiengebühren gibt.

Wer in Deutschland studieren und keine Studiengebühr zahlen möchte, lieber Herr Brase, kann das. Sehen Sie, bei Studierenden ist es unterschiedlich. Da gibt es viele, die - das zeigen die HIS-Studien - ihren Studienort auch mit Blick auf die Qualität wählen. Deshalb gibt es hohe Zuwachsraten in Nordrhein-Westfalen, in Bayern, in Baden-Württemberg - da, wo Studiengebühren existieren und sich die Lehre verbessert hat.

Frau Gohlke, Sie sprechen von der Gewalt gegenüber Studierenden. Ich finde es erstaunlich, dass Sie nicht darüber sprechen, dass Hörsäle zu besetzen, andere am Studieren zu hindern und die Säle zerstört zurückzulassen, auch Gewalt ist, die nicht akzeptabel ist. Deshalb ist die Räumung von Universitäten, in denen Gewalt ausgeübt wird, richtig.

Der Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode sieht ganz klar den Aufwuchs vor - wir haben hier schon zweimal darüber gesprochen -, er sieht Aufstiegsstipendien vor. Jetzt nenne ich den Zeitplan noch einmal: Natürlich wird am 12. April nicht eine Konferenz stattfinden, auf der wieder analysiert wird. Die Frage, was zu tun ist, ist im Sommer des vergangenen Jahres besprochen worden. Danach hat es ein Elf-Punkte-Programm der Kultusministerkonferenz gegeben. Das steht jetzt in den Ländern zur Umsetzung an. Das Beispiel von Herrn Pinkwart und von Nordrhein-Westfalen ist genannt worden. Die Hochschulen haben mit ihren Wissenschaftsministern ein Memorandum verabschiedet; sie haben ganz klar die Schritte zur Konkretisierung aufgeführt, sie haben deutlich gemacht, was jetzt zu geschehen hat. Das Wintersemester steht unter dem Vorzeichen der Umsetzung, der Korrektur, der Verbesserung der Qualität von Lehre.

Dazu findet am 10. Dezember das Gespräch der Hochschulrektorenkonferenz mit der Kultusministerkonferenz statt. Dazu werden diverse Workshops in den einzelnen Ländern stattfinden. Das Ziel ist, in den 16 Ländern das, was verabredet worden ist, jetzt umzusetzen. Dann werden wir in der zweiten Märzwoche die internationale Bologna-Konferenz in Wien und in Budapest haben, und vier Wochen später werden wir diesen Prozess der Umsetzung der Korrekturagenda in Deutschland durchführen. Und das, was in anderen Ländern passiert, der Austausch auf der internationalen Bologna-Konferenz, wird für die Frage der Mobilität wichtig sein. Dies alles wird dann bilanziert. Es werden die Perspektiven entwickelt, auch die finanzpolitischen Perspektiven. Sie wissen, dass das 10-Prozent-Ziel beschlossen worden ist, Sie wissen, dass es am 10. Dezember genau darum geht, Sie wissen - auch das habe ich gestern gesagt -, dass wir dann überlegen werden, was seitens des Bundes noch zusätzlich zum Hochschulpakt investiert werden kann. Sie wissen, dass im neuen Hochschulpakt pro Studienplatz mehr Geld für Lehre ausgegeben worden ist.

Klarer Zeitplan, klarer Fahrplan im Blick auf Taten, nicht auf weitere allgemeine Debatten. Es wird konkret. Auch das stinkt Ihnen. Ich finde, Sie sollten jetzt einfach die Bemühungen ernst nehmen, die in den Hochschulen, in den Landesregierungen, in der Bundesregierung geschehen.

Und zum Abschluss, lieber Herr Rossmann: Auf das Wort "Schavanismus" haben Sie nicht mal Copyright. Das gibt es schon seit 15 Jahren, von Ihrem Kollegen Zeller aus Baden-Württemberg erfunden, seines Zeichens SPD-Landtagsabgeordneter. Ich kann nur sagen: Willkommen! Nun ist der Begriff auch in Berlin angekommen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 121-3 vom 03.12.2009
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan,
in der Aktuellen Stunde zu den Bildungsprotesten und zum Vorziehen des
Hochschulgipfels vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2009