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REDE/060: Schavan zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, 18.06.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, zum Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vor dem Deutschen Bundestag am 18. Juni 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Heute Nachmittag lädt die Bundeskanzlerin Vertreter der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu einem Zukunftsgipfel ein, an dem auch eine Reihe von Mitgliedern des Bundeskabinetts teilnehmen wird. Eines der zentralen Themen bei diesem Zukunftsgipfel wird die demografische Entwicklung in Deutschland sein, also die Frage: Wo stehen wir 2020 mit Blick auf den Altersaufbau unserer Gesellschaft, mit Blick auf Rückgang und Zunahme der Zahl der Menschen in bestimmten Altersgruppen? Zu den zentralen Daten, die uns beschäftigen werden, gehört die Tatsache, dass im Jahre 2020 rund 3,1 Millionen unter 25-Jährige weniger leben werden als heute. Das ist ein Rückgang um 15 Prozent bei einem sonstigen Rückgang der Bevölkerung um zwei Prozent.

Warum sage ich das? Weil sich aus solchen Fragen und Diskussionen über die Zukunftsfähigkeit in Deutschland und die besondere Situation, dass wir wie kaum ein anderes europäisches Land von der demografischen Entwicklung, von einer älter werdenden Gesellschaft betroffen sind, eine besondere Verantwortung für alle Fragen, die mit Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung zu tun haben, ergibt. Deshalb ist mit der Priorität für Bildung und Wissenschaft in dieser Bundesregierung auch verbunden, dass wir alles tun wollen, um in der ganzen Bandbreite unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems junge Leute zu ermutigen.

Das, worüber wir heute Morgen sprechen, gehört zu den Maßnahmen, mit denen wir ein deutliches Signal an diejenigen senden wollen, die sich für ein Studium entscheiden: Es ist dafür gesorgt, dass es eine breitere Vielfalt an Möglichkeiten der Studienfinanzierung gibt. Dazu sagen wir: Wir wollen beides: die Weiterentwicklung des BAföG und den Aufbau eines nationalen Stipendiensystem. Wir wollen das klare Signal setzen: Wir kümmern uns um eine bessere Studienfinanzierung in Deutschland.

Der Rückblick zeigt, dass es über einen langen Zeitraum hinweg - übrigens auch in all den Zeiten, in denen es überhaupt noch keine Studiengebühren, aber auch überhaupt keine Stipendien gab - nicht gelungen ist, den Zugang zum Studium für wirklich alle Gruppen in der Bevölkerung, auch für jene aus einkommensschwachen Familien, gut zu gestalten. Der Anteil der Studierenden aus einkommensschwachen Familien ist zu gering. Deshalb gehen wir bei der Studienfinanzierung neue Wege. Das ist für uns auch mit dem Ziel verbunden, mehr jungen Leuten aus einkommensschwachen Familien die Möglichkeit zu einem Studium zu geben.

Deshalb bringen wir das 23. BAföG-Änderungsgesetz ein. Wir heben die Bedarfssätze an und erhöhen die Freibeträge. Künftig wird der Förderhöchstsatz für Studierende bei 670 Euro monatlich liegen. Wir können davon ausgehen, dass die jährliche Zahl derer, die gefördert werden, um 50 000 bis 60 000 erhöht werden wird.

Das ist ein erstes wichtiges Ziel: Wir wollen, dass künftig mehr Studierende die Möglichkeit haben, nach BAföG gefördert zu werden.

Zweitens. Wir passen die Regelungen an neue Studienstrukturen an, Stichwort: Masterstruktur. Wir erhöhen für das Masterstudium die Altersgrenze auf 35 Jahre. Wir modernisieren - auch das ist ein wichtiges Thema -, indem wir bei der Anerkennung von Kinderbetreuungszeiten im Hinblick auf die Altersgrenze flexibler werden. Das heißt, wir entwickeln das BAföG so weiter, dass sich einerseits neue Studienstrukturen besser abbilden und andererseits weitere Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Studium erreicht werden. Auch das halte ich mit Blick auf die Entwicklungen in den nächsten zehn Jahren für einen ganz wichtigen Punkt: Wir geben jungen Familien, bei denen Vater, Mutter oder beide im Studium sind, bessere Möglichkeiten, das Studium mit der Familie, mit den Kindern und den Kinderbetreuungszeiten zu verbinden.

Schließlich greifen wir auf, was bei der Begutachtung bisheriger Verwaltungspraxis immer wieder angesprochen worden ist. Wir vereinfachen die Verwaltung, pauschalieren die Wohnkosten, vereinfachen das Verfahren zur Anerkennung von Leistungen, verzichten auf den Nachweis von Sprachkenntnissen bei Auslandsaufenthalten. Das, was sich in vielen Bereichen anbietet, soll also auch hier geschehen: einfachere Verfahren bei der Bearbeitung, Vereinfachung der Verwaltung.

Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Schritt machen; denn BAföG ist in dem Maße wirksam, in dem es gelingt, eine vernünftige Verbindung zwischen der Steigerung der Lebenshaltungskosten und den Frei- und Förderbeträgen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes herzustellen. Deshalb ist das ein klares Signal. Wir halten Wort: Vor zwei Jahren, 2008, haben wir das BAföG um 10 Prozent erhöht; jetzt erhöhen wir weiter. Das muss ein kontinuierlicher Prozess sein.

Es muss ein bildungspolitisches Ziel sein - ich habe es eben gesagt -, das wirklich für alle gilt: Der Geldbeutel der Eltern ist nicht ausschlaggebend für die Aufnahme eines Studiums. Das ist nicht nur ein bildungspolitisches Ziel, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit und des klugen Umgangs mit Talenten.

Wir wollen auch deshalb ein zweites, neues Instrument schaffen. Ein Förderhöchstsatz von 670 Euro monatlich ist gut; aber künftig soll es möglich sein, zusätzlich zu den 670 Euro weitere 300 Euro elterneinkommensunabhängig zu bekommen, und zwar über ein Stipendium, das sich aus Investitionen der öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft zusammensetzt. Das ist heftig diskutiert worden, und wir werden es gleich wieder heftig diskutieren. Einige stehen schon in den Startlöchern, um loszulegen. Ich sage Ihnen: Das ist ein überfälliges Signal. Seit zehn Jahren diskutieren wir in Deutschland über Stipendien. Wir bewundern die großen Wissenschaftsnationen, bei denen sich deutsche Studenten um Stipendien bewerben. Es wird Zeit, dass es in Deutschland endlich Stipendien gibt. Deshalb wollen wir sie einführen.

Mit unserem Vorhaben ist noch etwas anderes als Geld verbunden. Es wird Zeit, dass in Deutschland eine größere Solidarität mit unserem Wissenschaftssystem, mit den Hochschulen möglich wird. Ein Wissenschaftssystem verdient es, dass die Zivilgesellschaft, dass diejenigen, die studiert haben und heute gut verdienen, mit ihren Hochschulen solidarisch sind.

Das ist in anderen Ländern in den Ehemaligenvereinen selbstverständlich. Deshalb müssen wir ein anderes System schaffen. Wir müssen einen Impuls setzen, der sich nicht nur an die öffentliche Hand und ihre Investitionen wendet, sondern der endlich die Verbindungen zwischen den Ehemaligen und ihren Hochschulen verbessert. Eine gemeinschaftliche Aktion von Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand ist nötig, um Studierenden die Möglichkeit zu geben, in Deutschland ein Stipendium zu erhalten.

Wir erweitern das Spektrum. Auch das ist ein starkes Signal. Die ganze Debatte über das Matthäus-Prinzip - was ist mit den Starken, wo bleiben die Schwachen - ist nichts weiter als die Fortsetzung einer alten, unergiebigen Debatte. Mit dieser Art von Debatte haben Sie nichts erreicht. Sie haben niemanden aus einkommensschwachen Familien an die Hochschulen gebracht. Die ersten Erfahrungen in NRW zeigen: Erst dort, wo Stipendien zur Verfügung stehen, erreichen wir mehr Durchlässigkeit, erreichen wir, dass mehr Menschen aus einkommensschwachen Familien an Hochschulen studieren. Das ist das Ziel dieser Regierung. Diese Maßnahme ist wichtig. Deshalb bitte ich um Zustimmung für diesen neuen Impuls.


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Quelle:
Bulletin Nr. 70-1 vom 18.06.2010
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Dr. Annette Schavan, zum Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes
zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
vor dem Deutschen Bundestag am 18. Juni 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010