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GAZA/011: Straflosigkeit - Zwei Jahre nach der Militäroperation Gegossenes Blei (PCHR)


The Palestinian Centre for Human Rights (PCHR) / Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte

Pressemitteilung vom 27. Dezember 2010 - 11:30 GMT, Ref: 116/2010

Zwei Jahre nach der Militäroperation Gegossenes Blei: Gaza ist noch immer von der Außenwelt abgeriegelt, es herrscht Straflosigkeit für Kriegsverbrechen.


Am heutigen 27. Dezember 2010 jährt sich zum zweiten Mal der Beginn der Militäroperation Gegossenes Blei, der 23 Tage dauernden Offensive gegen den Gazastreifen. Diese Offensive - das brutalste Einzelereignis in der Geschichte der Besetzung - war geprägt von systematischer Verletzung internationalen Rechts. Seine Nachwirkungen sind vor allem charakterisiert durch vorherrschende Straflosigkeit.

Insgesamt wurden 1.419 Palästinenser getötet. 83% der Toten - die überwiegende Mehrheit - waren Zivilisten, nach internationalem Recht die sogenannten 'geschützten Personen'. Weitere 5.300 wurden verwundet, und öffentliches sowie privates Eigentum wurde weitgehend angegriffen und zerstört.

Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (PCHR) merkt an, daß in den zwei Jahren seit der Offensive keine konkreten Schritte unternommen wurden, um dem Rechtsanspruch der Opfer auf gleichberechtigten Schutz durch die Gesetze und auf eine wirkungsvolle rechtliche Wiedergutmachung nachzukommen. Internationales Gewohnheitsrecht und die vertraglichen Verpflichtungen, die alle Staaten eingegangen sind, sind unmißverständlich: Wenn ein Kriegsverbrechen begangen wurde, müssen in Übereinstimmung mit den internationalen Standards Ermittlungen und ein Strafverfahren gegen die Verantwortlichen eingeleitet werden. Sie sind zur Verantwortung zu ziehen.

Zahlreiche Berichte internationaler und nationaler Menschenrechtsorganisationen - unter anderem der Bericht der UNO-Untersuchungssmission zum Gazakonflikt (der 'Goldstone Report') sowie Berichte einer unabhängigen Ermittlungsmission unter dem Mandat der Arabischen Liga, von Amnesty International und von Human Rights Watch - kamen zu dem Schluß, daß im Gazastreifen Kriegsverbrechen begangen wurden, und hielten fest, daß eine strafrechtliche Verfolgung als rechtliche Konsequenz erfolgen muß.

Der Goldstone-Bericht hat eindeutige Verfahrensweisen unterbreitet, durch die diese strafrechtliche Verfolgung sicherzustellen ist. Nach internationalem Gewohnheitsrecht müssen ernstzunehmende nationale Ermittlungen unternommen werden. Sollten diese Ermittlungen nicht den internationalen Standards entsprechen, muß der Sicherheitsrat - wie in Kapitel VII der UNO-Charta vorgesehen - die Angelegenheit nach sechs Monaten dem Internationalen Strafgerichtshof vorlegen.

Zwei Jahre sind nun seit der Offensive vergangen, und es wurden keine effektiven Ermittlungen oder strafrechtlichen Verfolgungen im Land in Angriff genommen.

Wie PCHR dokumentierte, hat Israel systematisch versäumt, Sorge dafür zu tragen, daß Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden. In den zwei Jahren seit der Operation "Gegossenes Blei" waren die Aktivitäten der israelischen Behörden von dem Wunsch geprägt, diese vor der Gerechtigkeit zu schützen. Nur drei Soldaten wurden aufgrund mit der Offensive in Zusammenhang stehender Verbrechen verurteilt. Ein Soldat wurde für den Diebstahl einer Kreditkarte zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Zwei andere Soldaten sprach man schuldig, weil sie einen neunjährigen Jungen als menschliches Schutzschild benutzt hatten. Sie erhielten eine Haftstrafe von drei Monaten auf Bewährung.

Das ist eine Beleidigung für die Opfer und den universellen Vorrang des Rechts.

Die Antwort der Internationalen Gemeinschaft war Schweigen; mit ihrer Tatenlosigkeit hat sie Israels Aktionen während der Operation "Gegossenes Blei" und die darauf folgende Straflosigkeit stillschweigend unterstützt. Sie hat stillschweigend hingenommen, daß systematisch und in großem Rahmen internationale Verbrechen begangen wurden.

Die Rechtsstaatlichkeit und die Rechte der Opfer wurden im Namen der Politik geopfert.

Diese Situation darf man nicht bestehen lassen.

Die Folgen der Straflosigkeit werden in den fortwährenden und eskalierenden Verstößen gegen internationales Recht offenbar, die auf dem besetzten palästinensischen Territorium begangen werden.

Die Folgen der Straflosigkeit zeigen sich in der Tatsache, daß der gesamte Gazastreifen weiter einer illegalen Blockade unterworfen ist. Über dreieinhalb Jahre lang wurden 1,7 Millionen Menschen nun schon kollektiv bestraft und von der Außenwelt abgeschnitten. Straflosigkeit und das Versäumnis der Internationalen Gemeinschaft, dieses anhaltende Verbrechen zu verhindern, hat in den Bereich der Möglichkeit gerückt, daß die Einschließung institutionalisiert wird und von den Vereinten Nationen und der Internationalen Gemeinschaft auf wirkungsvolle Weise unterstützt.

Die Folgen der Straflosigkeit zeigen sich deutlich in der Ausbreitung der illegalen Siedlungen in der Westbank, im Weiterbau der Mauer und in den Hauszerstörungem und Vertreibungen, die im besetzten Ostjerusalem stattfinden.

Gleichermaßen zeigt sich die Folge dessen, daß man die Herrschaft des internationalen Rechts im Namen des 'Politischen Prozesses' geopfert hat, im hoffnungslosen Versagen des Oslo-Prozesses.

Es ist zwingend erforderlich, daß die Internationale Gemeinschaft ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommt und die Achtung des internationalen Recht garantiert. Wer unter Verdacht steht, internationale Verbrechen begangen zu haben, gegen den muß ermittelt werden, und er muß für seine nach internationalem Recht unrechtmäßigen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden.

Straflosigkeit dient nur der Unterstützung einer fortgesetzten Verletzung internationalen Rechts. Wie können sich die Zivilisten im Gazastreifen je wieder sicher fühlen, wenn niemand zur Verantwortung gezogen wird?

Englischer Originaltext:
http://www.pchrgaza.org/portal/en/index.php?option=com_content&view=article&id=7193:two- years-after-operation-cast-lead-gaza-remains-sealed-off-from-outside- world-impunity-for-war-crimes-prevails- &catid=36:pchrpressreleases&Itemid=194


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Quelle:
Pressemitteilung, Nr. 116/2010, 27.12.2010
Herausgeber:
Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte
The Palestinian Centre for Human Rights (PCHR)
Hauptbüro in Gaza-Stadt, 29 Omar El Mukhtar Street,
(in der Nähe des Amal Hotels), PO Box 1328
Tel.: (972) 8 2824-776, Fax: (972) 82825-893
E-Mail: pchr@pchrgaza.org
Internet: www.pchrgaza.org
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2011