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LIBYEN/009: Gefahr aus dem Hinterhalt - Streubomben treffen Bevölkerung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2011

Libyen: Gefahr aus dem Hinterhalt - Streubomben treffen Bevölkerung

Von Simba Russeau


Kairo, 21. Juli (IPS) - In Libyen wird der Konflikt zwischen Gegnern und Anhängern von Machthaber Muammar al-Gaddafi auch lange Zeit nach seinem Ende ein böses Nachspiel haben. Dafür sorgen Streubomben, Minen und andere Sprengsätze, die unexplodiert als Blindgänger im Boden lauern.

"Streubomben bergen zwei größere Risiken: Zuerst einmal haben sie eine große Reichweite, was bedeutet, dass sie nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden", sagte die Direktorin der Anti-Streubomben-Koalition ('Cluster Munition Coalition' - CMC), Laura Cheeseman, im Gespräch mit IPS. Die Folgen seien verheerend, vor allem wenn sie in der Nähe von Wohngebieten eingesetzt würden. Gaddafi-Truppen hatten wochenlang Zivilisten mit Streumunition beschossen.

Dass die Submunition nicht immer explodiert, ist eine weitere große Gefahr. "In diesem Fall entwickeln sich die Mini-Bomben zu Anti-Personen-Minen, die auch lange nach Konflikten Menschen töten und verletzen", erläuterte Cheeseman. Diese Blindgänger seien sogar noch zerstörerischer als Minen, weil der Kontakt mit ihnen in der Regel tödlich verlaufe.

Am 1. August 2010 ist die internationale Konvention zum Verbot von Streubomben in Kraft getreten. Sie untersagt den derzeit 55 Ratifizierstaaten den Einsatz der tödlichen Waffe. Insgesamt haben 108 Länder das Abkommen aus dem Jahre 2008 unterzeichnet. Libyen gehört nicht dazu.

Doch auch die NATO-Luftangriffe sind für die Bevölkerung gefährlich. So haben die nordatlantischen Bündnispartner seit März fast 6.000 Bombeneinsätze geflogen. Die Operationen, die auf einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zum Schutz der libyschen Zivilgesellschaft basieren und 382 Angriffe auf Munitionsdepots einschließen, haben die Gefahr für die Bevölkerung jedoch weiter erhöht.

"Es besteht die Gefahr, dass durch den Aufprall ein Teil der NATO-Munition in bewohnte Gebiete überspringt. Auch diese Sprengsätze müssten dringend geräumt werden", forderte Mark Hiznay, Rüstungsexperte bei der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW). Er wies ferner darauf hin, dass sich auch Landminen zu einem zunehmenden Problem entwickeln. Berichten zufolge wurden sie an den Außenrändern der Ortschaft Zintan nahe der Mittelmeer-Stadt Misurata auf Agrarland ausgelegt.


Minenfelder in Dorfnähe

Erst kürzlich hatten libysche HRW-Mitarbeiter im Umfeld des libyschen Dorfes al-Qawalish in den westlibyschen Nafusa-Bergen drei Minenfelder entdeckt, in denen Anti-Personen- und Anti-Fahrzeug-Minen lagern. Viele der 240 Anti-Personen-Minen stammten aus brasilianischer Herstellung, während die 46 Anti-Fahrzeug-Minen in China produziert wurden.

"Die brasilianischen Anti-Personen-Minen, die wir finden konnten, waren sehr schmal und bestanden zum größten Teil aus Plastik. Sie lassen sich mit Metalldetektoren in einem großen Wüstengebiet nur schwerlich ausfindig machen", berichtete Hiznay.

Auch wenn Brasilien als Vertragsstaat der Anti-Minen-Konvention seit 1989 die Anti-Personen-Minen nicht länger herstellt und verkauft, geben aber auch die Sprengfallen aus chinesischer Produktion Anlass zur Sorge. Das gilt umso mehr, als dass die Volksrepublik keine der beiden Konventionen unterzeichnet hat. Somit bleibt Hiznay zufolge nur noch zu hoffen, dass das Waffenhandelsabkommen (ATT) und andere Instrumentarien das Problem angehen werden, das durch die unregulierte Lieferung von Waffen an repressive Regime entstanden ist.

Libyen ist einer von 37 Staaten, die dem Anti-Minen-Abkommen aus dem Jahr 1997 nicht beigetreten sind. Die Konvention verbietet den Einsatz, die Herstellung und den Transfer der Sprengfallen und verpflichtet ihre Vertragspartner dazu, ihre Arsenale innerhalb von vier Jahren zu zerstören, die verminten Gebiete binnen zehn Jahren zu dekontaminieren und die Opfer zu entschädigen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2011