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SYRIEN/027: Dominostein Damaskus - zwischen den Fronten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2013

Syrien: Assad lächelt in Qamishli - Kurden stehen im Bürgerkrieg zwischen den Fronten

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Statue des syrischen Präsidenten Assad in der Stadt Qamishli
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Qamishli, Syrien, 5. November (IPS) - "Die gesamte Region ist unter Kontrolle, aber pass' im Stadtzentrum auf", sagt der kurdische Milizionär am östlichen Ortseingang von Qamishli, 600 Kilometer nordöstlich der syrischen Hauptstadt Damaskus. Offensichtlich stimmen die Gerüchte, dass die Lage im bisher recht ruhigen Nordosten des Bürgerkriegslandes nicht länger stabil ist.

Die Stadt Qamishli mit rund 200.000 Einwohnern, die zwischen der Türkei und Syrien liegt, ist bekannt für ihre christlichen Osterprozessionen, die fast gleichzeitig mit dem kurdischen Neujahrsfest Newroz stattfinden. Qamishli ist nicht nur ein Schmelztiegel der assyrischen, armenischen, kurdischen und arabischen Kultur, sondern auch der Ort, von dem aus der Aufstand der syrischen Kurden seinen Ausgang nahm.

Im März 2004 lösten Ausschreitungen nach einem Fußballspiel in Qamishli tagelange Proteste in der syrischen Kurdenregion aus. Auch in Damaskus und anderen Städten mit einem hohen kurdischen Bevölkerungsanteil kam es zu Demonstrationen.

Seit Beginn des Bürgerkriegs im März 2011 sind die Kurden in Syrien zu einem 'dritten Weg' entschlossen und wollen sich weder mit dem Regime von Präsident Baschar al-Assad noch mit den Rebellen verbünden. Im Juli 2012 übernahmen sie die Kontrolle über die Gebiete im Nordosten, in denen sie in großer Zahl leben. Seitdem liefern sie sich ständig Auseinandersetzungen mit beiden Seiten sowie mit islamistischen Gruppen, die mit dem Terrornetzwerk Al Qaeda zusammenarbeiten.

Kurdische Flaggen sind inzwischen fast überall in der Region, nicht aber im Zentrum von Qamishli zu sehen. Dort herrschen nach wie vor Assads Truppen, die auch den Flughafen unter ihrer Kontrolle haben. Täglich geht von Qamishli ein Flug nach Damaskus.


Benzin drastisch verteuert

"Die Hauptstadt ist etwa 600 Kilometer entfernt und auf dem Landweg nicht mehr zu erreichen", sagt Hamid, ein Gashändler am Ort. "Viele verschiedene Milizen verlangen auf dem Weg Geld, so dass der Benzinpreis von umgerechnet 13 US-Cent pro Liter auf 2,6 Dollar gestiegen ist. Der Sprit wird jeden Tag aus Banyas an der Mittelmeerküste geliefert."

Kein Wunder also, dass die Bewohner von Qamishli wieder auf das Fahrrad umsteigen. Auch wenn sich die Grundbedarfsartikel nicht dramatisch verteuert haben, kommen die meisten Menschen in der Stadt nur mit Mühe über die Runden. Wenn eines Tages irgendwo die Rollläden unten bleiben und die Post nicht ankommt, weiß man, dass wieder eine Familie auf der Flucht in Richtung der Kurdenregion im Irak ist. Dort harren etwa 200.000 Kurden in Flüchtlingslagern oder anderen überfüllten Notunterkünften aus.

Dauernd fällt der Strom aus, Trinkwasser ist rar und Mobiltelefone funktionieren nur nahe der Grenze zur Türkei. Fast jeder Syrer, der an der Nordgrenze des Landes lebt, hat einen Vertrag bei einem der großen türkischen Telefonunternehmen abgeschlossen. Auf dem Handy kommt auf einmal eine automatische SMS des syrischen Tourismusministeriums an, die daran erinnert, wie sehr das Land früher seinen Ruf als Reiseziel stärken wollte: "Willkommen in Syrien. Wählen Sie 137 für Touristeninformationen."

Der Ingenieursstudent Hozan findet, dass man sich selbst unter den derzeitigen Umständen nicht beschweren darf. Der junge Mann wartet auf das Kriegsende, um seine Ausbildung in Damaskus abzuschließen. In der Zwischenzeit schreibt er in seiner kurdischen Muttersprache für eine örtliche Zeitung. Die von dem Assad-Regime verbotene Sprache lernte er als Kind heimlich von seinem Vater.

Die parallele Revolution der Kurden hat auch zu Veränderungen in Schulen, Gemeindezentren für Frauen und Verwaltungsbehörden geführt. So wurde eine Müllabfuhr eingeführt. Allerdings werden Abfälle manchmal immer noch am Ufer des Jaghjaghah-Flusses verbrannt, der die Stadt von Nord nach Süd durchschneidet.

Dass inmitten des Chaos ab und zu Ordnung herrscht, ist den zahlreichen Freiwilligen in Qamishli zu verdanken. Zu den treibenden Kräften gehört Hashim Mohamed, der Leiter der kurdischen Polizei 'Asayish'. Wie der ehemalige Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK erklärt, stehen etwa 4.000 Mann unter seinem Kommando.


Polizei auf Abstand zu Kurdenpartei PYD

Die Tatsache, dass sich in unmittelbarer Nähe ein Kontrollpunkt der Regierungstruppen befindet, hat Gerüchte über eine heimliche Einigung zwischen der größten kurdisch-syrischen Partei PYD und Assad befeuert. Führende PYD-Vertreter haben dies jedoch wiederholt bestritten. Auch Mohamed: "Sie kommen nicht in unser Gebiet und wir nicht in ihres. Wir nehmen voneinander einfach keine Notiz."

Am Postamt von Qamishli hängt immerhin noch ein Plakat mit einem lächelnden Assad. Ein paar Meter davon entfernt steht eine Statue des Präsidenten mit der syrischen Flagge in der Hand. Zu seinen Füßen klettern schwarz gekleidete Milizionäre in den hinteren Teil eines Lieferwagens. Wäre die Karosserie nicht mit den Farben der syrischen Flagge bemalt, hätte man annehmen können, es handele sich um Aufständische.

"Das sind 'sabihas', Zivilisten die seit Beginn der Unruhen von dem Regime bezahlt und bewaffnet werden", sagt Edmon, ein assyrischer Christ, der auf der Seite der Opposition steht. "Rede nicht, schau sie nicht an und verstecke deine Kamera", rät er. Eine zufällige Kontrolle könnte Ärger für einen Journalisten bedeuten, der sich mit Einwilligung der Kurden, aber ohne Genehmigung der Regierung in diesem Teil des Landes aufhält.

Hinter dem Hauptplatz der Stadt sind die einst überall in Geschäften und Restaurants hängenden Assad-Porträts nicht mehr zu sehen, ebenso wenig wie kurdische Flaggen. Nur die Häuschen der Verkehrspolizisten sind noch rot-schwarz-weiß wie die syrische Staatsflagge angestrichen. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/10/fragile-peace-holds-on-a-syrian-island/

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IPS-Tagesdienst vom 5. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2013