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WESTSAHARA/005: Präsident Abdelaziz informiert die Staatsoberhäupter der UNO-Mitgliedstaaten (UPES)


Saharawi Journalists and Writers Union - UPES

5. Dezember 2010

Präsident Abdelaziz informiert die Staatsoberhäupter der UNO-Mitgliedstaaten über die marokkanischen Verbrechen in Gdeim Izik


Der Präsident der Saharauischen Republik, Mohamed Abdelaziz, hat einen Brief an die Regierungsoberhäupter der UNO-Mitgliedstaaten geschickt, in dem er sie über die von der marokkanischen Armee an saharauischen Bürgern im Lager Gdeim Izik verübten Verbrechen informiert.

Der Brief wurde am 22. November abgesendet und ruft die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, die Entsendung einer internationalen Untersuchungsmission in die besetzten Gebiete und die Erweiterung des UNO-Mandats in Westsahara um eine Menschenrechtsbeobachtungs- und -schutzkomponente zu unterstützen.


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Hier ist der vollständige Brief, von dem UPES heute eine Kopie erhalten hat:


Bir Lehlou, 22. November 2010



Majestät, Exzellenz,

Ich möchte mich mit diesem dringenden Brief an Sie wenden, um unsere tiefe Sorge über die Entwicklungen in der marokkanisch besetzten Westsahara, insbesondere in der Stadt El-Aaiun, und über die von den Besatzungsbehörden verfolgte, gefährliche Kolonialpolitik zum Ausdruck zu bringen, die gleichbedeutend ist mit ethnischer Säuberung gegen wehrlose saharauische Zivilisten.

Am frühen Morgen des 8. November 2010 überfielen tausende marokkanische Soldaten, Gendarmen, Polizei und Bereitschaftskräfte zehntausende saharauische Zivilisten - darunter Frauen, Kinder und ältere Menschen - die sich im Lager Gdeim Izik östlich der besetzten Stadt El Aaiun aufhielten. Die marokkanischen Angreifer brachten Militärfahrzeuge, Wasserkanonen und Hubschrauber sowie Tränengas und sogar scharfe Munition gegen die Zivilisten zum Einsatz.

Daß im Verlauf von zwei Stunden ein ganzes Lager mit 8.000 Zelten, die etwa 30.000 Zivilisten beherbergten, verwüstet und niedergerissen werden konnte, spiegelt das Ausmaß der Brutalität dieses Angriffs wider.

Es ist furchtbar, daß der gewaltsame Eingriff gegen ein Lager von Protestierenden stattfand, die seit der Begründung ihres Protestes im Oktober 2010 den friedlichen Charakter der Aktion betont haben - eine Tatsache, die von internationalen Medien und unabhängigen Beobachtern bestätigt wurde. Die Protestierenden machten von Anfang an deutlich, daß sie gegen jede Form von Gewalt seien. Aus diesem Grund hatten sie auch einen Platz gewählt, der 10 km von der Stadt entfernt liegt, um jede Erregung öffentlichen Ärgernisses zu vermeiden.

Weiter ist bedauerlich, daß dieser brutale Übergriff gegen Frauen, Kinder, ältere und junge Menschen stattgefunden hat, die einfach nur auf friedliche Weise gegen die sich weiter verschlimmernden sozio-ökonomischen Verhältnisse protestierten, in denen sie seit 35 Jahren unter Marokkos illegaler Besetzung ihres Landes leben.


Majestät, Exzellenz,

Die bedauerlichen Praktiken umfassen nicht nur die oben dargelegten Tatsachen und Umstände, die die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegen die Besatzung verstärkt haben. Zugleich mit diesen Ereignissen machten sich die marokkanischen Behörden in Ausführung eines abscheulichen und kalkulierten Plans daran, internationale Medienvertreter und unabhängige Beobachter aus dem Land zu weisen und eine totale Blockade über die besetzten Gebiete zu verhängen. Sie brachten weitere Soldaten der an der militärischen Mauer, Westsahara und sein Volk zerteilenden Mauer stationierten marokkanischen Streitkräfte hinein, um ihren Zugriff auf die Region zu verstärken.

Nachdem sie alle Bedingungen geschaffen hatten, um straffrei agieren zu können, haben die Streitkräfte des marokkanischen Unterdrückers in den Straßen von El-Aaiun und in den Randbezirken der Stadt Jagd auf Zivilisten gemacht. Polizisten in Zivil schwärmten aus, und marokkanische Siedler wurden angestiftet, Saharauis einzuschüchtern und zu lynchen, Feuer an ihre Häuser zu legen und ihren Besitz zu plündern.

Es ist noch immer schwierig, die Zahl der Toten unter den unschuldigen Zivilisten, von denen Dutzende erschossen wurden, zu bestimmen oder die genaue Zahl der Verletzten oder das Schicksal von Tausenden zu ermitteln, von denen es keine Nachricht gibt. Die Herrschaft des Schreckens und der Verfolgung, die in diesen Tagen die besetzten Territorien beherrscht, erschweren es den dort lebenden Saharauis, die Anzahl der Toten festzustellen oder nach vermißten Personen zu fragen. Die Verletzten verstecken sich noch immer aus Furcht vor Racheakten der marokkanischen Behörden, und Familien haben keinerlei Zugang zu Informationen über ihre Familienmitglieder, die von den marokkanischen Sicherheitskräften entführt oder interniert worden sind.

Die Verwundeten halten sich aus Furcht vor Racheakten der marokkanischen Behörden noch immer versteckt, und Familien haben keinen Zugang zu Informationen über Angehörige, die von den marokkanischen Sicherheitskräften entführt oder interniert wurden. Die Inhaftierten werden unterdessen gefoltert und gezwungen, falsche Geständnisse zu unterschreiben oder Erklärungen vor den marokkanischen Medien abzugeben.

Unter den wenigen Menschen, die in der Lage waren, in die besetzten Gebiete zu gelangen, befand sich auch ein Vertreter von Human Rights Watch, der bereits über die Vorgänge in diesen Gebieten berichtet hat. Auch wenn er selbst einräumte, daß seine Aussage aufgrund der Einschränkungen, denen seine Mission unterlag, nur unvollständig sein konnte, legte er offen, daß die von den marokkanischen Besatzungsbehörden inhaftierten Saharauis auf jede Weise unter Folter und rassistischer und diskriminierender Behandlung zu leiden haben, und daß es von vielen noch keine Nachricht gibt.

Die Zeugenaussagen von Menschenrechtsaktivisten und ausländischen Journalisten, denen es trotz aller Widrigkeiten gelungen war, die besetzten Territorien zu erreichen und vor sowie nach dem Überfall auf das Lager Gdeim Izik mit den Saharauis zusammenzuleben, sind absolut erschreckend. Alle Aussagen weisen sehr deutlich darauf hin, daß die marokkanischen Besatzungsbehörden unbeobachtet von der Weltöffentlichkeit eine Art Genozid an den Saharauis begehen.


Majestät, Exzellenz,

Die marokkanische Regierung hat ihren brutalen Überfall auf das Lager Gdeim Izikan ganz aus Berechnung an demselben Tag begangen, an dem Herr Christopher Ross, der Persönliche Gesandte des UNO-Generalsekretärs für Westsahara die dritte Runde der informellen Gespräche zwischen den zwei Parteien des Konflikts, der Frente Polisario und Marokkos, veranstaltete. Der brutale Überfall auf Tausende wehrlose Frauen, Kinder, ältere und junge Menschen hatte ganz klar den Zweck, absichtlich die Anstrengungen der Vereinten Nationen, die Saharauis in die Lage zu versetzen, ihr unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch zu nehmen, zu behindern.

Heute ist für die ganze Welt erkennbar, daß die marokkanischen Besatzungsbehörden in Abwesenheit internationaler Medienvertreter und Beobachter und unter über alle besetzten saharauischen Territorien verhängter Blockade seine ethnische Säuberungskampagne gegen saharauische Zivilisten weiter vorantreibt. Die marokkanischen Behörden versuchen zudem nach wie vor, die Spuren am Ort des Verbrechens zu beseitigen und der Aussage des Täters mehr Gewicht zu verleihen als der des Opfers - namentlich der wehrlosen saharauischen Zivilisten, die weiter unter der marokkanischen Besatzung leiden -, indem sie falsche Anschuldigungen erheben, die jeder Grundlage entbehren.

Die aktuelle Lage in der Stadt El-Aaiun und im gesamten unter marokkanischer Besatzung befindlichen saharauischen Territorium wird angesichts der vorsätzlichen ethnischen Säuberungskampagne der marokkanischen Regierung gegen das saharauische Volk zunehmend gefährlicher.

Die internationale Gemeinschaft kann an keinem Platz der Welt eine derart katastrophale Lage zulassen, umso weniger, wenn sich die Katastrophe in Anwesenheit der Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara (MINURSO) zuträgt. Die UNO-Mission stellte vor dem Sicherheitsrat klar, daß die marokkanischen Behörden sie daran gehindert hätten, zum Tatort zu gelangen und Informationen aus erster Hand über ein Verbrechen zu gewinnen, das sich in einem unter direkter Verantwortung der Vereinten Nationen befindlichen Territorium zugetragen hat.

Es steckt eine große Gefahr darin, daß es den marokkanischen Behörden mehr als zehn Tage lang möglich war, Druck auf Dutzende internationale Medienvertreter, Abgeordnete und internationale Menschenrechtsaktivisten auszuüben, sie zu verfolgen und aus den besetzten saharauischen Territorien auszuweisen. Folge dieser Nachgiebigkeit waren viele Tote und Verletzte unter den Saharauis und eine anhaltende menschliche Tragödie, deren Einzelheiten erst noch bekanntwerden müssen. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht mit Nachdruck unverzüglich einschreitet, wird sich die marokkanische Politik der ethnischen Säuberung gegen das saharauische Volk zu einer wirklichen Katastrophe auswachsen, für die die ganze Menschheit verantwortlich zeichnet.

Wir bitten Sie eindringlich, unverzüglich einzuschreiten und das Leben unschuldiger, saharauischer Zivilisten zu retten sowie den Menschenrechtsverletzungen und den grausamen mittelalterlichen Praktiken, die der marokkanische Staat im 21. Jahrhundert gegen wehrlose Zivilisten einsetzt, ein Ende zu machen.


Majestät, Exzellenz,

Wir rechnen mit Ihrem unverzüglichen Einschreiten, um die erdrückende Blockade, die den Saharauis in der besetzten Stadt El-Aaiun durch die marokkanische Armee, Gendarmerie, Polizei und Bereitschaftskräfte auferlegt wird, zu beenden. Wir wenden uns zudem an Sie, damit Sie darauf hinwirken, dem in der Stadt herrschenden Schreckensregime ein Ende zu setzen, damit die Bevölkerung sich frei und sicher bewegen kann, um die Zahl der Opfer zu schätzen, die Verwundeten zu versorgen und den Aufenthaltsort der Inhaftierten und der Vermißten zu bestimmen.

Die internationale Gemeinschaft kann nicht tolerieren, daß die marokkanische Regierung weiter darauf beharrt, den Zugang für internationale Beobachter und unabhängige Medien nach El-Aaiun und für die gesamten besetzten saharauischen Gebiete zu sperren. Versäumt man, etwas in dieser Hinsicht zu unternehmen, wird man nur dazu beitragen, die von den marokkanischen Besatzungsbehörden erhobene Nachrichtensperre aufrechtzuerhalten, mit der die Wahrheit über ihr Verbrechen versteckt und nur eine Version des Geschehens präsentiert werden soll, nämlich die Version des Besatzungsstaates.


Wir verlassen uns auf Ihre Bemühungen, folgendes zu garantieren:

Erstens, die dringende Entsendung einer Aufklärungsmission zur Untersuchung dieses Verbrechens;

Zweitens die Aufstellung eines Polizeikontingents, das die saharauischen Zivilisten in einem unter internationaler Verantwortung stehenden Territorium gemeinsam mit oder im Rahmen von MINURSO schützt;

Drittens, die Einsetzung eines UN-Mechanismus oder eine Erweiterung des MINURSO-Mandats im Sinne von Menschenrechtsschutz, -überwachung und -berichterstattung in Westsahara.


Majestät, Exzellenz,

Der Konflikt in Westsahara als eine Frage der Entkolonialisierung kann nur auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und der entsprechenden Resolutionen sowie in freier und souveräner Ausübung des Rechts des saharauischen Volkes auf Selbstbestimmung durch ein freies und faires Referendum gelöst werden.

Dennoch rufen wir Sie - bis die Vereinten Nationen diese Verantwortung ohne Verzug übernehmen - und mit Ihnen die ganze internationale Gemeinschaft dazu auf, dringend einzuschreiten und der von der marokkanischen Regierung verfolgten Politik der ethnischen Säuberung gegen ein wehrloses Volk, das lediglich seine international anerkannten Rechte verteidigt und friedlich seine Ablehnung der illegalen marokkanischen Besetzung seines Landes zum Ausdruck bringt, ein Ende zu setzen.

Herr Präsident, wir vertrauen darauf, daß dieser dringende Aufruf im Einklang mit Ihrem Engagement und Ihrem Eintreten für die Ideale der Freiheit, Gerechtigkeit, die Herrschaft des Rechts und die Menschenrechte die ihm gebührende Aufmerksamkeit und Antwort erhält.


Majestät, Exzellenz,

mit vorzüglichster Hochachtung

Mohamed Abdelaziz, Präsident der Saharauischen Arabischen Demokratischen Republik Generalsekretär der Frente POLISARIO


englischsprachiger Originaltext:
http://www.upes.org/bodyindex_eng.asp?id=2214&field=sosio_eng


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Quelle:
Meldung vom 05.12.2010
Saharawi Journalists and Writers Union - UPES
Internet: www.upesonline.info und www.upes.org
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2010