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BERICHT/106: Der große Ausverkauf von Land (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 113, 3/10

Der große Ausverkauf von Land
Kleinbäuerinnen verlieren im Wettlauf um Land

Von Lina Gross


Innerhalb von nur wenigen Jahren hat eine regelrechte Jagd auf Acker- und Weideland in den Entwicklungsländern eingesetzt. Das weltweite Phänomen des "Land Grabbing" geht dabei immer wieder einher mit Landvertreibungen und -konflikten. Frauen bilden in den betroffenen Ländern oftmals das Rückgrat der lokalen Ernährungssicherheit. Bedingt durch ihre marginalisierte Stellung in vielen Gesellschaften, sind sie von den Auswirkungen der neuen Landnahmen besonders stark betroffen, wie die Autorin im Folgenden darstellt.


Der Wettlauf um die weltweit knapper werdenden Landressourcen hat begonnen. Nachdem der ländliche Sektor jahrzehntelang vernachlässigt wurde, boomt seit einiger Zeit der globale Handel mit landwirtschaftlich nutzbaren Böden. Vor allem ausländische Investoren haben es auf das fruchtbare Land in Entwicklungsländern abgesehen - ein Phänomen, das als "Land Grabbing" bekannt geworden ist. Schätzungen der Welternährungsorganisation zufolge wurden allein in Afrika 20 Millionen Hektar Land an ausländische Großinvestoren verkauft oder langfristig verpachtet. Aber auch Länder in Asien und Südamerika sind von den Landnahmen betroffen.


Großes Konfliktpotential

Die Käufer kommen insbesondere aus Staaten, die nicht über genügend Ackerland und Wasser verfügen, um ausreichend Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung anzubauen. Während oftmals Teile der lokalen Bevölkerung in Zielländern wie Äthiopien oder Mosambik an Hunger leiden, produzieren ressourcenarme Länder wie die Golfstaaten auf den erworbenen Flächen Nahrungsmittel für den Export. Seit die weltweite Nachfrage nach Agrarkraftstoffen stark angestiegen ist, fördern zudem Investoren aus den Industrieländern vermehrt den Anbau von Energiepflanzen. In der Nahrungsmittel- und Agrarkraftstoffproduktion wird dabei auf industrielle Landwirtschaft gesetzt, welche u. a. durch Monokulturen und den Einsatz von Pestiziden eine starke Umweltbelastung darstellt. Nicht zuletzt wird der Ausverkauf von Land durch Banken und Investmentunternehmen verschärft, die Ackerland als sichere Finanzanlage sehen oder mit den Böden Spekulationsgeschäfte betreiben.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass vor allem die kleinbäuerliche Bevölkerung unter den Folgen von Land Grabbing leidet: Durch die großflächigen Landnahmen kommt es immer öfter zu Landkonflikten und Vertreibungen von Kleinbauern und -bäuerinnen.


Frauen und Land

Frauen sind aufgrund ihrer sozialen Stellung in der Gesellschaft besonders betroffen. Sie werden im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen vor allem beim Zugang zu Land, bei Arbeitsbedingungen und bei so genanntem ungenutztem Land stark benachteiligt und marginalisiert.

Frauen produzieren weltweit rund die Hälfte aller Nahrungsmittel. In Entwicklungsländern sind sie sogar für die Produktion von 60 bis 80 Prozent der lokal konsumierten Nahrungsmittel verantwortlich. In vielen Entwicklungsländern sind Frauen die treibende Kraft in allen Bereichen, die in der Kette der Nahrungsmittelproduktion anfallen: Ernte, Verarbeitung, Lagerung, Zubereitung und Vermarktung. Neben der landwirtschaftlichen Betätigung leisten die Frauen eine Vielzahl von häuslichen Aufgaben wie Wasserholen und Brennholzsammeln, Kindererziehung sowie Alten- und Krankenpflege. Sie sind somit unersetzlich für die Gewährleistung der lokalen Ernährungssicherheit und der Entwicklung im ländlichen Raum.

Gleichzeitig sind Frauen durch ihre schwache soziale Stellung, fehlende Bildung und ihr geringes politisches Einflussvermögen einer breiten gesellschaftlichen Marginalisierung ausgesetzt, welche sie schnell zu Opfern von Land Grabbing werden lässt. Besonders deutlich wird dies anhand der Problematik des mangelnden Zugangs zu Land. Obwohl Frauen den Großteil des Landes bewirtschaften, besitzen sie durchschnittlich nur 10 Prozent der Bodenrechte. Landtitel werden oft nur an männliche Familienmitglieder vergeben. Folglich haben Frauen nur wenige Möglichkeiten, über die Art des Anbaus oder den Verkauf von Land zu verfügen. Zudem wird das Land bei Verwitwung, Scheidung oder Fortziehen der Männer nicht an die Frau weitergegeben: Sie verliert jedes Anrecht auf das Land und ist auf ein männliches Familienmitglied angewiesen, das das Land in der Regel erbt.


Brache und Nutzung

Um den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern, arbeiten viele alleinstehende Frauen auf Großplantagen von Investoren. Die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen sind oftmals katastrophal: Arbeitsleistungen sind zeitlich begrenzt und unterbezahlt. Da im informellen Sektor gearbeitet wird, können weder Arbeitsrechte noch Mindestlöhne durchgesetzt werden. Zudem leiden die Arbeiterinnen häufig unter Diskriminierung und sexuellem Missbrauch.

Ein weiteres Problem bildet die Akquisition von angeblich ungenutzten Landflächen durch ausländische Investoren. Das scheinbare Brachland wird jedoch in Wirklichkeit in vielfältiger Weise von Frauen genutzt, die das Land als Weidefläche oder zum Wasserholen und zum Sammeln von Brennholz, Beeren sowie Medizinalpflanzen nutzen. Durch die Landokkupation und den Anbau von Monokulturen wird den Frauen diese wichtige Lebensgrundlage entzogen.

Wie prekär die Situation vieler Frauen ist, zeigt das Beispiel Kooya Timans. Sie ist Mutter von fünf Kindern und gehört zu einem in Tansania ansässigen Stamm der Maasai. Ihre Gemeinschaft lebt vor allem von der Tierhaltung und ist auf umliegende Weideflächen angewiesen. Doch ihre Situation ist erschreckend unsicher: "Unsere Lebensbedingungen sind härter denn je. Die Bodenqualität ist schlecht und wir haben viele Rinder durch Infektionen und Entkräftung verloren. Die Kinder gehen nicht zur Schule", berichtet Timan. Sie und viele ihrer Stammesangehörigen wurden in Folge von Landübergriffen auf schlechtere Böden verdrängt. Solche Landrechtsverletzungen sind in Tansania nichts Neues, doch seitdem zusätzlich ausländische Investoren die Ländereien für sich beanspruchen, werden die traditionellen Landnutzungsrechte immer öfter übergangen. Allein der britische Energiekonzern "D1 Oils" erwarb 60.000 Hektar Land von der tansanischen Regierung für den Anbau der Energiepflanze Jatropha. Timan, die sich einer Gruppe von Viehhalterinnen angeschlossen hat, sagt über die Situation der Frauen vor Ort: "Wir müssen uns auf verschiedenen Ebenen Gehör verschaffen, bei unserer eigenen Regierung, aber auch bei weltweiten Frauennetzwerken und um ihre Unterstützung bitten. Wir werden von unserer Regierung, aber auch von den Männern in unseren Kommunen marginalisiert - obwohl wir die Mehrheit bilden." Eine genderspezifische Berücksichtigung bei der Problembehandlung von Land Grabbing ist unerlässlich. Neben der Verantwortung lokaler Regierungen sind auch AkteurInnen wie die deutsche Bundesregierung gefordert, gegen Land Grabbing und die damit verbundene Genderproblematik vorzugehen. Sowohl in der bilateralen Zusammenarbeit als auch bei internationalen Institutionen kann sich die Bundesregierung gegen die weltweiten Landkäufe aussprechen. Das Ausmaß und die zunehmende Geschwindigkeit von Land Grabbing erfordern ein entschlossenes Handeln auf Seiten aller AkteurInnen!


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Lesetipps:

Ute Straub: Wenn die Sheanussbäume gerodet sind. In: INKOTA-Dossier 7: Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf. (Berlin 2010)

Nidhi Tandon: Land investments are wholesale sell-outs for women farmers. Juli 2010. http://farmlandgrab.org/13488


Zur Autorin:

Lina Gross ist freie Mitarbeiterin des INKOTA-Netzwerkes. Sie lebt in Essen.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 113, 3/2010, S. 30-31
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2010