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BERICHT/175: Friedlicher Widerstand - Schlachthof umzingeln (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 370 - Oktober 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Friedlicher Widerstand: Schlachthof umzingeln
Die Konzentration im Bereich der Tierhaltung, aber auch der Schlachtung stößt immer mehr Menschen

von Marcus Nürnberger



7.000 Menschen kamen nach Wietze, um gegen den Geflügelgroßschlachthof des Unternehmens Rothkötter zu demonstrieren und den Schlachthof zu umzingeln.

Unter dem Motto "Wir haben es satt!" trafen sich in den vergangenen Jahren immer wieder mehrere 10.000 Menschen zu Großdemonstrationen in Berlin. An kalten Januartagen, parallel zur Grünen Woche zeigte sich hier, wie sich die Menschen eine zukünftige Agrarpolitik, Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung wünschen. Die Demonstration, die Ende August im niedersächsischen Wietze bei Celle vor den Toren eines der größten Geflügelschlachthöfe Europas stattfand, war etwas neues. Sie trug den Protest direkt vor die Tore der Unternehmen, die industrialisierte Tierhaltung zu ihrem Kerngeschäft gemacht haben.


Bauernfrühstück und Politik

Es ist wolkenverhangen an diesem Samstag. Im Protestcamp neben einem Zirkuszelt, in dem schon seit mehreren Tagen Workshops zum Thema Massentierhaltung und Agrarpolitik stattfanden sind Tische und Bänke aufgebaut. Produkte von bäuerlichen Betrieben, in nachhaltigen Strukturen erzeugt, liegen auf dem Tisch. Karottenbrot und Käse mit Kräutern, verschiedene Tomatensorten, groß, saftig, geschmackvoll. Der Grüne Landwirtschaftsminister aus Niedersachsen, Christian Meyer, ist zum Bauernfrühstück eingeladen. Er hört zu, versucht die Anliegen der Anwesenden zu verstehen. Teilt vermutlich einen Großteil der Einschätzungen: Der Schlachthof ist viel zu groß; Er hätte nie genehmigt werden dürfen; Solche Projekte lassen unsere Landwirtschaft zu einem abhängigen Rohstofflieferanten verkommen. Christian Meyer soll helfen, soll retten. Wenn er den Schlachthof direkt schließen könnte, das wäre toll. Oder wenigstes die Auflagen verschärfen. Doch ihm sind die Hände gebunden. Der Schlachthof ist ein Erbe der schwarzgelben Vorgängerregierung. Trotzdem gelingt der Blick nach vorne, denn wo, wenn nicht hier, wird deutlich wohin eine industrialisierte Landwirtschaft und insbesondere Tierhaltung führt. "Es muss Schluss damit sein, dass man den Hühnern die Schnäbel kürzt und den Schweinen die Schwänze kupiert", sagte Meyer unter dem Applaus der Anwesenden. "Nicht die Tiere müssen an die Ställe angepasst werden, sondern die Ställe an die Tiere", fasst Meyer seine Grundüberzeugung zusammen und kündigt an, dass es zukünftig keine Genehmigung derartiger Großschlachthöfe mehr geben wird.


Die Kundgebung

Nur wenige Kilometer vom Protestcamp entfernt, mitten im 8.000 Einwohner zählenden Städtchen Wietze, laufen die Vorbereitungen zur Auftaktkundgebung auf Hochtouren. Viele Verbraucher- und kritische Landwirtschaftsorganisationen, Natur- und Tierschutzinitiativen sind mit Infoständen vor Ort und informieren. Der Platz vor der großen Bühne füllt sich zusehends. Auch wenn leichter Nieselregen eingesetzt, hat lassen sich die Demonstranten, Alt und Jung, nicht von ihrer guten Stimmung abbringen. Und die stieg immer noch weiter, denn es wurde deutlich, dass viele, viele Menschen dem Aufruf gefolgt waren. Man war nicht unter sich. Ein starkes Signal auch für die 800 Mitglieder zählende Bürgerinitiative in Wietze, die aufgrund der Rothkötterversprechen von Arbeitsplätzen und der Aussicht hoher Gewerbesteuereinnahmen einen schweren Stand im Ort hat. Kurz und prägnant fasst Uschi Helmers von der Bürgerinitiative Wietze, eine von vielen Rednerinnen, die Kernprobleme zusammen: "Jeden Tag sollen hier in diesem Schlachthof 430.000 Hühner geschlachtet werden. Das ist viel zu viel. Um den Schlachthof auszulasten, müssten über 200 neue Megaställe gebaut werden. Doch überall im Land wächst der Widerstand. Die Menschen wollen Bauernhöfe und keine Agrarfabriken." Dann machen sich die inzwischen 7.000 Menschen auf den Weg zum gleich am Ortsrand gelegenen Schlachthofgelände. Bunt, friedlich, fantasievoll ist der Zug.


Die Umzingelung

Der Schlachthof, eingezäunt mit grünen Gittern, ähnelt einem großen Einkaufszentrum. Fensterlose große Hallen. Einige LKW auf dem ansonsten leeren Parkplatz. Die wenigen Wachleute auf dem Gelände beäugen die Demonstranten kritisch. Alles ist friedlich, vor dem Gelände haben die Traktoren, die den Demonstrationszug anführten, Stellung genommen. Der Zug spaltet sich. Rechts und links um den Schlachthof ziehen die Menschen. An den Eingangstoren hat die Polizei abgesperrt. Nur Mitglieder der Bürgerinitiative Wietze dürfen direkt vor das Firmentor. Brandstiftungen in leeren Hühnerställen in der Vergangenheit haben sensibilisiert. Und dann ist es geschafft. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht entlang der Menschenkette. Der Schlachthof ist umzingelt. Auch wenn die Produktion schon in der nächsten Woche wieder aufgenommen wurde, war "Wir haben Agrarindustrie satt!" in Wietze ein klares Zeichen. So wird es in Zukunft nicht weitergehen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 370 - Oktober 2013, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2013