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FISCHEREI/217: Aquakultur - bedeutend für die Welternährung (Forschungreport)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 2/2008
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Aquakultur: bedeutend für die Welternährung
Die Produktion aquatischer Organismen hat in den letzten Jahrzehnten eine rasante Entwicklung genommen

Von Volker Hilge (Ahrensburg) und Reinhold Hanel (Hamburg)


Die Aquakultur ist im globalen Maßstab der am schnellsten wachsende Nahrungsmittel-produzierende Sektor. Er stellt mit über 50 Millionen Tonnen etwa die Hälfte des Angebots an Konsumfisch zur Verfügung. Um den Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung bei gleich bleibendem Pro-Kopfverbrauch zu befriedigen, muss die Aquakultur ihre Produktion bis 2030 massiv weiter steigern.


Als im Sommer 1976 in Kyoto die erste Technische Konferenz der FAO zur Aquakultur endete, lautete eine der Hauptaussagen: In den nächsten 30 Jahren verfünffachen sich die Erträge aus der Aquakultur. Die meisten Teilnehmer der Tagung beschlich bei so viel Optimismus ein eher unbehagliches Gefühl - zu utopisch erschien ihnen doch der Sprung von rund 5 Mio. Tonnen produzierter Fische, Krebse, Weichtiere und Algen von 1975 auf erhoffte 25 Mio. Tonnen in 2005.

Nur wenige Experten waren in der Lage, das Potenzial für diese dramatische Steigerung der Erträge aus der Aquakultur vor allem in den Ländern Asiens richtig einzuschätzen. Man rechnete vielmehr fest mit einer weiteren stürmischen Entwicklung der Fangfischerei. Die landete zu jener Zeit 63 Mio. Tonnen Fisch jährlich an, und eine weitere Zunahme dieser Anlandungen wurde vorausgesagt. Wozu also sich viel Gedanken über einen neuen Produktionszweig machen, dessen Entwicklung erhebliche Investitionen erfordern würde?

Vor diesem Hintergrund lohnt es, die heutige Situation der Aquakultur näher zu betrachten.


Weltproduktion

Die vorläufige FAO-Statistik weist für 2006 eine Gesamtproduktion der Aquakultur von 66,8 Mio. Tonnen aus. Die auf der Kyoto-Konferenz prognostizierte Produktionssteigerung wurde tatsächlich um mehr als das doppelte übertroffen. Dabei handelt es sich mit Ausnahme von 15,1 Mio. Tonnen Algen, die vor allem in Pharmazie, Nahrungsmittelindustrie und Kosmetik Verwendung finden, um Erzeugnisse für den direkten menschlichen Konsum. Fische machen mit 32,6 Mio. Tonnen rund die Hälfte der Produktion aus. Sie stammen zu 84% aus dem Süßwasser. Dies spiegelt die Entstehungsgeschichte der Aquakultur wider, die ihre Ursprünge in der Aufzucht von Karpfen und seinen Verwandten in Süßwasserteichen in Asien hat, woher auch heute noch der ganz überwiegende Teil der gezüchteten aquatischen Organismen stammt. Mollusken und Krebse sind mit 14,1 bzw. 4,5 Mio. Tonnen die weiteren wichtigen Produktgruppen. Im Gegensatz zu Asien fallen die anderen Regionen der Welt dagegen mit 0,1% (Sub-Sahara Afrika) bis 4,2% (Europa) am Gesamtvolumen stark ab. Anzumerken sei hier auch noch, dass China allein über zwei Drittel der Weltproduktion für sich reklamiert. Allerdings ist dieser Wert korrekturbedürftig, was im Übrigen auch für die chinesischen Anlandungen aus der Fangfischerei gilt.

Der Gesamtwert dieser Weltproduktion wird für 2005 mit 70 Mrd. US-$ angegeben. Nach China belegen Indien, Vietnam, Indonesien, Thailand, Bangladesch, Japan, Chile und Norwegen die folgenden Plätze.


Europa und Deutschland

Ohne Zweifel ist das rasante Bevölkerungswachstum in Asien ein Auslöser für die Entwicklung und die hohen Zuwächse der dortigen Aquakultur gewesen. So wird es auch in Zukunft sein, denn die Zahl der hungrigen Münder nimmt dort weiter zu.

Ganz anders in Europa. Hier war und ist das Bevölkerungswachstum inzwischen gering oder sogar negativ. Die gleichzeitig sichtbar werdenden Änderungen in der Bevölkerungsstruktur beeinflussen auch das Konsumverhalten und damit die Nachfrage nach Fisch. Die jährliche Zuwachsrate in der Aquakulturproduktion betrug in den vergangenen Jahrzehnten rund 5%, die derzeitige Produktionsmenge liegt etwa bei 2,2 Mio. Tonnen pro Jahr. Die mengenmäßig wichtigsten Fischarten sind der atlantische Lachs, die Miesmuschel und ihre Mittelmeerverwandte, Forellen, Austern, Goldbrassen und Wolfsbarsch sowie der Karpfen. Krebse (shrimps) - in anderen Regionen sehr wichtig - sind in Europa ohne Bedeutung. Überraschenderweise stagniert die Aquakulturproduktion seit nunmehr acht Jahren; Steigerungen bei Arten wie Lachs und Meerbarschen werden durch Rückgänge bei anderen Arten (Karpfen, Auster, Süßwasserforelle) konterkariert. Die EU-Kommission bemüht sich neuerdings, die Aquakultur in Europa anzukurbeln, denn sie befürchtet sicher nicht zu Unrecht, dass die Erträge aus der Fangfischerei kaum zu steigern sein werden und eine zunehmende Nachfrage nach Fisch auf Dauer nicht allein durch Importe befriedigt werden kann. Das Handelsbilanzdefizit der EU-Staaten für diesen Sektor ist beträchtlich und die Exportländer der Dritten Welt werden mit einem zunehmenden Inlandsbedarf konfrontiert werden.

Deutschland führt mehr als 80% seiner gesamten Fischwaren aus dem EU-Raum oder aus Drittländern ein. Bei Erzeugnissen aus der Aquakultur spielt die inländische Produktion aber eine größere Rolle. In der Aquakulturproduktion nimmt die Bundesrepublik einen mittleren Platz in Europa ein. Karpfen, Forelle und Miesmuscheln sind die wichtigsten Arten. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Fischarten, die in unterschiedlichen Systemen aufgezogen werden. Dazu gehören insbesondere Aale, Welse, Saiblinge und Störe.


Gründe für den Erfolg der Aquakultur

Das ursprünglich in Asien beheimatete System des kleinen Süßwasserteichs zur Produktion von Fischen für die familiäre Versorgung hat sich grundlegend gewandelt und seinen Siegeszug um die Welt schon lange begonnen. Aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts startete die rasante Entwicklung der Aquakultur.

Eine der Voraussetzungen hierfür waren die Wissenschaften, die wie schon in der Landwirtschaft in der Lage waren, die neuen Ideen einiger Pioniere auf eine gesicherte Basis zu stellen. Traditionelle Systeme wurden fortentwickelt und völlig neue entstanden daraus bis hin zu geschlossenen Kreislaufanlagen, in denen das Wasser fortwährend aufbereitet wird und das Milieu für die Zuchtorganismen kontrolliert und gesteuert werden kann. Forschungsarbeiten des Instituts für Fischereiökologie in Ahrensburg legten dazu in den vergangenen Jahrzehnten die Grundlagen, und auch gegenwärtig leisten wir, zum Beispiel mit der Bestimmung von Funktionsparametern zur Auslegung von Biofiltern, einen wichtigen Beitrag. Auch die Erprobung von Arten auf ihre Eignung für diese Produktionsweise wurde am Institut vorgenommen. Durch das geschlossene Kreislaufsystem kann zuverlässig verhindern werden, dass Tiere aus der Anlage entkommen. Nicht-einheimische Arten stellen insofern kein Problem für die Umwelt dar. Dieser Aspekt hat inzwischen seinen Niederschlag in einer EU-Verordnung zur Aquakultur gefunden.

Neuerdings richtet sich das Augenmerk der Öffentlichkeit vor allem auf die Produktion von hochwertigen Nahrungsmitteln, für die Futtermittel aus nachhaltig bewirtschafteten Ressourcen verwendet werden sollen. Gerade die Fisch- und Krebszucht erfordert hohe Anteile von hochwertigen Eiweißen und Fetten im Futter, die in der Vergangenheit in erheblichem Maße durch Fischmehl und Fischöl gedeckt wurden. Diese Grundsubstanzen der Futtermittelerzeugung entstammen allerdings teilweise einer nicht auf dem Nachhaltigkeitsprinzip basierenden Fischerei auf Schwarmfische wie Sardinen, Sardellen, Sandaalen oder Holzmakrelen. Der Lösung dieser Problematik widmet sich die Forschung der Abteilung Aquakultur innerhalb des Instituts für Fischereiökologie in nationaler Kooperation. So ist gerade ein Projekt mit der Universität Kiel angelaufen mit dem Ziel, die Fischmehlkomponente im Futter durch Proteinkonzentrate und -isolate, die aus Rapsmehl gewonnen werden, zu ersetzen. Raps ist besonders interessant, weil er nach allen Prognosen auch langfristig in großem Maßstab angebaut wird.

Bis weit in die 1980er Jahre hinein waren die Aquakulturkongresse geprägt von naturwissenschaftlichen Themen zu Tierphysiologie, -züchtung und -gesundheit oder zu technischen Entwicklungen von Systemen und Ausrüstung. So entstanden völlig neue Produktionsverfahren für Tier- und Pflanzenarten, die vorher nie kultiviert werden konnten, weil das notwendige Wissen fehlte. Weit über 360 Arten als Objekte der Kulturbemühungen des Menschen zählt die FAO heute. Und der Trend, neue Arten in die Kultur zu nehmen, scheint ungebrochen. Es ist noch nicht abzusehen, wann es zu einer Fokussierung auf einige wenige, Erfolg versprechende Arten kommen wird, und ob überhaupt.


Trends

Das Wachstum der globalen Aquakulturproduktion wird sich im Zeitraum bis 2030 vermutlich auf 4,5% pro Jahr verlangsamen, sagen Prognosen voraus. Dennoch müssen dann etwa 30 Mio. Tonnen mehr produziert werden, wenn die jetzige Versorgung der Weltbevölkerung mit 16,7 kg pro Jahr und Kopf gesichert werden soll. Dieser Zuwachs an Produktion wird allerdings nicht zu einer Entlastung der Fischbestände der Meere beitragen. Hier helfen vorrangig eine Verringerung des Fischereiaufwandes und andere, bessere Managementmodelle.

Die Phase des exponentiellen Wachstums der Aquakultur wird zu Ende gehen. Die jetzt begonnene Debatte zur Nachhaltigkeit lenkt das Augenmerk verstärkt auf umweltschonende Produktionsweisen und qualitativ hochwertige Erzeugnisse. Entsprechende Produktionsverfahren basieren auf der Entwicklung von allgemein akzeptierten Standards, deren Respektierung nur durch Aus- und Weiterbildungsprogramme durchgesetzt werden kann. Dazu gehören auch Kontrollen in der Erzeugung und Verarbeitung, die zukünftig immer weiter verstärkt werden. Die EU ist hier schon auf einigen Märkten in entsprechender Weise tätig geworden.

Wasser und Land sind die Voraussetzungen für jede Aquakultur. Beide Ressourcen werden in einigen Regionen knapper. Folglich wird es zu einer Intensivierung der Produktionsverfahren kommen müssen. Zusätzlich wird sich die Produktion stärker in den marinen Bereich verlagern. Doch entlang der Küsten besteht bereits eine Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Interessen wie Industrie, Tourismus oder Schifffahrt, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Aquakultur - ebenso wenig wie die Fischerei - der Gewinner sein wird.

Als Konsequenz daraus werden die Produktionsanlagen offshore gehen. Absenkbare stationäre, verdriftende oder aktiv bewegliche und steuerbare Systeme sind in der Entwicklung und Erprobung. Sie stellen völlig neue Herausforderungen an die betroffene Industrie, zum Beispiel hinsichtlich Überwachung und Versorgung des Tierbestandes im Netzgehege. Aber auch der Gesetzgeber wird bei der Raumplanung, der Durchsetzung von Eigentumsansprüchen oder auch der Haftung im Falle von Schadensereignissen auf die neuen Entwicklungen reagieren müssen.


Johann Heinrich von Thünen-Institut,
Institut für Fischereiökologie,
Prof. Dr. Volker Hilge,
Wulfsdorfer Weg 204, 22926 Ahrensburg,
Prof. Dr. Reinhold Hanel,
Palmaille 9, 22767 Hamburg.
E-Mail: volker.hilge@vti.bund.de


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www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2008, Seite 11-13
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2009