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FORSCHUNG/732: Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 3/2009

Landwirtschaft im Umbruch
Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa sucht weltweit nach neuen Ansätzen im Agrar- und Ernährungssektor

Von Sabine Wygas


Immer mehr, immer schneller, immer besser: Die Anforderungen an die Produktion von Nahrungsgütern nehmen weltweit zu. Die Weltbevölkerung wächst stetig - ebenso die Ansprüche an Menge und Qualität von Lebensmitteln. Hunger soll dauerhaft bekämpft werden, gleichzeitig Biokraftstoff aus Getreide fossile Energieträger ersetzen. Damit der steigende Bedarf an Agrarprodukten auch künftig gedeckt wird und bezahlbar bleibt, bedarf es neuer Wege in der globalen Wirtschaft. Deutsche und internationale Forscher am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) untersuchen vor allem die Entwicklung und Veränderung ländlicher Räume in Staaten Mittel-, Ost- und Südeuropas sowie Zentral- und Ostasiens, um Lösungen zu entwickeln und diese der Politik an die Hand zu geben.


Kasachstan, Polen, die Ukraine oder China bergen ein enormes Entwicklungspotential im Agrarsektor und könnten daher mithelfen, die weltweite Agrarproduktion zu steigern. Doch diese Staaten hinken den Standards westlicher Industrienationen bislang noch weit hinterher. Die in diesen Ländern häufig bestehenden starken Gefälle zwischen produktionsstarken und -schwachen Regionen haben mit den jeweiligen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren sowie umweltpolitischen Aspekten zu tun. "Diese so genannten Transformationsländer stehen an der Schwelle zu Reformen oder führen sie bereits durch - und das entweder auf moderate oder sehr radikale Weise", erläutert Dr. Stephan Brosig, Leiter des IAMO- Forschungsschwerpunkts "Beschäftigung und Lebensverhältnisse". Insbesondere in Mittel- und Osteuropa habe es, so Brosig, nach der Öffnung zum Westen tief greifende Veränderungen in der Agrarwirtschaft gegeben. "Transformationsländer bieten ähnliche Forschungsbedingungen wie im Labor. Auch dort kann man drastische Veränderungen innerhalb kurzer Zeit beobachten." Neben Fehlentwicklungen und positiven Effekten in dem jeweiligen Land können die Forscher ebenso deren globale Auswirkungen untersuchen.

"China ist ein solches Transformationsland, in dem gerade eines der weltweit größten Agrarumweltprogramme läuft", erläutert Dr. Daniel Müller, Leiter des Forschungsschwerpunkts "Strukturwandel und Unternehmenswachstum". Zahlreiche Umweltkatastrophen wie die große Flut am Yangtze 1998 mit ihren verheerenden Folgen haben die chinesische Regierung dazu bewogen, ein riesiges Aufforstungsprogramm zu starten. Knapp 15 Millionen Hektar Ackerfläche und mehr als 17 Millionen Hektar Brachland sollen bis 2010 wieder bewaldet werden. Mit finanziellen Anreizen will die Regierung die Bauern dazu bewegen, hierfür insbesondere Ackerland in Hanglagen stillzulegen. Langfristiges Ziel der Regierung ist eine Umstrukturierung: Die Bauern sollen sich dauerhaft Alternativen zur Landwirtschaft suchen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

"Wir wollen herausfinden, in welchem Ausmaß die Zahlungen der Regierung die Landnutzung der Bauern tatsächlich beeinflussen", sagt Daniel Müller. Globale Folgen sind absehbar: Wenn weniger Flächen bewirtschaftet werden, wirkt sich das auf das Nahrungsangebot und die Weltmarkt-Preise aus. Andererseits vergrößert sich durch die Aufforstung das Angebot an Holzprodukten und verringert deren Preis. Die Forschungsergebnisse sollen Anregungen geben, wie derartige Reformen effizient zum Ziel führen. Man erhofft sich wichtige Erkenntnisse, denn Chinas Aufforstungsprogramm ist ähnlich konzipiert wie EU-Agrarumweltprogramme.


Umbruch über Nacht

Weniger graduell verlief die wirtschaftliche Transformation in Deutschlands unmittelbarer Nachbarschaft: Fast über Nacht hatte Polen die Marktwirtschaft eingeführt und die Märkte liberalisiert. Ein Problem für die zahlreichen landwirtschaftlichen Kleinbetriebe, die bis dahin von der Regierung subventioniert wurden. Die Folge: Viele von ihnen überlebten den Wechsel nicht. "In Polen gab es kaum kollektive Landwirtschaft wie in den anderen ehemaligen Ostblockstaaten, sondern überwiegend bäuerliche Kleinbetriebe, die häufig kleiner als fünf Hektar waren", erläutert PD Dr. Martin Petrick, der den Forschungsschwerpunkt "Politikreformen und institutioneller Wandel" leitet. Polens EU-Beitritt 2004 bescherte der Gemeinschaft zusätzliche 1,4 Millionen dieser Höfe.

Obwohl zu jenem Zeitpunkt etwa 18 Prozent der Bevölkerung Polens im Agrarsektor tätig waren, erwirtschafteten sie nur drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Höhere Einkommen aus der Landwirtschaft sind in erster Linie durch einen beschleunigten Strukturwandel zu erwarten. Martin Petrick: "Einige der Bauern suchen sich eine neue Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft, und es werden Flächen frei, um Betriebe zu vergrößern. Nur diese können moderne Technik in vollem Umfang einsetzen und somit die Arbeitsproduktivität erhöhen." Auch Westdeutschland durchlebte einen solchen Prozess, allerdings über viele Jahrzehnte hinweg. Die Forscher beobachten, dass einige Regionen Polens die Umstrukturierung erfolgreich umsetzten. Neu entstandene Kooperationen vermarkten lokale Produkte als Marke, und Landwirte suchten alternative Einkommensquellen, zum Beispiel im Tourismus. "Nur Gegenden, in denen sich die Menschen sehr gut kennen und wo es eine starke Führungspersönlichkeit gibt, die andere motivieren und organisieren kann, bewältigen diesen Umbruch. Wir können viel von diesen Ländern lernen", betont Martin Petrick.


Nahrung und Sicherheit

Die IAMO-Forscher fassen ihr Forschungsfeld sehr weit: "Agrarentwicklung bedeutet mehr als soziale und wirtschaftspolitische Entwicklung. Exportanalysen gehören genauso dazu wie Verbraucherinteressen und marktwirtschaftliche Beobachtungen", erklärt Stephan Brosig. Die Wissenschaftler führen derzeit eine Langzeitstudie zum Thema Markentreue in Deutschland durch. "Wir wollen herausfinden, ob der Name einer Tiefkühlpizza schon dazu führt, dass der Konsument sie kauft und dann auch dabei bleibt", so Brosig. "Unternehmen könnten die Daten für die Entwicklung gezielter Werbekampagnen nutzen." Interessante Grundlagenforschung über den Marktwert einer Marke, der beim Verkauf einer Firma relevant wird.

"Wir brauchen vor allem dringend innovative Ideen, um den wachsenden Nahrungsmittelbedarf dauerhaft zu decken", sagt Brosig. Die suchen die Forscher auch im Austausch mit internationalen Wissenschaftlern, die sich an den vielen Forschungsprojekten des IAMO beteiligen. Zudem steht das Institut mit politischen Organisationen wie dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in engem Kontakt. Auch im Ausland sind IAMO-Forscher gefragte Ratgeber, zum Beispiel als beratende Experten im bulgarischen Landwirtschaftsministerium oder bei der Ausarbeitung verschiedener Forschungsprogramme der EU.

Stephan Brosig: "Nahrungsmittelknappheit ist auch ein Sicherheitsproblem. Wenn in Ländern Not ausbricht, kommt es zu Aufständen und Unruhen. Das IAMO will mit seiner Forschung einen Beitrag zum internationalen sozialen Ausgleich leisten."


Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO)

Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) widmet sich drängenden wirtschaftlichen und sozialen Fragen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie den ländlichen Räumen. Hauptuntersuchungsregionen sind Mittel-, Ost- und Südeuropa sowie Zentral- und Ostasien.

Gründungsjahr: 1994

Direktorium:
Prof. Dr. Alfons Balmann (Direktor und Leiter der Abteilung Betriebs- und Strukturentwicklung im ländlichen Raum),
PD Dr. Gertrud Buchenrieder (Direktorin und Leiterin der Abteilung Rahmenbedingungen des Agrarsektors und Politikanalyse,
Prof. Dr. Thomas Glauben (Geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Agrarmärkte, Agrarvermarktung und Weltagrarhandel),
Hannelore Zerjeski (Administrative Leiterin)

Mitarbeiter: 109

Gesamtbudget 2009: 4,658 Mio. Euro

Institutionelle Förderung 2009: 3, 858 Mio. Euro

Drittmittel 2009: 0,8 Mio. Euro

Kontakt:
Theodor-Lieser-Straße 2
06120 Halle (Saale)
Tel.: +49(0)3452/928-0
Fax: +49(0)3452/928-499
E-Mail: iamo@iamo.de
www.iamo.de


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 3/2009, Seite 12-13
Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft
Postfach 12 01 69, 53043 Bonn
Telefon: 0228/30 81 52-10, Fax: 0228/30 81 52-55
Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de

Jahresabonnment (4 Hefte): 16 Euro, Einzelheft: 4 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009