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FORSCHUNG/995: Tagesgericht - innovativ und trendig (Leibniz)


Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 3/2015

Tagesgericht: innovativ und trendig


Wie und was wir essen wandelt sich in der zunehmend globalisierten Welt. Waren in den 1950er Jahren italienische Trattorien in weiten Teilen Deutschlands etwas exotisches, scheinen sie heute häufiger zu sein als Restaurants, die traditionell deutsche Küche servieren. Jugoslawisch, griechisch, amerikanisch, türkisch, chinesisch, japanisch, indisch - die Breite des kulinarischen Angebots steigt in dem Maß, in dem die Welt mehr und mehr zum Dorf wird. Aber auch die sich ändernden Ansprüche an die Ernährung mit Blick auf die Gesundheit schlagen sich im Speiseplan nieder. Wo früher hart und körperlich gearbeitet wurde und die verbrannten 3.000 Kalorien erst mal wieder konsumiert werden mussten, sieht die Situation heute ganz anders aus. In einer zunehmend sitzenden Arbeitswelt zählt fast jeder Schritt, der den Stoffwechsel über die reine Lebenserhaltung hinaus aktiviert. Zunehmende Allergien oder Lebensmittelunverträglichkeiten tun ihr übriges dazu.
Die Wissenschaft verursacht, begleitet und entwickelt neue Ernährungstrends, wie diese drei Beispiele von essbaren Insekten, japanischem Edelfleisch und glutenfreiem Bier zeigen.

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Es bewegt sich was auf dem Teller

Ein Lagebericht zur Zukunft von Speiseinsekten

von Karin Lason


"Knack!" - diese Assoziation mag so manchen ereilen, denkt er an das Verspeisen von Insekten. Dass es dabei weit mehr zu bedenken gilt, zeigen wegweisende Forschungsergebnisse aus dem Leibniz-Institut für Agrartechnik.

Die globalen Auswirkungen der schier unaufhörlichen Abholzung des Regenwaldes auch für Weideflächen und den Sojaanbau sind mittlerweile in das öffentliche Bewusstsein vorgedrungen. Neben Soja wird Fischmehl als hochwertige Eiweißquelle genutzt. Gerade wird beides knapp und teuer. Überfischung und der enorme Fleischhunger unserer rasch wachsenden Bevölkerung verursachen derzeit eine weltweite Suche nach alternativen Eiweißquellen.

Eine mögliche Lösung sind Insekten. Speiseinsekten sind prinzipiell eine wertvolle alternative Eiweißquelle, wie eine Übersichtsarbeit der Lebensmitteltechnologen Birgit Rumpold und Oliver Schlüter vom Leibniz-Institut für Agrartechnik in Potsdam-Bornim (ATB) zeigt. Abhängig von der Fütterung lässt sich vermutlich sogar ihr Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren beeinflussen. Studien eines holländischen Kollegen ergaben, dass nur etwa zwei Handvoll Schmetterlingslarven den täglichen Vitaminbedarf eines Menschen decken.


Insekten statt Soja?

Bevor man Insekten jedoch kontrolliert und in großem Umfang züchten kann, ist noch auf einiges zu achten, so die Forscher des ATB. So ist es wichtig, die Qualität der Tiere sicherzustellen, auch hinsichtlich des Schutzes vor möglichen Gesundheitsrisiken beim Verzehr. Menschen mit einer Hausstaubmilben-oder auch Krustentierunverträglichkeit könnten allergisch reagieren. Der allergieauslösende Stoff der Milben, die eigentlich Spinnen sind, und auch der Krebse, Krabben und Garnelen ähnelt dem von Insekten. Denn: Sie alle sind Gliederfüßer.


...und viele Fragen offen

Rechtliche Rahmenbedingungen müssen ebenfalls noch geschaffen werden: "Während man in Belgien Insektenburger im Supermarkt kaufen kann, verhindern es derzeit noch Reglementierungen in Deutschland und Europa, ganze Insekten an Nutztiere zu verfüttern", so Oliver Schlüter.

Und dennoch, es bewegt sich was. Das Thema fasziniert und überzeugt nicht nur aufgrund nachhaltiger Ansätze. Für Furore sorgte ein Bericht der UN-Welternährungsorganisation (FAO) zu künftigen Erfolgsaussichten von Speiseinsekten: Quasi über Nacht wurde die Zusammenfassung zum Thema das meistheruntergeladene Dokument der FAO aller Zeiten.

Auch wenn das ganz große Krabbeln auf dem Speiseplan hierzulande wohl eher ausbleiben wird: Ihr Potenzial als Ergänzung zur menschlichen und tierischen Ernährung ist längst nicht ausgeschöpft.


Insekten-Kochbuch Wer einen Grashüpfer Kebab zu Hause zubereiten will, findet im Kochbuch "The Insect Cookbook - Food for a Sustainable Planet" das Rezept dazu.
http://cup.columbia.edu/book/the-insect-cookbook/9780231166843.

Der FAO-Bericht zu Speiseinsekten:
Edible insects: future prospects for food and feed security", Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), Rom, 2013:
http://www.fao.org/docrep/018/i3253e/i3253e00.htm

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In gebotener Reinheit

Freisinger Lebensmittelchemiker haben das erste echte glutenfreie Bier entwickelt. Allein die Brauereien zögern noch.

von Christoph Herbort-von Loeper


Wenn doch bloß die vermaledeite Sache mit dem Schaum nicht wäre. "In England wäre das kein Problem, aber die Deutschen legen beim Bier eben einen besonderen Wert auf eine lange haltbare Blume", sagt Peter Köhler mit einem Augenzwinkern, aber nicht ohne ernsten Hintergrund. Der Lebensmittelchemiker hat etwas entwickelt, was es bislang in Deutschland nicht gibt: glutenfreies Bier.


Brauen ohne Zusatzstoffe

Alles, was bislang auf dem Markt ist, entspricht nicht dem Deutschen Reinheitsgebot, da entweder bei der Herstellung Enzyme beigemischt werden, die Gluten binden, so dass es ausgefiltert werden kann; oder es werden von vorneherein glutenfreie Getreide wie etwa Hirse verwendet. Beides entspricht letztlich nicht den Vorschriften des "Vorläufigen Biergesetzes", darf folglich hierzulande nicht als Bier bezeichnet werden und firmiert daher meistens als "Bräu".

An der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie (DFA) in Freising hat Peter Köhler einen Weg gefunden, wie er Bier aus Gerstenmalz ohne Zusatzstoffe brauen kann. Dazu braucht er einen zusätzlichen Arbeitsschritt. Zunächst läuft alles ganz normal: Schroten, Maischen, Läutern, Kochen der Bierwürze. Bevor dann aber durch Zugabe der Hefe der Gärungsprozess in Gang gesetzt wird, kommt ein Extrakt aus Spezialmalz zum Einsatz. Dieser wird aus gekeimter Gerste hergestellt, die besondere Enzyme entwickelt, die Gluten abbauen. Genau das tut der Malzextrakt in der Bierwürze und sorgt dafür, dass binnen eines Tages der Glutengehalt soweit sinkt, dass das Bier gemäß der entsprechenden Grenzwerte als glutenfrei gilt. Im Anschluss geht der Brauprozess dann wieder ganz normal weiter: Gären, Abfüllen, Lagern und Trinken.


Leider noch keine Abnehmer

"Leider ist die Industrie noch nicht auf unsere Ergebnisse angesprungen", gibt Peter Köhler zu, obwohl der Forschungskreis der Ernährungsindustrie das Projekt finanziert hat und sowohl Brauereien als auch Mälzereien im Projektausschuss saßen. Peter Köhler hat mit vielen gesprochen, aber die Brauereien halten sein glutenfreies Bier für ein Nischenprodukt. Dabei ist nicht nur der Schaum das Problem, sondern die Tatsache, dass das Bier vermutlich etwa zehn Prozent teurer in der Herstellung wäre. Dabei sind glutenfreie Lebensmittel in der Regel um einiges teurer als die konventionellen Vergleichsprodukte und ein gewisses Marktpotenzial ist bei 500.000 Zöliakie-Betroffenen in Deutschland bei einem gleichzeitigen jährlichen Bierkonsum von zuletzt 107 Litern pro Person durchaus denkbar. Rein statistisch ergibt sich daraus die Jahresproduktion von fast acht durchschnittlichen deutschen Brauereien.


Geschmack wie "normales" Bier

Aber Peter Köhler gibt die Hoffnung nicht auf, schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass die Wissenschaft mit einer neuen Entwicklung dem Markt voraus ist. Nicht zuletzt, weil das glutenfreie Bier in einer Test-Verkostung nach den Standards der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) geschmacklich keine Unterschiede zu "normalem" Bier zeigte, während etwa Hirsebiere im Urteil der Geschmackstester deutlich abfielen. Peter Köhler setzt jetzt auf Mälzereien, die den Brauereien Malzextrakt als Rohstoff zuliefert. Gerade in Zeiten, in denen zunehmend neue Biertrends wie Craft-Biere in Deutschland Fuß fassen, könnte ja eine kleine Mälzerei die entscheidende Zutat für das erste echte glutenfreie Bier als innovatives Produkt anbieten.

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Teure Steaks ohne Reue

Japanisches Edelfleisch soll neue Erkenntnisse über Fettsucht bringen

von Christoph Herbort-von Loeper


420 Euro verlangt ein Delikatessen-Onlineshop für ein Kilo Filet vom Wagyu-Rind. Ein Edel-Restaurant in Berlin-Mitte hat das Filet für 99 Euro auf der Karte - pro 100 Gramm. Um das auch unter seiner regionalen Herkunftsbezeichnung Kobe bekannte Fleisch aus Japan ranken sich wahre Legenden: tägliche Bier- oder Reisweinmassagen und die Beschallung mit klassischer Musik ließen die Tiere das extrem fein marmorierte Fleisch entwickeln, heißt es. Absolutes Luxus-Segment also und nichts, mit dem sich ein öffentlich finanzierter Agrarforscher beschäftigen würde, wenn er nicht kritische Fragen zur Verwendung von Steuergeldern für kulinarische Dekadenz riskieren wollte.

Und dennoch: Steffen Maak vom Leibniz-Institut für Nutztierbiologie forscht auch an Wagyu-Rindern, denn dass, was ihr Fleisch so besonders macht - die hohe Fetteinlagerung im Muskelgewebe - hat sehr wohl Bedeutung für die Landwirtschaft und sogar für die Gesundheitsforschung.

"Wir interessieren uns für Wagyu-Rinder als Modell für eine extrem hohe Fetteinlagerung", erläutert Steffen Maak. Japanische Wagyu erreichen bis zu 40 Prozent Fettanteil im Rückenmuskel. Bei deutschen Rindern sind es in der Regel gerade mal fünf Prozent. Das liegt zunächst an einer unterschiedlichen Zuchtgeschichte. Während in Deutschland über Jahrzehnte auf möglichst fettarmes Fleisch gezüchtet wurde, war das in Japan beim Wagyu nicht der Fall. Die Dummerstorfer Forscher stellten sich zunächst die Frage, wie groß die genetischen Unterschiede zwischen europäischen und japanischen Rindern sind. Erstaunlich gering, stellten sie jetzt fest. Eine genetische Besonderheit zeichnet Wagyu-Fleisch aber aus: Es hat einen hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren und wird deshalb auch als besonders "gesund" vermarktet. In Deutschland gezüchtete Wagyu bringen es eher auf einen Fettanteil von zehn bis 15 Prozent. "Da Fett Geschmacksträger ist und dem Wagyu dadurch einen besonders intensiven Rindfleischgeschmack verleiht, könnte das für den Delikatessen-Markt durchaus interessant sein", sagt Steffen Maak. Aber: "Fleisch mit 40 Prozent Fett entspricht einfach nicht unserem europäischen Geschmacksempfinden", sagt der Agrarwissenschaftler.


Bis zu 40 Prozent Fettanteil

Seit einigen Jahren kooperieren die Wissenschaftler aus Mecklenburg mit dem noch jungen Wagyu-Zuchtverband. Die Wissenschaftler bekommen von den Züchtern Proben und Daten und beraten die Landwirte im Gegenzug unter anderem in Fragen der Genetik. Denn eine professionelle Zucht steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen - auch quantitativ. Während in Deutschland jährlich etwa 3,5 Millionen Rinder geschlachtet werden, beläuft sich diese Zahl bei den Wagyu auf wenige hundert, schätzt Steffen Maak.

Das Interesse an den Rindern aus Fernost beschränkt sich aber nicht nur auf ihre Rolle als Nahrungsmittel. In einem gemeinsamen Projekt mit Medizinern sind Wagyu ein Beispielorganismus für die Erforschung von extremem Übergewicht (Adipositas), die sich unter anderem als Auslöser von Diabetes zu einem zunehmenden Problem entwickelt. Deshalb koordiniert Steffen Maak auch ein über den Leibniz-Wettbewerb gefördertes Projekt, das die Rolle von Hormonen und anderen Botenstoffen bei der Fetteinlagerung ins Muskelgewebe untersucht. Forscher, die zu Muskeln von Nutztieren, Nagetieren und Menschen arbeiten, wollen speziesübergreifend besser verstehen, wie die Wechselwirkungen zwischen Muskel und Fett ablaufen. Dadurch - so hoffen sie - könnten sich Impulse sowohl für die Verbesserung der Fleischqualität beim Nutztier als auch für die Ansatzpunkte bei der Therapie von Adipositas und Diabetes ergeben.

Besseres Fleisch ohne gesundheitliche Bedenken essen; wie oft steht denn dann Wagyu bei Steffen Maak auf dem Speiseplan? Probiert habe er es natürlich schon mal, sagt er, und es schmecke auch sehr gut. Allerdings: "Bei den aufgerufenen Preisen wird Wagyu-Fleisch doch wohl eher ein Luxusgut als ein regelmäßiger Ernährungsbestandteil bleiben."

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Quelle:
Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 3/2015, Seite 26-29
Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Matthias Kleiner
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2015

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