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GENTECHNIK/537: Präzise ist nicht sicher (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Präzise ist nicht sicher
Über die neuen und alten Gefahren der Gentechnik

Von Annemarie Volling, AbL-gentechnikfreie Regionen und Eva Gelinsky, IG-Saatgut


Das wohl populärste neuartige Gentechnikverfahren nennt sich CRISPR-Cas. Von manchen Wissenschaftlern wird es derzeit als "echte Revolution" bezeichnet, auch weil es andere neuartige Gentechnikverfahren, die in den letzten Jahren entwickelt worden sind, überholt haben soll. Das Faszinierende seien die "Präzision", die "Einfachheit", aber auch die Kostengünstigkeit dieses so genannten "Genome-Editing"-Verfahrens.

Aber was unterscheidet diese neuen Gentechnikverfahren von den alten? Müssen sie der EU-Gentechnikregulierung (Risikobewertung, Zulassungsverfahren, Kennzeichnung, Nulltoleranz etc.) unterliegen oder nicht?

Alte Gentechnik

Bei aktuellen auf dem Markt und im Zulassungsverfahren befindlichen Gentechnikpflanzen wurde ein Genomkonstrukt mit der gewünschten Eigenschaft sowie weiteren Funktionsgenen (Promotoren, Marker etc.) in den Zellkern der zu verändernden Pflanze gebracht. Die klassischen Verfahren funktionieren mit "Partikelbeschuss" oder mit Hilfe des Agrobacterium tumefaciens. Der Einbau der Genkonstrukte erfolgt zufällig und nicht vorhersagbar. Entsprechend können unbeabsichtigte und nicht steuerbare Veränderungen in der Pflanze auftreten. Als die ersten Produkte auf den Markt kamen, hat sich Europa für eine Gentechnikregulierung entschieden, die mögliche Risiken des Verfahrens frühzeitig identifizieren und bewerten soll. Die GV-Pflanzen müssen ein Zulassungsverfahren durchlaufen, rückverfolgbar sein und gekennzeichnet werden; Solange sie keine Zulassung haben, gilt die Nulltoleranz. So können diese Produkte, sollte sich herausstellen, dass eine Gefahr für Gesundheit oder Umwelt besteht (theoretisch) wieder vom Markt genommen werden. Damit hat das Vorsorgeprinzip eine starke Verankerung in der europäischen Gentechnikregulierung bekommen.

Neue Gentechnik

Die neuartigen Gentechnikverfahren werden auch als "Genom-Editing"-Verfahren (Genom-Bearbeitungsverfahren) bezeichnet. Sie nutzen unterschiedliche Techniken, um direkt auf molekularer Ebene in die DNA oder die Genregulation einzugreifen. Beispielsweise können Enzyme als "Gen-Scheren" das Erbgut an spezifischen Stellen aufschneiden. Künstliche Genabschnitte können kreiert, arteigene und artfremde nachgebaut und integriert werden. Gene und Genfunktionen können ausgeschaltet, Gene umgeschrieben werden. Mit derartigen Methoden verändert sich die Eingriffstiefe, da nicht mehr DNA aus Lebewesen isoliert werden muss, um Gensequenzen zu übertragen. Vielmehr wird auf der Ebene der Bausteine der Gene (einzelne Nukleinsäuren bis hin zu Methylgruppen) agiert. Die neuen Methoden erlauben damit eine weit reichende Veränderung des Erbgutes und der Genregulation. Es können auch unterschiedliche Methoden kombiniert oder Verfahren mehrfach nacheinander angewendet werden. Erprobt wird die Technik bei Pflanzen, Tieren, Insekten und in der Humanmedizin. Züchtungsziele sind v. a. Krankheits- und Schädlingsresistenzen sowie Herbizidresistenzen. Geforscht wird aber auch an Glutenfreiheit, Ligninreduktion, Trockenheitsresistenzen etc. Was davon die Marktreife erlangt, ist offen.

Präzise ist nicht sicher

Die vermeintliche Zielsicherheit des CRISPR-Cas stellt beispielsweise Toni Cathomen von der Universität Freiburg in Frage. Es könnten fehlerhafte Schnitte auftreten, denn CRISPR-Cas schneidet die DNA auch an Stellen, die die Forscher so nicht vorausgesehen haben. Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut berichtet, dass häufig Nicht-Ziel-Effekte auftreten. Gene könnten verändert werden, die gar nicht verändert werden sollen. Gene werden unter Umständen in Clustern abgelesen, welche Eigenschaften dann genau betroffen sind, sei schwer vorhersagbar.

Heftige Diskussionen gibt es auch darüber, wie das Risiko zu bewerten ist. Soll davon ausgegangen werden, dass bestimmte Techniken risikoärmer sind, wie es Prof. Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), sieht, und deshalb nicht der "strengen", aufwendigen und teuren Risikobewertung des EU-Zulassungssystems unterzogen werden müssen? Oder muss man, gerade weil die Techniken noch neu sind, genau hingucken? Die Wissenschaftlerin Ricarda Steinbrecher kommt zu dem Schluss, dass die neuen Gentechnikverfahren zum Teil neue und ganz eigene Risiken und Unsicherheiten bergen. Die Verfahren veränderten die DNA. Inwiefern sie das Zusammenwirken mit anderen Genen oder aber Prozessen innerhalb der Zelle beeinflussen, sei weitgehend unbekannt. Unbeabsichtigte Änderungen findet man nur, wenn man auch danach sucht. Mehr Präzision ist also keinesfalls gleichzusetzen mit mehr Sicherheit. Sondern gerade die neuen Gentechniken müssen der EU-Gentechnikregulierung unterzogen werden und einer konsequenten und zu verbessernden Risikobeurteilung, die auch die neuartigen Risiken in Betracht zieht.

Prozess- statt Produktbewertung

Ein weiteres Argument ist, dass die Veränderung im Endprodukt nicht mehr nachweisbar sei, denn sie hätte auch durch natürliche Mutation erfolgen können. Deshalb fordern manche Wissenschaftler, man solle maximal die Produkteigenschaften bewerten - nicht den Herstellungsprozess. Richtig ist, dass man mit den aktuellen PCR-Methoden die neuartigen Veränderungen nicht feststellen kann. Allerdings schreibt die EU-Gentechnik-Regulierung vor, dass GVOs rückverfolgbar und damit nachweisbar sein müssen. Die Risikodiskussion zeigt, dass die Risiken sehr unterschiedlich sein können und durch die einzelnen Techniken ausgelöst werden. Deshalb bedarf es weiterhin einer Prozessbewertung.

Demokratisch?

Oft werden die Methoden auch als "demokratisch" dargestellt, weil sie technisch extrem einfach anzuwenden und im Gegensatz zum monopolisierten Einsatz der alten Gentechnik von tausenden Laboren nutzbar seien. Die "Target"-DNA sei einfach bestellbar. Das ist ein verführerisches Argument und richtet sich v. a. gegen die Konzernkritik bei der klassischen Gentechnik. Aber natürlich braucht es Knowhow und Ressourcen, um die Technik tatsächlich anzuwenden und Ergebnisse zu erzielen. Bislang wird die Technik im Grundlagenforschungsbereich eingesetzt. Aus den Laborversuchen tatsächlich vermarktungsfähige Pflanzen zu machen ist noch immer ein weiter Weg. Gerade weil die Technik einfach zugänglich ist, sollten Regelungen eingeführt werden, um einen Missbrauch zu verhindern. Demokratie ist auch eine Frage, wer Zugang zu dem Saatgut hat und für welche Regionen und ackerbaulichen Systeme es entwickelt wird. Die Frage ist auch, wessen genetische Ressourcen verändert werden, wenn die neuartigen Organismen einfach freigesetzt werden und ins regionale Saatgut oder die Ursprungsarten auskreuzen. Und: Nur eine Kennzeichnung erlaubt es Züchtern, Bauern und Verbrauchern selbst zu entscheiden, mit welchem Saatgut sie arbeiten und was wir essen wollen.

Auch ein Blick auf die angemeldeten Patente zeigt, wer hofft, mit den neuen Techniken Geld machen zu können. Hier dominieren bislang die bekannten großen Gentechnikkonzerne wie Du-Pont, Bayer, BASF, Monsanto oder kooperierende Firmen. Patentstreitigkeiten wie aktuell bei CRISPR (wer hat es als erster erfunden) sind vorprogrammiert. Patente am Markt durchzusetzen und zu verteidigen erfordert Ressourcen und Patentanwälte. Patente bremsen den züchterischen Fortschritt, da Zuchtmaterial nur eingeschränkt verwendet werden darf. Lizenzgebühren verteuern das Saatgut, der Nachbau ist verboten.

Die Debatte zeigt, dass die Techniken zwar neuartig sind, den Verbrauchern und Bauern aber ähnliche Argumente und Versprechen dargelegt werden wie vor 20 Jahren. Vor allem ist wie bei der alten Gentechnik der Technologieglaube zu hinterfragen, der bislang eher den Konzernen Profite verschaffte als den Bauern und auch für die Verbraucher keinen Mehrwert brachte. In jedem Fall sind die Techniken aus wissenschaftlicher, aber auch aus Verbraucherschutzsicht einer klaren Regulierung, strengen Risikobewertung und Kennzeichnung zu unterziehen und dürfen nicht einfach freigesetzt werden.


CRISPR-CAS

Das CRISPR-Cas-System arbeitet mit zwei Komponenten: einer "Zielvorrichtung" und einer "Schere? Das "Navigationssystem" (CRISPR) besteht aus einer RNA-Sequenz, die der Gentechniker konstruiert. Sie passt genau zu dem jeweiligen Bereich im Genom, der verändert werden soll und dockt dort an. Das Cas-9-Protein schneidet dann an der Stelle die DNA auf. Nach erfolgtem Schnitt der DNA werden zelleigene Reparatursysteme in Gang gesetzt, die den aufgetrennten Strang wieder zusammenfügen. Bei CRlSPR-Cas können DNA-Abschnitte an der Schnittstelle entfernt oder verändert werden. Es können auch kleinere oder größere Gensequenzen eingebaut werden. Ähnlich arbeiten auch andere Genom-Editing-Verfahren wie Zink-Finger-Nuklease (ZFN), TALENs und Meganukleasen. Im Detail unterschiedlich beruht ihr Mechanismus auf dem Einsatz von Nukleasen, die programmiert sind, um bestimmte DNA-Ziel-Sequenzen zu finden, den DNA-Strang zu durchschneiden und dadurch einen Reparaturmechanismus auszulösen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016, S. 16 - 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2016

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