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HUNGER/244: Agrarland als Spekulationsobjekt - Investitionsboom befeuert Hunger (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Januar 2011

Ernährung: Agrarland als Spekulationsobjekt - Investitionsboom befeuert Hunger

Von Stephen Leahy


Uxbridge, Kanada, 14. Januar (IPS) - In Zeiten unsicherer Finanzmärkte setzten viele Investoren auf Agrarland. Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind Goldesel, nicht nur für große Agrarkonzerne, sondern auch für private und staatliche Anleger. Auf der anderen Seite stehen weltweit Millionen Hungernde - 70 Prozent von ihnen kleine Bauern. Hätten sie Zugang zu Krediten, Märkten und Land, wäre ihre Ernährung gesichert.

"Agrarland ist das neue Gold der Investoren", sagt Lester Brown, Gründer des 'Earth Policy Institute' in Washington. So wie die Märkte strukturiert seien, zögen sie die Anleger magisch an. Die Geschäfte seien nicht mehr zu kontrollieren. Zudem seien viele Staaten seit der Ernährungskrise des Jahres 2008 dazu übergegangen, Agrarland aufzukaufen und Exporte zu verbieten.

Seit der letzten Ernährungskrise, die mit Rekordpreisen für Grundnahrungsmittel den Hunger in die Höhe trieb, sind die Preise weiter gestiegen. 2010 kletterten die Weizenpreise um 47 Prozent, die Maispreise in den USA um mehr als 50 Prozent und die Sojapreise um 34 Prozent. Firmen wie das US-Unternehmen 'Cargill', der weltgrößte Agrarkonzern, konnte seine Gewinne zuletzt verdreifachen. In den Monaten September bis November 2010 generierte der Marktführer 1,49 Milliarden US-Dollar.


Eine Frage der Verteilung

Derweil lässt sich der Hunger nicht besiegen. Erst wenige Tage alt sind die letzten Hungerrevolten in Nahost und Südasien. Auch das Grundproblem hat sich gehalten. "Hunger ist nicht etwa eine Folge von Produktionsengpässen, sondern eine Frage der Verteilung", betont Anuradha Mittal vom 'Oakland Institute', einer US-amerikanischen Denkfabrik, die sich mit sozialen, ökonomischen und ökologischen Themen befasst. Schon 2008 habe trotz Rekordernte bei Weizen eine Milliarde Menschen gehungert.

Auch Mittal beschreibt den Agrarmarkt als System, das in erster Linie Gewinne produziert, nicht aber Menschen ernährt. Es gebe keine ernstzunehmenden Überlegungen zur Regulierung des Handels und Ernährungssicherung. Stattdessen drängten die Weltbank, die Welthandelsorganisation (WTO) und andere multilaterale Organisationen auf Produktionssteigerungen und Handelsliberalisierung. Dieses Rezept habe schon Afrika die Ernährungssicherheit genommen. En gros exportiere der Kontinent Baumwolle, Kaffee und Schnittblumen, während die Menschen hungerten.


Fiasko Landraub

Derweil breite sich der Landraub aus, kritisieren Mittal und andere Beobachter. Verschuldeten Staaten würden auf den ersten Blick beachtliche Summen für langfristige Pachtverträge angeboten. Allein nach Afrika sind laut der Nichtregierungsorganisation GRAIN, die sich für kleine Bauern einsetzt, auf diese Weise seit 2008 über 100 Milliarden Dollar geflossen, während in den Ländern des Nordens große Flächen für die Biotreibstoffproduktion genutzt würden. In den USA zum Beispiel geht 30 Prozent der Maisernte in der Ethanolherstellung auf.

Wie Davlin Kuyek von GRAIN in einem Gespräch mit IPS berichtet, haben Investoren aus Saudi-Arabien viele Hunderttausend Hektar Land in Äthiopien, Mali, dem Senegal und anderen afrikanischen Staaten gepachtet. Auch verfügt China über 2,1 Millionen Hektar in Südostasien, ähnlich operiert Südkorea. Schlagzeilen machte der südkoreanische Konzern 'Daewoo', der 2008 ein Drittel des Agrarlandes auf Madagaskar aufkaufen wollte. Massive Proteste und letztendlich der Sturz der Regierung waren die Folge.

Auch der US-Landwirt Howard Buffett, der Sohn des Milliardärs Warren Buffett, gehört zu den Kritikern dieses Systems. Ihm selbst hätten afrikanische Regierungen Land zur Pacht angeboten: mit einem Nutzungsrecht für fast 100 Jahre, einer vierjährigen Zahlungspause und enormen weiteren finanziellen Anreizen. Bisweilen betrage die Pacht nicht mehr als einen Dollar pro Hektar - Konditionen, die allerdings nur Bietern wie ihm eingeräumt würden. Kein einheimischer Bauer würde so hofiert.

Das Letzte, was Afrika benötige, seien "ausländische Investoren, die afrikanisches Land für den Export bestellen und die lokale Bevölkerung übervorteilen". Ihre Geschäfte schürten Konflikte um Land und Wasser. "Landraub ist in jeder Hinsicht falsch - moralisch und sozial", meint auch Kuyek von GRAIN. (Ende/IPS/hn/2011)


Links:
http://www.earth-policy.org
http://www.oaklandinstitute.org
http://www.grain.org/front
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=54119

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2011