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INTERNATIONAL/013: Palästina - Landwirtschaft unter Besatzung (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 344 - Mai 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Landwirtschaft unter Besatzung
Palästinensische Bauern sind vielfältigen Repressionen der Besatzer ausgesetzt und werden zum Spielball zwischen den Konfliktparteien

Von Julia Bar-Tal


Während die Zeit der Frühjahresbestellung in Deutschland immer näher rückt, ist sie in Palästina schon voll im Gange und mit ihr alle Gefahren und Hindernisse, denen palästinensische Landwirte bei ihrer Arbeit begegnen.

Ich bin Auszubildende in der Landwirtschaft und mache parallel dazu die freie Ausbildung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft von Demeter. Seit neun Jahren fahre ich regelmäßig in die besetzten palästinensischen Gebiete und arbeite hier ehrenamtlich mit der Bewegung des gewaltfreien Widerstands der palästinensischen Bevölkerung gegen die Besatzung und ihre fatalen Auswirkungen für Menschen, Land, Umwelt und auch Tiere.

Unsere Arbeit hier umfasst annähernd alle Bereiche des täglichen Lebens, denn die Besatzung dringt in alles ein, was das Leben ausmacht. Bei Militärinvasionen begleiten wir Ambulanzen und versuchen zu verhindern, dass sie angegriffen werden. Wir leben mit Familien, deren Häuser von Zerstörung durch die Besatzungsmacht bedroht sind. Wir verweilen in Dörfern, in denen die Menschen Angriffen durch rechtsradikale Siedlern oder die Armee ausgesetzt sind. Wir begleiten Kinder in die Schule auf Wegen, bei denen sie sonst Gewalt und Erniedrigungen alleine ausgesetzt sind. Wir versuchen, die Ausgangssperren da zu brechen, wo es die palästinensische Bevölkerung alleine nicht vermag - im Gegensatz zu uns genießt sie nicht das Privileg gewisser Grundrechte und muss im schlimmsten Fall mit dem Tod rechnen, wenn sie sich mit den Methoden des zivilen Ungehorsams widersetzt.


Besetztes Land

Israel besetzt die palästinensischen Gebiete und somit alles, was das Leben derer, die unter der am längsten andauernden Besatzung der Welt überleben, ausmacht. Ich habe überlegt, wie ich die Besatzung beschreiben kann, wie sie in jeden Moment des Alltags eindringt, wie sie das Tun, das Denken und das Fühlen in den Gebieten durchwebt und erstickt. Im Verlauf von Jahrzehnten hat sich die Besatzung zu einem System immer größerer Komplexität entwickelt, zu einer alles durchdringenden "Matrix der Kontrolle", wie es der israelische Anthropologe und Aktivist Jeff Halper formuliert. Hier möchte ich als werdende Landwirtin explizit auf die Situation der Landwirtschaft unter Besatzung eingehen. Palästinensische Bauern sind durch die israelische Besatzung existenziell bedroht. Ihr Land wird für den Ausbau der nach internationalem Recht illegalen Siedlungen enteignet oder der Zugang durch Mauern, Checkpoints und "Pufferzonen" unmöglich gemacht.


Bulldozer und Militär

Ich möchte von dem Dorf Khirbet Tana berichten, welches durch das israelische Militär am 2. März diesen Jahres komplett zerstört wurde. Als wir, internationale AktivistInnen, davon hörten, waren die Bulldozer bereits abgerückt. Zurück blieben mehr als 250 obdachlose Menschen, meist Hirten, mit ihren herumirrenden Schaf- und Ziegenherden und den Resten zerstörter Wassertanks und armseliger Hütten. Khirbet Tana befindet sich im Jordantal, das sich über 2.400 km² erstreckt und die gesamte Nord-Süd-Ausdehnung des Westjordanlands an der Grenze zu Jordanien einnimmt. Mit seinem warmen Klima, den beträchtlichen Grundwasserreserven und der reichhaltigen Erde ist es eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Gebiete Palästinas. Die Jahrhunderte alten Traditionen kleinbäuerlicher Methoden spielen hier bis heute eine wichtige Rolle.


Das fruchtbare Tal

Im Jordantal sind die meisten palästinensischen Schäfer und Bauern beheimatet, der höchste Prozentsatz des landwirtschaftlichen Tierbestands lebt von und im Jordantal. Ohne die israelische Besatzung wäre man in der Lage, im Jordantal einen großen Teil der Nahrung für die gesamte palästinensische Bevölkerung zu produzieren. Hier werden 60 Prozent des Gemüses, 40 Prozent der Zitrusfrüchte und 100 Prozent der in Palästina konsumierten Datteln und Bananen produziert. Dieser landwirtschaftliche Erfolg liegt darin begründet, dass das Tal dank seiner einmaligen Lage unterhalb des Meeresspiegels die Bedingungen eines großen Gewächshauses bietet, in dem Getreide und Früchte auch im Winter reifen.

Jedoch verhindert Israel den Ausbau und Erhalt dieser Möglichkeiten, die implementierte Politik, die jegliche landwirtschaftliche Aktivität zerstört, führt dazu, dass eine immer größere Zahl von PalästinenserInnen in den Landwirtschaften der israelischen Siedlungen arbeiten. Die PalästinenserInnen werden dadurch zu Billiglohnarbeitern der Siedler, ohne dafür soziale, medizinische oder gewerkschaftliche Rechte zu erhalten. Vermarktet werden die Produkte der Siedlungen über verschiedene Firmen und Konzerne. Agrexco ist der größte dieser israelischen Vermarkter. Agrexco kontrolliert 70 Prozent aller israelischen Frische-Exporte aus Israel, der größte Teil davon wird im Jordantal produziert. 50 Prozent der Firma, die unter den Markennamen Carmel, Jaffa und Coral und Bio-Top auch in Deutschland vermarktet, gehören dem israelischen Staat. Ich frage mich, ob mein Bericht so auswegslos erscheint, dass er mit dem Gefühl der Ohnmacht beiseite gelegt oder verdrängt wird. Doch auch in den besetzten Gebieten geben die Bauern und Bäuerinnen keineswegs auf. Die internationale Bauernbewegung Via Campesina und zahllose andere soziale Bewegungen unterstützen seit Jahren den Kampf der palästinensischen Bauern für ihre Rechte.


Bauern organisieren sich

Wie die ABL ist auch die "Union of Agricultural Work Committees" (Vereinigung der Palästinensischen Landwirtschaftlichen Komitees) Mitglied bei Via Campesina. Die UAWC ist eine Organisation, die palästinensischen Landwirten hilft, Projekte wie die Rekultivierung von Land, das Erlernen von Vermarktungsmöglichkeiten, die Umstellung auf Bioprodukte und ihre Lizenzierung umzusetzen, die sich aber auch aktiv an der politischen Bildung der Bevölkerung im Kampf gegen GMO in der palästinensischen Landwirtschaft beteiligt. Stolz berichtet mir ein Mitarbeiter, wie sie den schlechten Standard des palästinensischen Olivenöls auf dem internationalen Markt in ihrem Anbauverband so weit verbessert hätten, dass sie nun fünf Jahre in Folge den 1. Preis des "Golden Oil" Wettbewerbs für dieses ehemals so minderwertige Produkt erzielen konnten. Nun hätten sie ein Fairtrade-Produkt, mit dem sie sich auf dem internationalen Markt zeigen könnten. Mit einem ihrer Tierärzte besuchte ich die Gegend um Tamun im Jordantal, erfuhr mehr über die erfolgreiche Einkreuzung des Ostfriesischen Milchschafs mit der lokalen Rasse, den "Awassi". Der Rat mancher ausländischer Hilfsorganisationen, die lokale Kuhrasse gänzlich durch die Holsteiner Kuh zu ersetzen, ist dagegen wohl eher nicht so nützlich. Die kleinen heimischen Kühe bringen zwar weniger Milch, sind aber um einiges robuster, und das knappere Futterangebot wird ihnen eher gerecht. Zur Gemeinde von Tamun gehören um die 22.000 ha, jedoch hat auch hier die Besatzung 60 Prozent des Landes genommen. Das Ende des zugänglichen Landes ist mit einem kilometerlangen Graben und Erdwall gekennzeichnet: "Wer darüber geht wird erschossen." Diesen Satz habe ich so oft gehört. Dahinter erstrecken sich weiter die Felder Tamuns, riesige Gewächshäuser und die dazugehörende nächste israelische Siedlung. Überall wurde ich erstaunt nach unseren guten Ausbildungsmöglichkeiten gefragt. Zwar gibt es in Palästina auch die Möglichkeit, Agrarwissenschaften zu studieren, allerdings bleibt der Besuch einer Hochschule für die meisten der Bauernfamilien ein unerreichbarer Traum. Eine gut fundierte Lehre, wie in Deutschland, gibt es nicht, obwohl das Bedürfnis groß ist: "Könnt ihr nicht mit uns solch eine Ausbildung für junge Bauern und Bäuerinnen aufbauen?"


Quellen für Zahlen und Statistiken: Maan Developement Center

Kontakt und Information: farmingsolidarity@yahoo.de


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 344 - Mai 2011, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2011