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INTERNATIONAL/058: Eine Liga für Nomadenvölker (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 02/2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Eine Liga für Nomadenvölker

von Sabine Poth



Die Liga für Hirtenvölker und nachhaltige Viehwirtschaft e.V. ist eine gemeinnützige Organisation, die sich ausgehend von einer Gruppe engagierter Tierärztinnen seit 1992 für eine ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltige Nutztierhaltung einsetzt. Sie unterstützt Hirten und Kleinbauern, vor allem in Entwicklungsländern, die mit ihrer traditionellen Tierhaltung für die Ernährungssicherung und den Erhalt der Biodiversität sorgen. Dabei geht es den Ligamitgliedern nicht um ein sentimentales Festhalten an Idealen eines archaischen Nomadentums. Vielmehr gehen sie davon aus - und können dies durch zahlreiche Studien belegen - dass mobile Tierhaltung gerade in Trockenzonen von entscheidender ökonomischer und ökologischer Bedeutung ist. Viehzüchtende Nomadenvölker sind seit Generationen erfahren in der nachhaltigen Nutzung von Trockenzonen, doch die Bedeutung ihrer Tätigkeit wird bis heute von der internationalen Politik unterschätzt.

Nomadische Tierhalter und ihre Nutztierrassen, die optimal an Klima und Vegetation ihrer Standorte angepasst sind, sind weltweit in ihrer Existenz bedroht. Gerade die angepassten traditionellen Tierrassen bieten den Menschen die Möglichkeit, auch in karger Natur einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Die rassespezifischen "Fitnesseigenschaften" der Tiere ermöglichen beispielsweise dem indischen Ghumsari-Rind, auch auf trockener Magerweide Milch zu produzieren. Das Red Massai-Schaf in Kenia kann ohne Medikamente gegen den Befall von Würmern auskommen. Die nomadische Tierhaltung schont natürliche Ressourcen wie Bodenfruchtbarkeit und Grundwasser, da sich die Vegetation nach kurzen Beweidungszeiten durch lange Ruhepausen wieder regenerieren kann. Die extensive Weidehaltung unterstützt außerdem die für die CO2-Bindung wichtige Humusbildung und erhält die pflanzliche und tierische Biodiversität in den beweideten Arealen.

Doch seit einiger Zeit gerät die leistungsorientierte und industriell geprägte Tierhaltung immer mehr zum Vorbild für die Bauern in Entwicklungs- und Schwellenländern. Mit dem Import von Hochleistungsrassen hoffen sie, vor allem bei der Milch- und Fleischproduktion ähnlich spektakuläre Leistungsergebnisse wie in Industrieländern erzielen zu können. Übersehen wird, dass die Haltung von Hochleistungsrassen viel Energie verbraucht, weil die Tiere auf ein spezielles (Kraft-)futter, auf bestimmte Stallanlagen und oft genug auch auf Antibiotika und Wachstumsförderer angewiesen sind, und dass die großen Mengen an produzierter Gülle und Mist die Umwelt belasten.


Unvereinbare Ziele

Der Fleischboom ist noch ungebrochen. Die Welternährungsbehörde FAO geht davon aus, dass sich die weltweite Nachfrage nach Fleisch bis zum Jahr 2050 fast verdoppeln wird bei gleichzeitiger Verknappung der natürlichen Ressourcen. Beide Entwicklungen stehen im Widerspruch zueinander. Um ihn zu lösen, streben die FAO, die Weltbank und das International Livestock Research Institute einen globalen Aktionsplan an zugunsten einer nachhaltigen Nutztierhaltung.

Der Aktionsplan lautet "Global Agenda of Action for a Sustainable Livestock Sector" (www. livestockdialogue.org). Er stellt die effiziente Nutzung von Ressourcen für die Tierproduktion in den Mittelpunkt. Umfangreiche Veränderungen der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie Investitionen und Technologietransfers im großen Maßstab sind vorgesehen. Und immer wieder wird als Ziel eine nachhaltige und ressourcenschonende Ernährungssicherheit hervorgehoben. Soweit besteht Einigkeit unter den Akteuren, zu denen auch die Vertreter der Kleinbauern und Nomaden gehören. In der strategischen Vorgehensweise aber klaffen die Ziele weit auseinander. Während die Liga für Hirtenvölker und nachhaltige Viehwirtschaft e.V. und ihre Partner des LIFE-Netzwerks darauf hinweisen, dass durch die richtigen Rahmenbedingungen - zum Beispiel gesicherter Zugang zu Land und effiziente Tiergesundheitsversorgung - der Beitrag der Nomaden und Kleinbauern zur Welternährung erheblich verbessert werden könnte, setzen die Experten der FAO einseitig auf noch mehr Intensivierung und ein noch stärkeres Leistungswachstum. In der Praxis bedeutet das einen weiteren Zuwachs an industrialisierter Tierhaltung, auch dort, wo die kleinbäuerliche Nutztierhaltung für Millionen Menschen oft die einzige Existenzgrundlage ist. "Dort, wo die Livestock Revolution mittels genetisch einheitlicher Hochleistungsrassen Einzug gehalten hat, wie etwa in Teilen Brasiliens, haben die kleinen Viehhalter kaum profitiert", sagt Dr. Ilse Köhler-Rollefson. Sie ist Tierärztin und Mitbegründerin der Liga für Hirtenvölker. "Wenn erst die lokalen Preise und Märkte zerstört sind - wie vielerorts durch Billigexporte und ausländische Massenproduktion bereits geschehen - bleibt der lokalen Bevölkerung oft nur die Landflucht oder das Tagelöhnertum."

Die Liga und ihre Verbündeten fordern einen Dialog, in dem auch Nomaden und Kleinbauern eine wichtige Stimme erhalten, die ihrer Bedeutung in der Sicherung der Welternährung entspricht. Bei einer Konferenz in Rom wurde dies kürzlich auch zugesagt. Der globale Aktionsplan kann natürlich nicht ausreichen, das Angebot an tierischen Produkten bis 2050 zu verdoppeln. Um in Zukunft global die Ernährungssituation zu verbessern, sind ein generelles Umdenken und ein reduzierter Konsum von Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln dringend erforderlich, speziell in den Industriestaaten.

Mehr Informationen finden Sie auf unserer
Webseite: www.pastoralpeoples.org


INFOBOX

Das LIFE-Netzwerk

Das LIFE-Netzwerk (Local Livestock for Empowerment of Rural People) ist eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen, die hauptsächlich in Asien und Afrika mit Tierhaltergemeinschaften zusammenarbeitet und sich im Rahmen von internationalen Prozessen bei der Welternährungsbehörde FAO und der Internationalen Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) für Tierhalterrechte einsetzt.


Konferenz in Bonn

Am 6. und 7. September 2012 veranstaltet die Liga für Hirtenvölker und nachhaltige Viehwirtschaft e.V. eine internationale Konferenz in Bonn, um gemeinsam mit Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern, Vertretern von Tierhalterorganisationen verschiedener Länder, Entwicklungshilfeexperten sowie anderen interessierten Personen über die aktuelle Situation und die Perspektiven der Nutztierhaltung im globalen Kontext zu diskutieren.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 02/2012, Seite 40-42
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Tel.: 0431/248 28-0, Fax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2012