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INTERNATIONAL/089: Indien - Unzureichende Speicherkapazitäten für Millionen Tonnen Getreide (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Juni 2013

Indien: Unzureichende Speicherkapazitäten für Millionen Tonnen Getreide - Doch Ernährungssicherungsgesetz soll kommen

von Manipadma Jena


Bild: © Manipadma Jena/IPS

Reissäcke werden aus einem offenen Speicher in Bhubaneswar vor dem frühen Monsunregen in Sicherheit gebracht
Bild: © Manipadma Jena/IPS

Bhubaneswar, Indien (IPS) - Kamala Batra hat einen Sack Reis ausgeschüttet, um die ungeschliffenen Körner in der Sonne trocknen zu lassen. Sie verscheucht einige Hühner und wartet geduldig ab, bis die im Reis befindlichen Insekten in der Hitze des Tages davonkrabbeln. Dann sammelt sie die Körner ein, um sie zu einer der kostenlosen Schulmahlzeiten zu verarbeiten, wie sie die Regierung im Rahmen ihres landesweiten Ernährungsprogramms anbietet.

Batra ist Mitglied der Fraueninitiative, die im Dorf Kosagumuda im Bezirk Nabrangpur im östlichen Bundesstaat Odisha die Schulspeisen vorbereitet. Wie sie berichtet, ist es keine Seltenheit, dass sie den Schülern alten und kaum noch genießbaren Reis vorsetzen muss.

Wie aus einem dem Parlament vorliegenden Bericht des Nationalen Gutachterbüros hervorgeht, fehlen Indien sichere Speicherhäuser für 33 Millionen Tonnen Getreide im Wert von zwölf Milliarden US-Dollar, das die Regierung den Bauern des Landes für verschiedene Ernährungsprogramme abgekauft hat.

Im Juni letzten Jahres befanden sich 82 Millionen Tonnen Getreide in der Obhut der Indischen Nahrungsmittelgesellschaft (FCI). Dem Reporter zufolge konnten 40 Prozent nicht angemessen gelagert werden.

Die FCI, ein 1964 gegründetes und dem Ministerium für Verbraucherfragen, Nahrungsmittel und öffentliche Verteilung unterstelltes Mammutunternehmen, beschafft und verteilt landesweit Getreide wie Reis und Weizen. In jüngster Zeit ist die FCI aufgrund der Speicherprobleme dazu übergegangen, Weizenüberschüsse zu verkaufen.


Wachsende Getreideberge

"Wie will man mit den zusätzlichen Getreidemengen verfahren, die nach der Verabschiedung des Nationalen Gesetzes für Ernährungssicherheit beschafft werden müssen", fragt sich der Sozialaktivist Badal Tah aus dem Bezirk Rayagada, wo der Hungertod vieler Menschen 2002 landesweite Proteste ausgelöst hatte.

Unterernährung und der ungleiche Zugang zu Nahrungsmitteln sind Themen, die Indien zwei Jahre vor Ablauf der Millenniumsentwicklungsziele zur Armutsbekämpfung beschäftigen.

Das Gesetz für Ernährungssicherheit wird 67 Prozent der mehr als 1,2 Milliarden Inder einen rechtlichen Anspruch auf subventioniertes Getreide verschaffen. Schätzungen zufolge wird die Maßnahme die Regierung jährlich 21 Milliarden Dollar kosten.

Tah gehört einer Fraktion von Experten an, die der Meinung sind, dass Indien mit Blick auf den Zugang zu Getreide gut aufgestellt ist, jedoch Infrastruktur und Management noch vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes strukturell verbessern müsse. Über das Gesetz wird seit Dezember 2011 debattiert.

Im Mai machte das Büro des Generalgutachters und Rechnungsprüfers Indiens die FCI in einer Untersuchung der Jahre 2007 bis 2012 für schwere Fehler bei der Beschaffung, Lagerung und Sicherung von Nahrungsmitteln verantwortlich.

Dem Bericht zufolge beschaffte die FCI weiter Getreide, obwohl rund neun Millionen Tonnen Getreide in offenen Speichern vorhanden waren, die dann den Monsunregen schutzlos ausgeliefert waren. Außerdem sei Getreide von 2011 nicht ausgegeben worden und im Jahr darauf verrottet. Altes Getreide wie der Reis, den Kamala Batra im Hof zum Trocknen ausgelegt hat, gammelte in den offenen Speichern vor sich hin.

Obwohl ein Fünftel der indischen Bevölkerung mit höchstens 1,25 US- Dollar am Tag auskommen muss, werden in dem Land Unmengen an Nahrungsmitteln aufgrund unsachgemäßer Lagerung verschwendet.

Laut der Studie 'Global food: waste not, want not' der 'Institution of Mechanical Researchers' mit Sitz in London verliert Indien so viel Weizen, wie Australien jedes Jahr produziert. Aufgrund von Speicher- und Verteilungsfehlern büßt das Land auf diese Weise 21 Millionen Tonnen Weizen ein. Die FCI selbst räumt ein, dass sich die Verluste von Weizen auf 79 Millionen Tonnen beziehungsweise neun Prozent der gesamten, zwischen 2009 und 2013 produzierten Weizenproduktion belaufen.


Hohe finanzielle Verluste

"13 Prozent des indischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) geht jedes Jahr durch die Verschwendung von Getreide an einzelnen Punkten der Lieferkette verloren", berichtet Dinesh Rai von der indischen Regulierungsbehörde für die Entwicklung von Lagerhäusern.

Doch nicht nur Getreide wird vergeudet. Aufgrund fehlender Kühlvorrichtungen verderben jedes Jahr zwölf Millionen Tonnen Obst und 21 Millionen Tonnen Gemüse, wie aus einem 2009 vom UN-Umweltprogramm (UNEP) erstellten Report hervorgeht.

In Indiens Hinterland müssen die Bauern in guten Erntejahren leicht verderbliche Agrargüter wie Gemüse und Tomaten zu Dumpingpreisen von zwei Rupien (25 US-Cent) das Kilo verkaufen. Von dem Mangel an Speichermöglichkeiten profitieren die Mittelsmänner, die die Preise gnadenlos drücken.

"Wir haben lange auf die Ankunft der Regierungsbeamten gewartet, die uns unsere Nahrungsmittel zu vereinbarten Mindestpreisen abnehmen. Doch in den letzen beiden Jahren verspäten sie sich", berichtet Raju Jani aus dem Odisha-Bezirk Koraput. "Da wir Bauern uns für den Ankauf von Saatgut und Düngemitteln schwer verschuldet haben, sehen wir uns gezwungen, unseren Reis zu Schleuderpreisen an die Agenten der Reismüller zu verkaufen."

Der Mangel an Speicherkapazitäten und der langsam vonstatten gehende Agrargüterankauf durch die Regierung lässt den kleinen Farmern nur die Wahl zwischen Pest und Cholera - zwischen Zinshaien und Mittelsmännern.


Vor allem Großbauern profitieren von Mindestabnahmeregelung

Kommt es dazu, dass die Bauern ihre Waren den staatlichen Abnehmern verkaufen, sind diese zur unbegrenzten Abnahme der Erzeugnisse gezwungen. Auch diese Regelung erklärt die Unmengen an Getreide, die sich in den letzten Jahren angehäuft haben. Doch letztendlich profitieren in erster Linie die Großbauern, wie eine Gruppe politischer Beobachter kritisiert.

Im vergangenen Jahr gab die Zentralregierung für den Transport, die Lagerung und andere Aktivitäten im Umgang mit dem zu Mindestpreisen angekauften Getreide 16 Milliarden Dollar aus. Tritt das Gesetz für Ernährungssicherheit in Kraft, muss die Regierung noch weitaus größere Mengen an Getreide verwalten, das zu subventionierten Preisen verkauft werden soll.

Angesichts der immensen Nahrungsmittelverschwendung fordern viele NGOs eine Wiedereinführung dörflicher Getreidebanken. "Die zentralisierte Produktion von Reis und Weizen hat die Bauern um ihr Selbstvertrauen gebracht", meint Thooran Nambi von der Bauernvereinigung von Tamil Nadu in Coimbatore. Seiner Meinung nach sollte es keine subventionierten Nahrungsmittel in den Dörfern geben, sondern in Notsituationen Getreide verteilt werden. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.imeche.org/docs/default-source/reports/Global_Food_Report.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/06/indias-food-security-rots-in-storage/

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IPS-Tagesdienst vom 25. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2013